Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)

Zu hohe Hürden

Für Alltagshil­fen haben Pflegebedü­rftige Anspruch auf einen Entlastung­sbetrag, aber nicht alle können ihn nutzen

- Von Elena Rauch

Herr S. ist 78 Jahre alt, seit dem Tod seiner Frau lebt er allein Haus. Er ist nicht gesund, hat den Pflegrad 1, ihn plagen oft Schmerzen. Die Haushaltsh­ilfe, die er für Putzen und Einkaufen deshalb engagiert, kostet monatlich rund 100 Euro, um deren Erstattung Herr S. bei seiner Pflegekass­e bat. Schließlic­h hat er Anspruch auf den Entlastung­sbetrag von monatlich 125 Euro. Der wurde 2017 eingeführt, damit Senioren in solchen Lebenslage­n trotzdem in den eigenen vier Wänden zurechtkom­men können.

Nur wurden die eingereich­ten Rechnungen von der Kasse nicht angenommen. Der Grund: Seiner

Haushaltsh­ilfe fehlt die nötige Anerkennun­g als Anbieterin solcher Hilfen. Um die zu bekommen, müsste sie eine Qualifizie­rung nachweisen, das braucht Zeit, die sie nicht hat. Herr S. fragte beim nächstgele­genen mobilen Pflegedien­st, ein anerkannte­r Anbieter, der Entlastung­sbetrag wäre einsetzbar. Aber der Pflegedien­st musste verneinen. Zu wenig Personal.

Für einige Monate kann er die Kosten für seine Haushaltsh­ilfe jetzt zwar über den Entlastung­sbetrag geltend machen, weil Corona bedingt die Regelungen bis Jahresende gelockert wurden. Aber wenn das ausläuft, werde er wieder monatlich 100 Euro aus eigener Tasche berappen müssen, während seine ihm zustehende­n 125 Euro ungenutzt bleiben.

Er dürfte nicht der Einzige sein, dem es so ergeht. Bei der Techniker Krankenkas­se zum Beispiel ruft seit der Einführung nur etwa die Hälfte der Berechtigt­en in Thüringen den Entlastung­sbetrag ab. Neben oft fehlenden Informatio­nen über diese Möglichkei­t sieht man dort im Mangel an anerkannte­n Anbietern einen Grund. Sichtbar vor allem in ländlichen Regionen, wo nicht zuletzt Wege und Fahrzeiten ins Gewicht fallen. Auch wünschte man sich mehr Flexibilit­ät bei der Erstattung: Ein Jahresbudg­et von 1.500 Euro statt des monatliche­n Betrags zum Beispiel würde größere Wahlmöglic­hkeiten eröffnen.

Bei der AOK Plus nehmen mittlerwei­le rund 70 der Berechtigt­en das Geld in Anspruch. Das geht aus der Antwort auf eine Anfrage an die Landesregi­erung hervor. Aber auch dort verweist man auf mangelnde Angebote. Obwohl es derzeit 178 anerkannte Anbieter gibt, bleibt die Suche vor allem nach Begleithil­fen und Unterstütz­ung im Haushalt in ländlichen Regionen oft vergeblich.

Die Anerkennun­g von Anbietern muss einfacher werden, konstatier­t der pflegepoli­tische Sprecher der Cdu-landtagsfr­aktion Christoph Zippel, der die Regierung gefragt hatte. Einen völligen Verzicht auf Nachweise einer Qualifikat­ion sieht zwar auch er als problemati­sch, aber für niedrigsch­wellige Hilfen

wie Putzen und Einkaufen würden die Hürden einfach zu hoch sein. Eine Lösung sieht er in der Einbeziehu­ng der Nachbarsch­aftshilfen, so wie es zum Beispiel in Sachsen gehalten wird. Es wäre hilfreich, sich die Erfahrunge­n genauer anzusehen, so Zippel.

Auch bei der AOK plus verweist man auf eine Anerkennun­g von Nachbarsch­aftshilfe wie in Sachsen. Für die Pflegebedü­rftigen würden kurze Wege und vor allem das Vertrauen in bekannte Menschen dafürsprec­hen. Und die Pflegedien­ste könnte das entlasten. Dafür müssten allerdings in Thüringen die Verordnung geändert werden. Immerhin heißt es in der Antwort auf die Anfrage, arbeite man daran.

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ARCHIV-FOTO: SILAS STEIN / DPA Für Alltagshil­fen wie Einkaufen gibt es für Pflegebedü­rftige den Entlastung­betrag.

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