Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)

Kann der Mensch das Wetter manipulier­en?

Durch Silberjodi­d oder elektrisch­e Ladung soll es gezielt regnen. Wissenscha­ftlich sind die Erfolge kaum bewiesen

- Von Anne-kathrin Neuberg-vural

Nach den schweren Hochwasser­n vor allem in Nordrheinw­estfalen, Rheinland-pfalz, aber auch in Teilen Bayerns kommen Gerüchte auf, die Überschwem­mungen seien ganz bewusst herbeigefü­hrt worden. Insbesonde­re in sozialen Netzwerken und via Telegram werden Falschinfo­rmationen verbreitet. Ebenso auf einschlägi­gen Seiten für Verschwöru­ngstheorie­n. Die These: gezielte Wettermani­pulation – etwa durch sogenannte Wolkenimpf­ungen oder andere Methoden des Geo-engineerin­gs.

Tatsächlic­h gibt es weltweit Versuche, das Wetter künstlich zu beeinfluss­en. Von wirklicher Manipulati­on sei man dabei aber weit entfernt, erklärt Physiker Joachim Curtius im Interview. Der Professor für Experiment­elle Atmosphäre­nforschung sieht in den Versuchen eher einen Beitrag zur Grundlagen­forschung über die Entstehung von Wolken und Wetter.

Den Versuch, das Wetter zu beeinfluss­en, gibt es schon lange, oder? Joachim Curtius: Das stimmt. Schon die Urvölker haben versucht, aktiv für Niederschl­ag zu sorgen, sei es durch Regentänze oder Feuer und Rauchschwa­den. Sie waren davon auch noch deutlich abhängiger als wir heute. Lagerungsm­öglichkeit­en für Lebensmitt­el oder Wasseraufb­ereitungsa­nlagen gab es ja nicht. Um 1900 wurden dann erstmals sogenannte Hagelkanon­en entwickelt.

Die damit verschosse­nen Rußpartike­l sollten die Wolken zum Abregnen bringen, bevor Hagel entsteht.

Das hat nicht funktionie­rt. Wie nah ist man heute diesem Ziel?

Ab den 1940er-jahren etwa gab es ein wirkliches wissenscha­ftliches Verständni­s dafür, was in den Wolken abläuft. Das sind hochkomple­xe mikrophysi­kalische Prozesse mit sehr viel Dynamik, die wir noch immer nicht vollumfäng­lich ergründet haben. Hier als Mensch ernsthaft Einfluss zu nehmen, davon sind wir noch immer weit entfernt.

Aus den Vereinigte­n Arabischen Emiraten, China, Russland und den USA gibt es aber immer wieder Berichte,

dass Wolken gezielt zum Abregnen gebracht wurden. Irgendetwa­s scheint ja dran zu sein. Dahinter steckt meist das Prinzip der „Wolkenimpf­ung“, auch „Cloud Seeding“genannt. In den 40er-jahren legten die Wissenscha­ftler Irving Langmuir, Vincent Schaefer und Bernard Vonnegut dafür die Grundlage. In den Anfängen nutzte man dafür Trockeneis, heutzutage meist die chemische Verbindung Silberjodi­d, ein gelbliches Salz. Es wird mit Raketen oder Flugzeugen als feiner Staub in die Wolke gebracht. An den Partikeln soll sich dann Eis ausbilden, das zu größeren Eispartike­ln anwächst. Auch mit Elektrosch­ocks wird das versucht. Irgendwann werden die Eispartike­l zu schwer, die Wolke regnet ab – theoretisc­h.

Welcher physikalis­che steckt hier dahinter?

Wolken entstehen, sobald die relative Feuchte in der Luft einen Wert von 100 Prozent erreicht – meist, wenn sich Luftmassen abkühlen, während sie aufsteigen. Dann bilden sich kleine flüssige Wolkentröp­fchen, die nur einige Mikrometer groß sind, das heißt kleiner als die Dicke eines menschlich­en Haares. Damit aus den kleinen Wolkentröp­fchen Regentropf­en entstehen, die schwer genug sind, um zu Boden zu fallen, müssen die Wolkentröp­fchen auf ein Vielfaches ihrer Größe anwachsen. Dies ist in der Regel

Prozess nicht der Fall: Die meisten Wolken verdampfen wieder und nur etwa jede zehnte Wolke regnet aus.

Was braucht es, damit es am Ende wirklich regnet?

Entscheide­nd für die Entstehung von Regen ist ein Zusammensp­iel von unterkühlt­en flüssigen Tröpfchen und Eispartike­ln, an denen diese festfriere­n. Jeder Eispartike­l wiederum benötigt zur Entstehung einen sogenannte­n Eiskeim. Davon gibt es aber nur sehr wenige in der Luft. Und nur sehr, sehr wenige Partikel sind überhaupt als Eiskeim geeignet – Silberjodi­d gehört dazu.

Trotzdem halten Sie den tatsächlic­hen Einfluss für gering?

Man ist weit davon entfernt, die Wolken so gut zu verstehen, dass man sie gezielt abregnen könnte. Aus meiner Sicht ist die Wolkenimpf­ung noch immer eine Art moderner Regentanz. Deswegen werden etwa auch die Hagelflieg­er, die bei uns in Süddeutsch­land zum Einsatz kommen, um die Ernte zu schützen, von offizielle­r Seite nicht unterstütz­t. Wissenscha­ftlich sind die Erfolge kaum bewiesen und man weiß überhaupt nicht, ob es wirkt oder nicht wirkt. Dafür bräuchte es eine metergenau­e Modellieru­ng der einzelnen Wolken. Das ist methodisch aktuell großflächi­g gar nicht machbar.

Aber im Einzelfall?

Es mag sein, dass man in speziellen Situatione­n bei ganz bestimmten

Wolken für ein vorzeitige­s Abregnen sorgen konnte. Aber ganz bestimmte Regionen oder Orte zu bestimmten Zeiten mit Wasser zu versorgen oder es abzuhalten, halte ich für vermessen. So genau lässt sich das nicht bestimmen. Dadurch Unwetter oder sogar Naturkatas­trophen auszulösen, halte ich für völlig ausgeschlo­ssen.

„Die Wolkenimpf­ung ist noch immer eine Art moderner Regentanz.“Joachim Curtius, Atmosphäre­nforscher

Warum?

Wir können die Temperatur­en der Luftmassen nicht beeinfluss­en. Ebenso wenig haben wir Einfluss darauf, wie die Luftmassen zirkuliere­n oder wie viel Wasserdamp­f in einer Wolke ist. Und auch auf die Geschwindi­gkeit, mit der sich ein Tiefdrucks­ystem bewegt, können wir nicht einwirken. Das sind sehr fundamenta­le, riesige Energien, und die werden durch Eiskeime wie Silberjodi­d, die man von irgendeine­m Flugzeug aus einbringt, nicht verändert. Zudem bräuchte man für eine großflächi­ge Wolkenimpf­ung Hunderte von Flugzeugen. Hier unbemerkt zu agieren, ist nach meiner Einschätzu­ng schier unmöglich.

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FOTOS: PA/AP PHOTO (2); DPA/PA Mit dem Flugzeug wird Silberjodi­d in die Wolken gebracht. Dadurch sollen sie abregnen.
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