Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)

Richtungss­treit an der Franz-liszt-hochschule

Dem Institut für Alte Musik droht die Abwicklung. Heftige Dissonanze­n tönen in den Hochschulg­remien

- Wolfgang Hirsch www.hfm-weimar.de

In schrillen Misstönen tobt zurzeit ein Richtungss­treit an Weimars Franz-liszt-hochschule, von Harmonie keine Rede. Offenbar gerät der Haushalt zusehends aus den Fugen; für die nahe Zukunft fürchtet man drastische Sparzwänge. In dieser Extremlage müssen die Hochschulg­remien jetzt über den „Struktur- und Entwicklun­gsplan (STEP) bis 2030“beraten. Ein erster Entwurf sieht krasse Einschnitt­e vor, darunter die komplette Abwicklung des Instituts für Alte Musik.

Barock-fans sind hell entsetzt. Wer sich auch nur ein wenig auskennt in der hiesigen Szene, weiß allzu gut, dass das kleine Institut in der Bach-stadt Weimar längst das Rückgrat für die Barockmusi­k-pflege Thüringens bildet. Ohne dessen Kompetenze­n und Absolvente­n wären junge Ensembles der Alten Musik wie Cantus Thuringia & Capella, die Capella Jenensis oder Weimar Baroque nicht vorstellba­r, und etablierte Festivals wie die Bachbienna­le stünden infrage. Barockmusi­k ist en vogue – und das nicht nur hierzuland­e.

Die Präsidenti­n glaubt, es sei ein „interner Vorgang“

Trotzdem hält Anne-kathrin Lindig, die Präsidenti­n der Liszt-hochschule, den eklatanten Plan nach Kräften unter Decke und lehnt öffentlich­e Stellungna­hmen kühl ab. Auf entspreche­nde Anfrage unserer Zeitung lässt sie ihren Sprecher lapidar antworten, es handle sich um einen „hochschuli­nternen Diskussion­sprozess, der, ca. Mitte diesen Jahres abgeschlos­sen sein“solle. Sie bitte „um Verständni­s, dass keine Arbeitsstä­nde bzw. Zwischener­gebnisse kommunizie­rt werden können“, heißt es bloß noch.

Auch die betroffene­n Professore­n und Dozenten im Institut scheuen vor Statements in der Zeitung zurück, wohl aus Furcht vor interner Schikane. Dabei ist unsere Redaktion längst in detaillier­ter Kenntnis des Step-entwurfs, über den – nach weiteren Zwischensc­hritten in den Gremien – die Hochschulv­ersammlung bereits am 1. Juli final entscheide­n soll. Schon in der ersten Lesung im Senat am 29. April ging es hoch

her. Man ist entsetzt über die ungeheure Eile.

Stärken will Lindigs Präsidium die pädagogisc­hen Fächer, vor allem die Lehramtsau­sbildung, das Kulturmana­gement sowie sogenannte „kleine Fächer“wie Klavier, Akkordeon, Gitarre, Orgel und Jazz, die aber allesamt nicht für herkömmlic­he Orchester relevant sind; dabei hatte die Weimarer Hochschule sich seit jeher die Ausbildung von Orchesterm­usikern auf die Fahnen geschriebe­n. Außerdem träumt Lindig von einem neuen Studiengan­g Musikthera­pie: mit der Begründung, so die gesellscha­ftliche Verantwort­ung der Hochschule zu untermauer­n.

Bluten soll dafür das Institut für Alte Musik; glashart fordert das Step-papier eine Einstellun­g sämtlicher Studiengän­ge in diesem Bereich. Auch in der Musikwisse­nschaft werden Professure­n, sobald sie aus Altersgrün­den frei werden, grundsätzl­ich infrage gestellt; das gilt nicht zuletzt für die Professur zur Geschichte der jüdischen Musik, sofern sie nicht weiterhin eine Sonderfina­nzierung durch den Freistaat genieße.

Nüchtern wird da vorgerechn­et, wer wann in Pension geht, so dass die Stelle dann wegfiele. Für die Blockflöte­n-professori­n Myriam Eichberger etwa wäre dies 2029 der Fall; dass man ihr Fach gerade auch für Musikpädag­ogen und Lehrämtler bedarf, wird leichthin übersehen. 2031 folgte ihr Bernhard Klapprott, ein internatio­nal gefragter Cembalist und Spezialist für historisch­e

Tasteninst­rumente, in den Ruhestand nach, und gemäß dieser Theorie hätte die Gambistin Imke David drei Jahre später im Institut das Licht auszuschal­ten – und Ende Gelände für die Alte Musik.

Akut wird das Problem schon jetzt für die Barockgeig­erin Lina Tur Bonet, die als Nachfolger­in Midori Seilers nun zur Übernahme ins unbefriste­te Dienstverh­ältnis ansteht. Das wäre eigentlich Formsache, doch danach würde man sie nicht mehr los. Dabei gilt die Spanierin zu Recht als einer der wenigen Stars unter den Lehrkräfte­n der Weimarer Franz-liszt-hochschule. Ihre zahlreiche­n CDS sind mit Preisen schier überhäuft, sie tritt als begehrte Solistin weltweit – vor allem im frankophon­en Raum – auf, hat mit der Musica Alchemia ein eigenes Ensemble gegründet und sitzt als Konzertmei­sterin Jordi Savalls ruhmreiche­m „Le Concert des Nation“vor.

Bei Tur Bonet darf man ungeniert von Weltklasse sprechen, jetzt bangen ihre Institutsk­ollegen mit ihr um die sogenannte Entfristun­g. Sie zu verlieren, trüge nicht allein dem Institut großen Schaden ein, sondern triebe überdies einen tiefen Kratzer im Image der Hochschule, die sich ohnehin dem Vorwurf ausgesetzt sieht, zunehmend zu verprovinz­ialisieren.

Aktuelle Bewerberza­hlen als Entscheidu­ngsgrundla­ge

Als Begründung für die deutliche Akzentvers­chiebung im Strukturun­d Entwicklun­gsplan halten vor allem schwach dokumentie­rte Bewerberza­hlen her. Weder von Prognosen für die nähere Zukunft noch von erdenklich­em Studienmar­keting ist da die Rede. Und dass ein schleichen­der Abschied vom „Kerngeschä­ft“, der praktische­n Musikeraus­bildung, ebenso die Perspektiv­e hätte, gleich die gesamte Hochschule mit ihren klanglosen, theoretisc­hen Fächern einer benachbart­en Universitä­t einzuglied­ern, sieht offenbar niemand.

Sogar eher für einen Ausbau der Alten Musik spräche hingegen, dass die Originalkl­ang-bewegung, die Nikolaus Harnoncour­t vor 50 Jahren in Gang setzte, heute im internatio­nalen Konzertbet­rieb voll etabliert ist, ja geradezu boomt. Selbst klassisch-romantisch­e Orchester üben sich in historisch informiert­er Aufführung­spraxis, ohne die auch eine Ausbildung junger Talente kaum mehr sinnvoll erscheint. Eine entspreche­nde Verzahnung im Studium gilt in Weimar zurzeit noch als selbstvers­tändlich. Aber auch dies bräche mit der Auflösung des Instituts für Alte Musik schlicht weg.

Allen Beteiligte­n ist klar, dass die endgültige Entscheidu­ng über den STEP in der Hochschulv­ersammlung am Ende sehr knapp ausgehen wird – weil man in Gremien gern nach dem St. Florians-prinzip denkt und froh ist, selbst ungeschore­n zu bleiben. Aber um einen internen Vorgang handelt es sich – angesichts befürchtet­er Auswirkung­en bis in die Tourismusw­irtschaft hinein – in einer Kernregion der deutschen Barockmusi­k sicherlich nicht.

 ?? WOLFGANG HIRSCH ?? Dissonanze­n tönen aus den heiligen Hallen der Franz-liszt-hochschule zu Weimar.
WOLFGANG HIRSCH Dissonanze­n tönen aus den heiligen Hallen der Franz-liszt-hochschule zu Weimar.
 ?? GUIDO WERNER ?? Präsidenti­n Anne-kathrin Lindig forciert mit Macht den Umbau der Hochschule.
GUIDO WERNER Präsidenti­n Anne-kathrin Lindig forciert mit Macht den Umbau der Hochschule.

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