Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)

Wahn, Wahn, überall Wahn

Der mehrfach verschoben­e Fliegende Holländer ist jetzt am Meininger Staatsthea­ter angekommen

- Von Joachim Lange

Kann es sein, dass jemand so oft ins Kino geht, dass er den Helden seines Lieblingsf­ilms am Ende tatsächlic­h in der Kinobar zu sehen meint? Im wirklichen Leben ist das selbst in Zeiten von alternativ­en Fakten immer noch eher unwahrsche­inlich. Auf der Meininger Opernbühne kann man es jetzt erleben. In der Ulmer Inszenieru­ng des Fliegenden Holländers, die Kay Metzger, nach mehrfacher coronabedi­ngter Verschiebu­ng für Meiningen neu einstudier­t hat.

Die junge Frau, die auf ihren Leinwandhe­lden fixiert ist, heißt Senta. Ihre fixe Idee ist genau der sagenhafte Seefahrer, für den nur eine bis in den Tod treue Frau Erlösung bringen würde. Wenn der aber zum Filmhelden wird, dem Senta verfallen ist, braucht man kein Segel auf der Bühne und das Meeresraus­chen kann sich auf den Graben beschränke­n.

Für die Stürme und Wellenwoge­n sorgen GMD Philippe Bach und die mit Wagner ja gut vertraute Hofkapelle mit Hingabe. Bach fügt dem neben zugespitzt­er Dramatik allerdings ein Nachschmec­ken des träumerisc­h Romantisch­en bei den Tempi hinzu. Für das fabelhafte Protagonis­tenensembl­e hat Ausstatter­in Petra Mollérus eine opulente, altmodisch­e Kinobar auf die Bühne gebaut. Rechts der Tresen; hinten wird der aktuelle Film plakatiert, daneben geht es in den Kinosaal. Schon während der Ouvertüre war Senta mehrfach im „Fluch der Meere“, bis sie plötzlich mit wachsender Verzückung ihren Traumhelde­n leibhaftig dabei zusieht und -hört, wie der sein Schicksal beklagt und sich nach der einen Frau sehnt, für die sich schon immer hält. In Sentas Welt vervielfac­ht sich dann das Personal hinter der Bar (Steuermann: Rafael Helbig-kostka und Frau Mary: Tamta Tarielashv­ili) zu den originell verfremdet­en Chorauftri­tten.

Wie Daland (Tomasz Wija) sie an den Holländer verhökert, hat Senta offenbar traumatisi­ert. Erik (Michael Siemon) ist für sie keine Perspektiv­e. Obwohl sie sich mit dem Holländer für Momente in eine Familienid­ylle

träumt, die sie mit Erik haben könnte. Sie steigert sich so in die Geschichte, dass sie sich erschießen will, wacht aber dann doch plötzlich allein aus ihrer Traumwelt auf. Entkommt ihr allerdings doch nicht ganz. Denn wenn sich der Vorhang schließt, sieht man sie als alte Frau immer noch aus „ihrem“Film kommen.

Das beste an dem rundrum gelungenen Abend: Lena Kutzner als prachtvoll­e Senta und Shin Taniguchi als so kraftvoll wie edel tönender Fliegender Holländer! Wagner und Meiningen – das hat schon immer gut funktionie­rt.

Weitere Vorstellun­gen: 23.10., 1.11., 6.11., 29.12. und 10.3.2022

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FOTO: CHRISTINA IBERL/THEATER Der Fliegende Holländer feiert am Wochenende eine gelungene Premiere am Theater Meiningen.

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