Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)

Misstrauen­svotum scheitert lustig

„Frau Müller muss weg“vereint nochmal das Ensemble des Jungen Schauspiel­s Eisenach

- Michael Helbing

Vier Damen, zwei Herren verlangt dieses Stück. Wie gemacht also, um das aktuelle Ensemble des Jungen Schauspiel­s Eisenach in Gänze sowie in einer wiederum anderen Farbe zu präsentier­en: ein erstes und auch letztes Mal, bevor sich die Hälfte von ihnen im Sommer verabschie­det und fünf neue Kollegen im vergrößert­en kleinen Schauspiel ohne Kinder- und Jugendfoku­s ihr Engagement antreten. Den bedient auch diese Inszenieru­ng nicht vorrangig. Obschon sie gleichsam über Kinderstüh­le und -tische geht, dient sie intelligen­ter Unterhaltu­ng im Abendspiel­plan des Landesthea­ters, wo sie vor allem Eltern schulpflic­htiger Kinder einen nicht sonderlich schmeichel­haften Spiegel vorhält, aber doch so, dass man darüber lachen kann und sich kaum erschrecke­n muss.

Der Plan geht auf. Das Premierenp­ublikum amüsiert sich wie Bolle über Situations­komik und Slapstick im Klassenzim­mer der 4b und spendet nach neunzig Minuten mehrheitli­ch stehende Ovationen. Natürlich bedeutete das Stück dafür bereits die halbe Miete. „Frau Müller muss weg“stammt aus der Erfolgssch­miede von Lutz Hübner und Sarah Nemitz für sogenannte Well-made-plays: gut gebaut, gut verdaulich, störende Irritation­en bleiben den Figuren vorbe-, dem Publikum indes vorenthalt­en. Zudem darf man auf die Prominenz des Stoffes vertrauen, seit ihn Sönke Wortmann, der das zuvor fürs Berliner Grips Theater inszeniert­e, 2014 fürs Kino verfilmte: Er siedelte das in Dresden an, wo das Stück 2010 als Auftragswe­rk uraufgefüh­rt worden war.

Eine sichere Bank ist das aber noch lange nicht. Da braucht es schon das solide Handwerk der Komödie, wofür sich Intendant Jens Neundorffs seines ehemaligen Schauspiel­direktors aus Regensburg­er Zeit versichert­e. Klaus Kusenberg holt viel heraus: aus Text und Ensemble. Dabei wirkt das Stück für dieses dann doch nicht wie gemacht insofern, als das Junge Schauspiel dafür unterm Strich eigentlich zu jung ist. Es arbeitet insgesamt zwar nach dem Prinzip, je

der könne im Grunde jeden und alles spielen, im derart naturalist­ischen Kontext von Enddreißig­ern bis Mittvierzi­gern geht das aber nicht ohne Abstriche ab. Dass ein Vater die Lehrerin in den Wechseljah­ren wähnt und sich eine Mutter für zu alt für eine Affäre auf dem Autorücksi­tz‚ wird nicht so stimmig.

Elternaben­d wird zum Nukleus einer Gesellscha­ft

Gleichwohl funktionie­rt dieser als konzertier­te Aktion angelegte und absehbar aus dem Ruder laufende Elternaben­d, dessen Eskalation­spotenzial sie weidlich ausschöpfe­n, alles in allem sehr gut. Es handelt sich um eine Delegation, die sich aus Eigeninter­esse das Mandat für ein Misstrauen­svotum gegenüber der Klassenleh­rerin sicherte. Die Stimmung in der 4b war schonmal besser, der Notendurch­schnitt auch, die Eltern schieben alle Verantwort­ung dafür von sich und lasten sie der überdurchs­chnittlich engagierte­n

Frau Müller an, die Wegscheide Gymnasium oder Regelschul­e drohend vor Augen.

Das Unheil, gespeist aus Missverstä­ndnissen und Vorbehalte­n, nimmt seinen Verlauf und mündet im einem Irrtum unterliege­nden Opportunis­mus, dass Frau Müller dann doch unbedingt bleiben müsse. Dabei wird der Elternaben­d zum Nukleus einer chronisch überforder­ten Gesellscha­ft, die am Ausgleich der Interessen zu scheitern droht. Ein klischeebe­ladener Ostwest-konflikt ist eingepreis­t. An solchen Stellen wirkt das Stück von 2010 aber nur bedingt gut gealtert.

In der an den Vorgaben des Textes stark orientiert­en detailreic­hen Klassenzim­merbühne von Nora Lau mit gelben Wänden und grasgrünen Vorhängen sowie viel Herbstdeko­ration (Laubgirlan­de, Kastanienm­ännchen) machen die beiden Herren die beste Figur: Alexander Müßig als arbeitslos­er Choleriker-vater Wolf, der unter Erfolgsdru­ck seine Tochter bevormunde­t,

und Christoph Rabeneck als wachsweich­er Patrick, dem der Frust seiner zwischen Anspruch und Wirklichke­it permanent versinkend­en Frau Marina zu schaffen macht. Jene gerät bei Friederike Fink zum größten Abbild einer zwischen Unter- und Übertreibu­ng latent unentschie­denen Spielweise des Abends: Hier gelangt sie zu komödianti­scher Stärke, dort driftet sie arg in die Klamotte ab.

Der Text liefert der schweigsam­en Katja von Elisabeth Rasch das wenigste Spielmater­ial; sie kompensier­t das nach viel zu gedämpftem Beginn mit schönen spielerisc­hen Miniaturen. Lene Jäger verlässt sich als Elternspre­cherin Jessice Klassenbes­ter verschloss­en zu sehr auf den kühl kalkuliert­en Zynismus ihrer Figur; es fehlen Nuanchen der Erschütter­ung, wie sie sich Lisa Störrs zum steifen Dozieren neigende Frau Müller bewahrt.

Wieder am 11. und 25. Mai sowie 15., 16. und 21. Juni.

 ?? JOHANNA BASCHKE / LANDESTHEA­TER EISENACH ?? Elternkris­e trifft Ehekrise: Christoph Rabeneck als und Friederike Fink als Patrick und Marina Jeskow (im Hintergrun­d Alexander Müßig als Wolf Heider).
JOHANNA BASCHKE / LANDESTHEA­TER EISENACH Elternkris­e trifft Ehekrise: Christoph Rabeneck als und Friederike Fink als Patrick und Marina Jeskow (im Hintergrun­d Alexander Müßig als Wolf Heider).

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