Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)
Gerichtsprozess im Mühlhäuser Rathaus
Studierende der Universität Wien inszenieren Verhandlung als Theatervorstellung
Mühlhausen. Fast ausschließlich der im März 1525 von Thomas Müntzer eingesetzte Ewige Rat auf dem großformatigen Gemälde in der historischen Rathaushalle war jetzt stummer Beobachter eines spektakulären Gerichtsprozesses fernab der breiten Mühlhäuser Öffentlichkeit.
Die Ratsherren vermochten aber nur ungläubig staunen, denn der zu verhandelnde Fall spielte sich 250 Jahre nach deren Dasein ab. Wiederum 250 Jahre danach sollte das Vergehen späterer Zeitgenossen geahndet werden.
Studierende übernehmen die Rolle der Rechtsvertreter
Den wenigen Zuschauern der heutigen Zeit wurde jedoch deutlich gemacht, dass es sich um eine simulierte historische Gerichtsverhandlung in Form einer Theatervorstellung mit Studierenden der Universität Wien handelt. Ihnen bietet das dortige Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte die Möglichkeit, die so fremde wie faszinierende Welt des Römisch-deutschen Rechts kennenzulernen.
In zwei intensiven Vorbereitungswochen waren die Teilnehmer aus Ungarn, Israel, Österreich und Deutschland in die Zeit des vormodernen Rechtspluralismus eingetaucht, der durch Kollision und Zusammenspiel verschiedener Rechte geprägt war. Dabei ging es um das römische Recht, kanonische Recht, territoriale und Partikularrechte wie das Sächsische Recht oder spezielle Stadtrechte.
„Die Gestaltung der fiktiven Gerichtsverhandlung orientiert sich an einem Fall, den der kaiserliche
Reichshofrat, eines der beiden höchsten Gerichte des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, im 17. und 18. Jahrhundert verhandelt hat“, erklärte Stephan Wendehorst von der Universität Wien. Studierende
hatten nun die Rolle der Rechtsvertreter zu übernehmen.
Konkret ging es in dem Mühlhäuser Prozess um eine Sache aus dem späten 18. Jahrhundert. „Löw Beer Isaak, Schutz- und Handelsjude zu
Frankfurt am Main, überträgt Lemle Bamberger, ebenfalls Schutz- und Handelsjude zu Frankfurt am Main, und seiner Ehefrau Frodge am 5. Januar 1777 eine Summe Bargeldes in Höhe von 2.178 Gulden und 22 Kreuzer mit der Bedingung, diesen Betrag in drei Teilraten bis zur Frankfurter Ostermesse im Jahr 1778 zurückzuzahlen. Im Gegenzug übertragen Lemle und Frodge Bamberger drei Wechselbriefe über insgesamt 1.850 Gulden an Löw Beer Isaak“, besagen die damaligen Gerichtsakten.
Wiederholung im nächsten Jahr vor größerem Publikum
Während die Gültigkeit jener Wechselbriefe strittig war und zwischenzeitlich ein Grundstück mit einer Fläche von vier Ellen in der Frankfurter Judengasse als Sicherheit herhalten musste, hatten die Schuldner bis zum Ablauf von drei vereinbarten Zahlungsterminen lediglich 150 Gulden beglichen.
Weil zu allem Ärger einer der Schuldner mittlerweile verstorben war, beruft sich dessen Witwe auf die Bestimmung im jüdischen Recht, wonach Schulden nicht vererbt werden. Letztlich strengte Löw Beer Isaak eine sogenannte Appellationsklage vor dem Reichshofrat an, um seine ausstehende Schuldforderung zu erhalten.
Im April nächsten Jahres soll der Prozess vor einem größeren Publikum nochmals in Mühlhausen stattfinden.