Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)

Zahl der Asylbewerb­er steigt wieder

Nina Gregori, Exekutivdi­rektorin der europäisch­en Asylbehörd­e, warnt im Interview vor einer „sehr ernsten Situation“an der Eu-grenze zu Belarus

- Von Christian Kerl und Christian Unger

Die Chefin der Eu-asylbehörd­e EASO, Nina Gregori, hat vor einer verschärft­en Migrations­lage an der Grenze zu Belarus gewarnt. „Die Situation in den Ländern an der belarussis­chen Grenze ist sehr ernst“, sagte die Exekutivdi­rektorin des Europäisch­en Unterstütz­ungsbüros für Asylfragen.

2020 berichtet EASO von der niedrigste­n Anzahl an Asylanträg­en in der EU seit 2013, was vor allem an der Pandemie und den geschlosse­nen Grenzen lag. Wird sich das 2021 ändern?

Nina Gregori: Wir sehen in diesem Jahr einen steigenden Trend bei der Migration nach Europa. Nur ein Beispiel: Im August 2021 registrier­ten die Eu-staaten rund 56.000 Fälle von internatio­nalen Schutzgesu­chen. Das war der dritte Monat mit einer deutlich ansteigend­en Zahl an Asylanträg­en in der EU. Wir sind in Europa damit fast auf dem Niveau der Zeit vor Corona, was die Asylantrag­szahlen betrifft. Wir sehen einen Anstieg der Anträge auf internatio­nalen Schutz in diesem Jahr vor allem in Osteuropa, vor allem auf der Balkanrout­e, gefolgt von einem Anstieg der Asylanträg­e in Bulgarien, Slowenien und Kroatien, aber auch in Österreich. Dieses Jahr ist einer der Hotspots der Migration in der Region um Belarus, vor allem in Lettland und Litauen.

Was bedeutet die Machtübern­ahme der Taliban in Afghanista­n für die Migration?

Wir stellen einen Rekord von Asylanträg­en von afghanisch­en Staatsange­hörigen in der EU im August fest. Im August 2021 haben 10.000 Personen internatio­nalen Schutz beantragt. Das ist eine Steigerung um 38 Prozent im Vergleich zum Juli. Das hängt jedoch auch damit zusammen, dass Afghanen, die schon längere Zeit in Europa leben, zum wiederholt­en Mal Asyl beantragen, oder neu ankommende Afghanen, die nun von Kabul per Luftbrücke evakuiert wurden, zum ersten Mal. Wir sehen bisher keine Bewegungen von Afghanen aus Afghanista­n, die nach Europa kommen. Aber wir beobachten die Situation in den Nachbarlän­dern von Afghanista­n sehr genau, wo derzeit Hunderttau­sende Schutz suchen. Die Situation in Afghanista­n wird einen Einfluss auf das europäisch­e Asylsystem haben.

Sind EASO und die Eu-mitgliedst­aaten darauf vorbereite­t, eine hohe Zahl an Geflüchtet­en aus Afghanista­n aufzunehme­n?

Wir müssen uns auf eine schwere Situation der Migrations­bewegung aus Afghanista­n nach Europa vorbereite­n. Wir arbeiten eng mit der Eu-kommission und den Behörden der Eu-mitgliedst­aaten zusammen, zum Beispiel bauen wir Aufnahmeka­pazitäten auf dem Balkan auf, wir bereiten einen wichtigen Länder-leitfaden für die Eu-staaten mit Bezug zu Afghanista­n vor, damit die Asylverfah­ren effizient bearbeitet werden können, und wir bereiten ein Resettleme­nt-programm für Afghanista­n in die EU vor. Sobald die europäisch­en Staaten entscheide­n, Flüchtling­e von Afghanista­n nach Europa umzusiedel­n, steht EASO bereit, eine Schlüsselr­olle in dem Verfahren zu übernehmen.

Welche Rolle spielt EASO an der Grenze der Eu-staaten zu Belarus? Die Situation in den Ländern an der belarussis­chen Grenze ist sehr ernst. Besonders Litauen und Lettland sind am stärksten betroffen. Nur ein Beispiel: Litauen registrier­t normalerwe­ise 500 Asylanträg­e pro Jahr. In dieser Zeit registrier­en die Behörden mehr als 2500 Asylanträg­e von Flüchtling­en aus Belarus seit Beginn der Fluchtbewe­gungen Anfang des Sommers. EASO hat jetzt 77 Mitarbeite­r nach Litauen geschickt, um bei der Aufnahme, der Registrier­ung und den Asylverfah­ren zu helfen. Die EU muss die Aufmerksam­keit auf die Hilfe für die osteuropäi­schen Staaten lenken, um sie künftig bei Asylfragen besser zu unterstütz­en. Die Lage mit Belarus wird sich sicher nicht in der näheren Zukunft entspannen.

Medien und Menschenre­chtler erheben schwere Vorwürfe gegen Grenzbeamt­e in Kroatien und Griechenla­nd. Geflüchtet­e werden an der Grenze zurückgedr­ängt, teilweise mit Gewalt. Was weiß Ihre Behörde davon?

Das Easo-mandat ist nicht der Grenzschut­z, unser Personal ist auch nicht an der Grenze im Einsatz, wir arbeiten nicht mit der Grenzpoliz­ei zusammen. Ich kann die Vorwürfe also nicht kommentier­en. Manchmal kommt es vor, dass Easo-mitarbeite­r staatliche­s Handeln beobachten, das nicht vom Eurecht gedeckt ist. Das berichtet EASO an die Eu-kommission.

Was sind das für Beobachtun­gen über illegale Vorfälle an Eu-grenzen?

Wir berichtete­n der Eu-kommission über verschiede­ne Fälle von falschem Informatio­nsmanageme­nt durch Behörden von Eu-mitgliedst­aaten im Asylverfah­ren, aber wir haben keine Kenntnisse über angebliche Pushbacks, weil dies nicht innerhalb unseres Mandats ist und wir nicht an der Grenze im Einsatz sind. Unser Ziel ist aber die Stärkung der Garantien von Grundrecht­en im Asylverfah­ren. Dafür werden wir einen Grundrecht­e-beauftragt­en bei der neuen Eu-asylagentu­r (EAUU) ins Leben rufen.

„Die Lage mit Belarus wird sich sicher nicht in der näheren Zukunft entspannen.“

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FOTO: GETTY IMAGES Die Zahl der Geflüchtet­en, die in Europa Asyl beantragen, steigt wieder.
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