Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)
Zahl der Asylbewerber steigt wieder
Nina Gregori, Exekutivdirektorin der europäischen Asylbehörde, warnt im Interview vor einer „sehr ernsten Situation“an der Eu-grenze zu Belarus
Die Chefin der Eu-asylbehörde EASO, Nina Gregori, hat vor einer verschärften Migrationslage an der Grenze zu Belarus gewarnt. „Die Situation in den Ländern an der belarussischen Grenze ist sehr ernst“, sagte die Exekutivdirektorin des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen.
2020 berichtet EASO von der niedrigsten Anzahl an Asylanträgen in der EU seit 2013, was vor allem an der Pandemie und den geschlossenen Grenzen lag. Wird sich das 2021 ändern?
Nina Gregori: Wir sehen in diesem Jahr einen steigenden Trend bei der Migration nach Europa. Nur ein Beispiel: Im August 2021 registrierten die Eu-staaten rund 56.000 Fälle von internationalen Schutzgesuchen. Das war der dritte Monat mit einer deutlich ansteigenden Zahl an Asylanträgen in der EU. Wir sind in Europa damit fast auf dem Niveau der Zeit vor Corona, was die Asylantragszahlen betrifft. Wir sehen einen Anstieg der Anträge auf internationalen Schutz in diesem Jahr vor allem in Osteuropa, vor allem auf der Balkanroute, gefolgt von einem Anstieg der Asylanträge in Bulgarien, Slowenien und Kroatien, aber auch in Österreich. Dieses Jahr ist einer der Hotspots der Migration in der Region um Belarus, vor allem in Lettland und Litauen.
Was bedeutet die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan für die Migration?
Wir stellen einen Rekord von Asylanträgen von afghanischen Staatsangehörigen in der EU im August fest. Im August 2021 haben 10.000 Personen internationalen Schutz beantragt. Das ist eine Steigerung um 38 Prozent im Vergleich zum Juli. Das hängt jedoch auch damit zusammen, dass Afghanen, die schon längere Zeit in Europa leben, zum wiederholten Mal Asyl beantragen, oder neu ankommende Afghanen, die nun von Kabul per Luftbrücke evakuiert wurden, zum ersten Mal. Wir sehen bisher keine Bewegungen von Afghanen aus Afghanistan, die nach Europa kommen. Aber wir beobachten die Situation in den Nachbarländern von Afghanistan sehr genau, wo derzeit Hunderttausende Schutz suchen. Die Situation in Afghanistan wird einen Einfluss auf das europäische Asylsystem haben.
Sind EASO und die Eu-mitgliedstaaten darauf vorbereitet, eine hohe Zahl an Geflüchteten aus Afghanistan aufzunehmen?
Wir müssen uns auf eine schwere Situation der Migrationsbewegung aus Afghanistan nach Europa vorbereiten. Wir arbeiten eng mit der Eu-kommission und den Behörden der Eu-mitgliedstaaten zusammen, zum Beispiel bauen wir Aufnahmekapazitäten auf dem Balkan auf, wir bereiten einen wichtigen Länder-leitfaden für die Eu-staaten mit Bezug zu Afghanistan vor, damit die Asylverfahren effizient bearbeitet werden können, und wir bereiten ein Resettlement-programm für Afghanistan in die EU vor. Sobald die europäischen Staaten entscheiden, Flüchtlinge von Afghanistan nach Europa umzusiedeln, steht EASO bereit, eine Schlüsselrolle in dem Verfahren zu übernehmen.
Welche Rolle spielt EASO an der Grenze der Eu-staaten zu Belarus? Die Situation in den Ländern an der belarussischen Grenze ist sehr ernst. Besonders Litauen und Lettland sind am stärksten betroffen. Nur ein Beispiel: Litauen registriert normalerweise 500 Asylanträge pro Jahr. In dieser Zeit registrieren die Behörden mehr als 2500 Asylanträge von Flüchtlingen aus Belarus seit Beginn der Fluchtbewegungen Anfang des Sommers. EASO hat jetzt 77 Mitarbeiter nach Litauen geschickt, um bei der Aufnahme, der Registrierung und den Asylverfahren zu helfen. Die EU muss die Aufmerksamkeit auf die Hilfe für die osteuropäischen Staaten lenken, um sie künftig bei Asylfragen besser zu unterstützen. Die Lage mit Belarus wird sich sicher nicht in der näheren Zukunft entspannen.
Medien und Menschenrechtler erheben schwere Vorwürfe gegen Grenzbeamte in Kroatien und Griechenland. Geflüchtete werden an der Grenze zurückgedrängt, teilweise mit Gewalt. Was weiß Ihre Behörde davon?
Das Easo-mandat ist nicht der Grenzschutz, unser Personal ist auch nicht an der Grenze im Einsatz, wir arbeiten nicht mit der Grenzpolizei zusammen. Ich kann die Vorwürfe also nicht kommentieren. Manchmal kommt es vor, dass Easo-mitarbeiter staatliches Handeln beobachten, das nicht vom Eurecht gedeckt ist. Das berichtet EASO an die Eu-kommission.
Was sind das für Beobachtungen über illegale Vorfälle an Eu-grenzen?
Wir berichteten der Eu-kommission über verschiedene Fälle von falschem Informationsmanagement durch Behörden von Eu-mitgliedstaaten im Asylverfahren, aber wir haben keine Kenntnisse über angebliche Pushbacks, weil dies nicht innerhalb unseres Mandats ist und wir nicht an der Grenze im Einsatz sind. Unser Ziel ist aber die Stärkung der Garantien von Grundrechten im Asylverfahren. Dafür werden wir einen Grundrechte-beauftragten bei der neuen Eu-asylagentur (EAUU) ins Leben rufen.
„Die Lage mit Belarus wird sich sicher nicht in der näheren Zukunft entspannen.“