Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)
Misstrauensvotum scheitert lustig
„Frau Müller muss weg“vereint nochmal das Ensemble des Jungen Schauspiels Eisenach
Vier Damen, zwei Herren verlangt dieses Stück. Wie gemacht also, um das aktuelle Ensemble des Jungen Schauspiels Eisenach in Gänze sowie in einer wiederum anderen Farbe zu präsentieren: ein erstes und auch letztes Mal, bevor sich die Hälfte von ihnen im Sommer verabschiedet und fünf neue Kollegen im vergrößerten kleinen Schauspiel ohne Kinder- und Jugendfokus ihr Engagement antreten. Den bedient auch diese Inszenierung nicht vorrangig. Obschon sie gleichsam über Kinderstühle und -tische geht, dient sie intelligenter Unterhaltung im Abendspielplan des Landestheaters, wo sie vor allem Eltern schulpflichtiger Kinder einen nicht sonderlich schmeichelhaften Spiegel vorhält, aber doch so, dass man darüber lachen kann und sich kaum erschrecken muss.
Der Plan geht auf. Das Premierenpublikum amüsiert sich wie Bolle über Situationskomik und Slapstick im Klassenzimmer der 4b und spendet nach neunzig Minuten mehrheitlich stehende Ovationen. Natürlich bedeutete das Stück dafür bereits die halbe Miete. „Frau Müller muss weg“stammt aus der Erfolgsschmiede von Lutz Hübner und Sarah Nemitz für sogenannte Well-made-plays: gut gebaut, gut verdaulich, störende Irritationen bleiben den Figuren vorbe-, dem Publikum indes vorenthalten. Zudem darf man auf die Prominenz des Stoffes vertrauen, seit ihn Sönke Wortmann, der das zuvor fürs Berliner Grips Theater inszenierte, 2014 fürs Kino verfilmte: Er siedelte das in Dresden an, wo das Stück 2010 als Auftragswerk uraufgeführt worden war.
Eine sichere Bank ist das aber noch lange nicht. Da braucht es schon das solide Handwerk der Komödie, wofür sich Intendant Jens Neundorffs seines ehemaligen Schauspieldirektors aus Regensburger Zeit versicherte. Klaus Kusenberg holt viel heraus: aus Text und Ensemble. Dabei wirkt das Stück für dieses dann doch nicht wie gemacht insofern, als das Junge Schauspiel dafür unterm Strich eigentlich zu jung ist. Es arbeitet insgesamt zwar nach dem Prinzip, je
der könne im Grunde jeden und alles spielen, im derart naturalistischen Kontext von Enddreißigern bis Mittvierzigern geht das aber nicht ohne Abstriche ab. Dass ein Vater die Lehrerin in den Wechseljahren wähnt und sich eine Mutter für zu alt für eine Affäre auf dem Autorücksitz‚ wird nicht so stimmig.
Elternabend wird zum Nukleus einer Gesellschaft
Gleichwohl funktioniert dieser als konzertierte Aktion angelegte und absehbar aus dem Ruder laufende Elternabend, dessen Eskalationspotenzial sie weidlich ausschöpfen, alles in allem sehr gut. Es handelt sich um eine Delegation, die sich aus Eigeninteresse das Mandat für ein Misstrauensvotum gegenüber der Klassenlehrerin sicherte. Die Stimmung in der 4b war schonmal besser, der Notendurchschnitt auch, die Eltern schieben alle Verantwortung dafür von sich und lasten sie der überdurchschnittlich engagierten
Frau Müller an, die Wegscheide Gymnasium oder Regelschule drohend vor Augen.
Das Unheil, gespeist aus Missverständnissen und Vorbehalten, nimmt seinen Verlauf und mündet im einem Irrtum unterliegenden Opportunismus, dass Frau Müller dann doch unbedingt bleiben müsse. Dabei wird der Elternabend zum Nukleus einer chronisch überforderten Gesellschaft, die am Ausgleich der Interessen zu scheitern droht. Ein klischeebeladener Ostwest-konflikt ist eingepreist. An solchen Stellen wirkt das Stück von 2010 aber nur bedingt gut gealtert.
In der an den Vorgaben des Textes stark orientierten detailreichen Klassenzimmerbühne von Nora Lau mit gelben Wänden und grasgrünen Vorhängen sowie viel Herbstdekoration (Laubgirlande, Kastanienmännchen) machen die beiden Herren die beste Figur: Alexander Müßig als arbeitsloser Choleriker-vater Wolf, der unter Erfolgsdruck seine Tochter bevormundet,
und Christoph Rabeneck als wachsweicher Patrick, dem der Frust seiner zwischen Anspruch und Wirklichkeit permanent versinkenden Frau Marina zu schaffen macht. Jene gerät bei Friederike Fink zum größten Abbild einer zwischen Unter- und Übertreibung latent unentschiedenen Spielweise des Abends: Hier gelangt sie zu komödiantischer Stärke, dort driftet sie arg in die Klamotte ab.
Der Text liefert der schweigsamen Katja von Elisabeth Rasch das wenigste Spielmaterial; sie kompensiert das nach viel zu gedämpftem Beginn mit schönen spielerischen Miniaturen. Lene Jäger verlässt sich als Elternsprecherin Jessice Klassenbester verschlossen zu sehr auf den kühl kalkulierten Zynismus ihrer Figur; es fehlen Nuanchen der Erschütterung, wie sie sich Lisa Störrs zum steifen Dozieren neigende Frau Müller bewahrt.
Wieder am 11. und 25. Mai sowie 15., 16. und 21. Juni.