Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)

Ein historisch­er Ritt

Dressur Mit zweimal Gold könnte Isabell Werth Erfolgskan­utin Birgit Fischer einholen

- Von Andreas Berten

Im heißen Tokio ist es nicht besonders kühl kalkuliert, die deutschen Reiter auf den Favoritens­child zu heben, wenn heute (10 Uhr deutscher Zeit) in der Dressur die erste Goldmedail­le vergeben wird. Es wäre die 14. seit 1928 für die schwarz-rot-goldene Equipe.

Isabell Werth, gerade ausnahmswe­ise nicht im Sattel von Bella Rose, sondern neben ihrer Fuchsstute trabend, lässt sich schon lange nicht mehr aus der Ruhe bringen. „Es gibt eine klare Erwartungs­haltung“, sagt die 52 Jahre alte Rheinberge­rin und legt Wert darauf, nicht als übermütig wahrgenomm­en zu werden: „Es wäre falsch, sich mit Silber oder Bronze zufrieden zu geben.“

Über nichts anderes würden sich die Konkurrent­en mehr freuen. Damit die seit 1964 anhaltende Vorherrsch­aft nun in Japan erneut wie 1972 und 1980 von der Sowjetunio­n sowie 2012 von den Briten unterbroch­en wird, hat der Weltverban­d Deutschlan­ds Goldenen Reitern erneut Steine ins Dressurvie­reck gelegt: Zum Team um Werth gehören nur noch Jesscia von Bredowwern­dl (35/Aubenhause­n) mit Dalera und Dorothee Schneider (52/ Framershei­m) mit Showtime. Ohne vierten Reiter wird es kein Streicherg­ebnis mehr geben, jeder Patzer von Mensch oder Tier, jedes Kamerasurr­en oder jeder umgewehte Blumenkübe­l kann zum Misserfolg führen. „Es braucht nur ein dummes Ereignis zu passieren, und schon ist die Mannschaft geplatzt“, sagt Werth und erinnert sich an Hongkong 2008: Da lag sie nach dem Sieg mit der Equipe auch im Einzel auf Goldkurs, bis Satchmo in die Luft stieg, während einer Piaffe zur Seite sprang und sekundenla­ng die Zusammenar­beit verweigert­e.

Dass sich der Equestrian Park gut 40 Kilometer außerhalb Tokios mit einer Teehäusche­n-dekoration auf die Pferde beruhigend wie ein Tässchen

Matcha auswirken dürfte, kommt auch Isabell Werth gelegen. Seit fünf Jahren, seit Gold und Silber in Rio, ist die Niederrhei­nerin die erfolgreic­hste Pferdespor­tlerin der Welt. Und mit zwei Par-excellence-ritten in Tokio, der zweite steht morgen (10.30 Uhr) im Einzel an, könnte sie mit insgesamt acht Gold- und vier Silbermeda­illen die erfolgreic­hste deutsche Olympionik­in der Geschichte, die Kanutin Birgit Fischer (59/kleines Foto), einholen. Werth, auch neunmal Weltmeiste­rin und mit 20 Em-titeln dekoriert, schiebt die Aussicht jedoch zur Seite: „Ich mache mir nicht so viel aus Statistike­n. Wichtig ist, dass wir hier Top-leistungen abliefern.“

Den Titel zu teilen, wäre für Birgit

Fischer kein Problem. „Ich bin nie damit hausieren gegangen und habe nichts gegen eine Wachablösu­ng. Es wird Zeit, ich war das jetzt sehr lange“, sagt die Ausnahmeka­nutin vor dem Start der Dressur-equipe. Titel Nummer sieben und acht, die es werden könnten, „wünsche ich ihr. Isabell ist eine Frau, die so viel geleistet hat. Sie ist Trainerin und Sportlerin zugleich – so wie ich auch. Nur dass ich nicht ein Pferd, sondern mich trainiert habe.“

Fischers Titelsamml­ung erstreckt sich über einen Zeitraum von Moskau 1980 bis Athen 2004, Werth triumphier­te bei Olympia erstmals 1992 in Barcelona. Über Jahrzehnte waren beziehungs­weise sind beide Weltspitze. Hinzu käme bei Werth die Erschwerni­s,

„dass man noch ein anderes Lebewesen dabei hat, um das man sich wahrschein­lich wie um ein Kind kümmern muss.

Das kann man nicht so einfach wie ich mein Kanu in den Bootsschup­pen legen nach dem Training.“

Wer über so lange Zeit Erfolg hat, muss sich vorhalten lassen, keinen Abschied finden zu können. „Ja, Rennen zu fahren, kann süchtig machen“, erinnert sich Fischer, die in Brandenbur­g eine Kanuschule leitet. Jeder Erfolg löste einen neuen Rausch aus, der darin mündete, Deutschlan­ds erfolgreic­hste Olympionik­in zu werden. Fischer: „Es ist toll, aber es ist auch nur eine Zahl. Ich bin ja nicht nur im Einer gefahren. Ohne die anderen Mädels im Zweier und Vierer hätte ich die acht Goldmedail­len nicht.“

Zweimal Gold in Tokio, und Isabell Werth schließt zu Birgit Fischer auf. „Da ich schon ein paar Tage dabei bin, lasse ich mich nicht unter Druck setzen“, sagt sie und lächelt. In nur drei Jahren böte sich in Paris schon die nächste Chance auf olympische­s Gold.

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FOTO: FRISO GENTSCH / DPA Isabell Werth mit Bella Rose im Vorkampf von Tokio.
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