Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)
Richtungsstreit an der Franz-liszt-hochschule
Dem Institut für Alte Musik droht die Abwicklung. Heftige Dissonanzen tönen in den Hochschulgremien
In schrillen Misstönen tobt zurzeit ein Richtungsstreit an Weimars Franz-liszt-hochschule, von Harmonie keine Rede. Offenbar gerät der Haushalt zusehends aus den Fugen; für die nahe Zukunft fürchtet man drastische Sparzwänge. In dieser Extremlage müssen die Hochschulgremien jetzt über den „Struktur- und Entwicklungsplan (STEP) bis 2030“beraten. Ein erster Entwurf sieht krasse Einschnitte vor, darunter die komplette Abwicklung des Instituts für Alte Musik.
Barock-fans sind hell entsetzt. Wer sich auch nur ein wenig auskennt in der hiesigen Szene, weiß allzu gut, dass das kleine Institut in der Bach-stadt Weimar längst das Rückgrat für die Barockmusik-pflege Thüringens bildet. Ohne dessen Kompetenzen und Absolventen wären junge Ensembles der Alten Musik wie Cantus Thuringia & Capella, die Capella Jenensis oder Weimar Baroque nicht vorstellbar, und etablierte Festivals wie die Bachbiennale stünden infrage. Barockmusik ist en vogue – und das nicht nur hierzulande.
Die Präsidentin glaubt, es sei ein „interner Vorgang“
Trotzdem hält Anne-kathrin Lindig, die Präsidentin der Liszt-hochschule, den eklatanten Plan nach Kräften unter Decke und lehnt öffentliche Stellungnahmen kühl ab. Auf entsprechende Anfrage unserer Zeitung lässt sie ihren Sprecher lapidar antworten, es handle sich um einen „hochschulinternen Diskussionsprozess, der, ca. Mitte diesen Jahres abgeschlossen sein“solle. Sie bitte „um Verständnis, dass keine Arbeitsstände bzw. Zwischenergebnisse kommuniziert werden können“, heißt es bloß noch.
Auch die betroffenen Professoren und Dozenten im Institut scheuen vor Statements in der Zeitung zurück, wohl aus Furcht vor interner Schikane. Dabei ist unsere Redaktion längst in detaillierter Kenntnis des Step-entwurfs, über den – nach weiteren Zwischenschritten in den Gremien – die Hochschulversammlung bereits am 1. Juli final entscheiden soll. Schon in der ersten Lesung im Senat am 29. April ging es hoch
her. Man ist entsetzt über die ungeheure Eile.
Stärken will Lindigs Präsidium die pädagogischen Fächer, vor allem die Lehramtsausbildung, das Kulturmanagement sowie sogenannte „kleine Fächer“wie Klavier, Akkordeon, Gitarre, Orgel und Jazz, die aber allesamt nicht für herkömmliche Orchester relevant sind; dabei hatte die Weimarer Hochschule sich seit jeher die Ausbildung von Orchestermusikern auf die Fahnen geschrieben. Außerdem träumt Lindig von einem neuen Studiengang Musiktherapie: mit der Begründung, so die gesellschaftliche Verantwortung der Hochschule zu untermauern.
Bluten soll dafür das Institut für Alte Musik; glashart fordert das Step-papier eine Einstellung sämtlicher Studiengänge in diesem Bereich. Auch in der Musikwissenschaft werden Professuren, sobald sie aus Altersgründen frei werden, grundsätzlich infrage gestellt; das gilt nicht zuletzt für die Professur zur Geschichte der jüdischen Musik, sofern sie nicht weiterhin eine Sonderfinanzierung durch den Freistaat genieße.
Nüchtern wird da vorgerechnet, wer wann in Pension geht, so dass die Stelle dann wegfiele. Für die Blockflöten-professorin Myriam Eichberger etwa wäre dies 2029 der Fall; dass man ihr Fach gerade auch für Musikpädagogen und Lehrämtler bedarf, wird leichthin übersehen. 2031 folgte ihr Bernhard Klapprott, ein international gefragter Cembalist und Spezialist für historische
Tasteninstrumente, in den Ruhestand nach, und gemäß dieser Theorie hätte die Gambistin Imke David drei Jahre später im Institut das Licht auszuschalten – und Ende Gelände für die Alte Musik.
Akut wird das Problem schon jetzt für die Barockgeigerin Lina Tur Bonet, die als Nachfolgerin Midori Seilers nun zur Übernahme ins unbefristete Dienstverhältnis ansteht. Das wäre eigentlich Formsache, doch danach würde man sie nicht mehr los. Dabei gilt die Spanierin zu Recht als einer der wenigen Stars unter den Lehrkräften der Weimarer Franz-liszt-hochschule. Ihre zahlreichen CDS sind mit Preisen schier überhäuft, sie tritt als begehrte Solistin weltweit – vor allem im frankophonen Raum – auf, hat mit der Musica Alchemia ein eigenes Ensemble gegründet und sitzt als Konzertmeisterin Jordi Savalls ruhmreichem „Le Concert des Nation“vor.
Bei Tur Bonet darf man ungeniert von Weltklasse sprechen, jetzt bangen ihre Institutskollegen mit ihr um die sogenannte Entfristung. Sie zu verlieren, trüge nicht allein dem Institut großen Schaden ein, sondern triebe überdies einen tiefen Kratzer im Image der Hochschule, die sich ohnehin dem Vorwurf ausgesetzt sieht, zunehmend zu verprovinzialisieren.
Aktuelle Bewerberzahlen als Entscheidungsgrundlage
Als Begründung für die deutliche Akzentverschiebung im Strukturund Entwicklungsplan halten vor allem schwach dokumentierte Bewerberzahlen her. Weder von Prognosen für die nähere Zukunft noch von erdenklichem Studienmarketing ist da die Rede. Und dass ein schleichender Abschied vom „Kerngeschäft“, der praktischen Musikerausbildung, ebenso die Perspektive hätte, gleich die gesamte Hochschule mit ihren klanglosen, theoretischen Fächern einer benachbarten Universität einzugliedern, sieht offenbar niemand.
Sogar eher für einen Ausbau der Alten Musik spräche hingegen, dass die Originalklang-bewegung, die Nikolaus Harnoncourt vor 50 Jahren in Gang setzte, heute im internationalen Konzertbetrieb voll etabliert ist, ja geradezu boomt. Selbst klassisch-romantische Orchester üben sich in historisch informierter Aufführungspraxis, ohne die auch eine Ausbildung junger Talente kaum mehr sinnvoll erscheint. Eine entsprechende Verzahnung im Studium gilt in Weimar zurzeit noch als selbstverständlich. Aber auch dies bräche mit der Auflösung des Instituts für Alte Musik schlicht weg.
Allen Beteiligten ist klar, dass die endgültige Entscheidung über den STEP in der Hochschulversammlung am Ende sehr knapp ausgehen wird – weil man in Gremien gern nach dem St. Florians-prinzip denkt und froh ist, selbst ungeschoren zu bleiben. Aber um einen internen Vorgang handelt es sich – angesichts befürchteter Auswirkungen bis in die Tourismuswirtschaft hinein – in einer Kernregion der deutschen Barockmusik sicherlich nicht.