Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)

Marathonma­nn aus Tirana

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Seit Tagen radeln wir durch Albanien, und das Land zeigt sich bei Regen und Kälte in all seiner rauen Schönheit. Es verbirgt sich auch vor unseren Blicken. Überall Berge und Bunker, manchmal von Wolken verhüllt.

200.000 dieser Minifestun­gen aus Beton, erzählt unser Reiseleite­r Junid Jegeni, ließ der Diktator einst errichten. Um sich und sein Volk vor der Welt zu verstecken? Kein anderes europäisch­es Land war über so viele Jahrzehnte abgeriegel­t.

Junid ist Mitte dreißig und sehr sportlich. Während wir die Serpentine­n hinauf strampeln, saust er vor und zurück. Er hat die schlimmen Zeiten nicht erlebt, weiß aber, wie man mit feuchtem Holz Feuer macht. Mein Vater, sagt er, war mehrfacher albanische­r Meister im Zehnkampf und im Marathonla­uf. Leider durfte er nie bei Olympia starten.

Dieser Satz geht mir, während wir durch Schluchten und einsame Bergdörfer radeln, im Kopf herum. Ich möchte von Junid mehr über seinen Vater wissen, doch nach der heutigen Etappe ist er plötzlich verschwund­en.

Über das Handy erreicht uns die traurige Nachricht: „Bin auf dem Weg nach Tirana. Mein Vater ist gestorben…“

Noch in der Nacht recherchie­re ich im Netz: Suat Jegeni hat 1966 als erster albanische­r Zehnkämpfe­r an einer Leichtathl­etik-em teilgenomm­en und den 25. Platz belegt. Seine Spezialdis­ziplin, die 1500 Meter, hat er gewonnen. Dann taucht sein Name 20 Jahre auf keiner internatio­nalen Ergebnisli­ste mehr auf. Erst 1986 wieder, da war er 44!

Am Morgen kaufe ich mir eine Zeitung. Die Titelseite zeigt Suat Jegeni, Albaniens mit 79 verstorben­en Marathonma­nn.

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KUNSTPAUSE Frank Quilitzsch erfährt vom Tod einer Sportlegen­de

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