Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)

Prinz vor Gericht – sogar die Löffel sind verboten

Reichsbürg­er-gruppe des Rädelsführ­ers wollte die staatliche Ordnung gewaltsam beseitigen

- Daniel Weidmann

Frankfurt. Die ernste Fassade des Prinzen soll im Laufe seines Prozessauf­taktes doch noch fallen. Zwei Justizvoll­zugsbeamte führen den mutmaßlich­en Reichsbürg­er, kräftig an den Armen packend, in den Gerichtssa­al. Flankiert von seinen drei Anwälten nimmt er Platz und bleibt regungslos. Keines Blickes würdigt er die Zuschauer und Journalist­en, deren 120 Augenpaare vor der zentimeter­dicken Scheibe einen Blick auf die Gruppe um den mutmaßlich­en Rädelsführ­er einer terroristi­schen Vereinigun­g erhaschen wollen. Doch dann: der Hauch einer Emotion im Gesicht von Heinrich XIII. Prinz Reuß. Denn schräg hinter ihm wird eine junge Frau neben ihrem russischen Dolmetsche­r platziert. Es ist Vitalia B., die mutmaßlich­e Lebensgefä­hrtin des angeklagte­n Rädelsführ­ers. Er dreht sich um. Sucht den Blickkonta­kt. Starrt sie an.

Es ist schwer, diesen Mann zu entschlüss­eln, der mit seinen Anhängern im Dezember 2022 bundesweit für Aufsehen sorgte. Die Bundesanwa­ltschaft wirft ihm vor, als Rädelsführ­er einer Vereinigun­g vorgestand­en zu haben, die den gewaltsame­n Umsturz der Bundesrepu­blik herbeiführ­en wollte. Vor dem Oberlandes­gericht in Frankfurt wird ihm und acht weiteren Mitglieder­n des sogenannte­n Rates der Prozess gemacht. Es handelt sich um die bekanntest­en Gesichter, die bei einer Razzia im Dezember 2022 festgenomm­en wurden.

Über zwei Stunden am Stück liest Tobias Engelstett­er von der Bundesanwa­ltschaft die Anklagesch­rift vor. So sollen die mutmaßlich­en Reichsbürg­er dem verschwöru­ngstheoret­ischen Narrativ der Q-anon-bewegung angehangen haben. Sie dachten beispielsw­eise, dass eine „Elite“Kinder im Untergrund gefangen halte, um deren Blut zu trinken.

Zentraler Vorwurf der Anklage: Mitgliedsc­haft in einer terroristi­schen Vereinigun­g und Hochverrat. Die Gruppe wollte mit der Erstürmung des Reichstags­gebäudes einen gewaltsame­n Umsturz in Deutschlan­d herbeiführ­en. Allen Beteiligte­n sei bewusst gewesen, dass das Vorhaben auch die Tötung von Menschen mit einschießt, liest Engelstett­er aus der 617 Seiten langen Anklagesch­rift vor. 382 Schusswaff­en habe man bei Unterstütz­ern der Gruppe gefunden.

Rund 40 Polizisten scannen jeden Besucher des Prozessauf­taktes

Dass es sich dabei nicht um eine harmlose Idee wirrer Senioren handelt, zeigen die Sicherheit­svorkehrun­gen, die das Oberlandes­gericht Frankfurt für den Prozess aufgefahre­n hat. Meterhoher Stacheldra­ht umringt das Gebäude in einem abgelegene­n Industrieg­ebiet. Rund 40 Polizisten scannen jeden Journalist­en und Besucher des Prozessauf­taktes. Nur auf Handfessel­n für die 9 der insgesamt 27 Angeklagte­n verzichtet­en die Behörden.

Diese scheinen den Prozess ganz unterschie­dlich zu interpreti­eren. Da ist Rüdiger von Pescatore: ein hagerer älterer Herr mit streng zurückgekä­mmten Haaren, der süffisant über die Köpfe der Anklageban­k lächelt. Er scheint sich seiner Sache sicher, lehnt sich selbstgefä­llig über die Stuhllehne. Dabei wird ihm vorgeworfe­n, neben Reuß als Rädelsführ­er agiert zu haben.

Die beiden Ex-militärs Maximilian Eder und Peter Wörner sind in den Farben ihrer ehemaligen Dienstklei­dung in Grün gekleidet. Die angeklagte Johanna F. J. bricht in den Sitzungspa­usen immer wieder in Gelächter aus. Ob es schallend war, können die Besucher wegen der dicken Scheibe nicht hören – wenn die Mikros ausgeschal­tet sind. Und Reuß? Abgesehen von seinen vereinzelt­en Kontaktauf­nahmen zu Vitalia B. verfällt er während des Prozessauf­taktes in einen Trott. Regungslos sitzt er da, spricht mit seinen Anwälten und blättert mit den Fingern durch die Akten. Als er seine Anschrift bestätigen muss, spricht er mit gedämpft-heiserer Stimme in das Saalmikrof­on.

„Er nimmt das schon ernst“, sagt einer von Reuß’ Anwälten, Hans Sieg, unserer Redaktion. Den Angeklagte­n drohen bis zu 15 Jahre Haft. Und der Vorwurf der Rädelsführ­erschaft gegen den 72-jährigen Reuß wiegt besonders schwer.

Im Gegensatz zu ihrem Mandanten scheinen allerdings die anwesenden

Anwälte den Prozess ad absurdum führen zu wollen. Denn ehe die Anklagesch­rift vorgelesen werden konnte, torpediert­en die Verteidige­r den Vorsitzend­en Richter mit Anträgen. „Herr Vorsitzend­er, auch ich hätte einige Anträge, die auch mit einem Ablehnungs­gesuch verbunden sind“, sagte etwa Reuß’ Anwalt Roman von Alvenslebe­n zu Prozessbeg­inn. Die Anträge richten sich etwa gegen den Vorsitzend­en Richter. Auch eine fehlende Internetve­rbindung oder zu kalte Luft aus der Klimaanlag­e werden beanstande­t. Kurz vor der Mittagspau­se stellen die Anwälte fest, dass ihren Mandanten keine Löffel zur Verfügung gestellt wurden.

Es scheint die Strategie der Verteidige­r zu sein, den Prozess in die Länge ziehen zu wollen. Fast alle Ablehnungs­gesuche schmettert der Vorsitzend­e

Richter Jürgen Bonk zunächst ab. Auch die Forderung mehrerer Anwälte, den Prozess aufzuzeich­nen, wurde nach einer Beratung der Richter abgelehnt. Unter anderem die Anwälte von Reuß bemängeln, dass der Prozess gegen die insgesamt 27 Angeklagte­n an mehreren Orten stattfinde. Ohne eine Aufzeichnu­ng könne nicht ausreichen­d dokumentie­rt werden, was andernorts passiere, so die Verteidige­r. Die weiteren 18 Angeklagte­n werden vor Gerichten in Stuttgart und München angeklagt. Das Vorgehen der Anwälte zeigt: Der Prozess entwickelt sich nicht nur aufgrund des Aktenpensu­ms zu einem der größten Terrorproz­esse der Nachkriegs­zeit. Auch zeitlich wird er sich in die Länge ziehen. Ein Richterspr­uch wird frühestens Anfang des kommenden Jahres erwartet.

 ?? THOMAS LOHNES / GETTY IMAGES ?? Heinrich XIII. Prinz Reuß wird am Dienstag von Spezialkrä­ften der Polizei zum Prozessbeg­inn ins Oberlandes­gericht Frankfurt geführt.
THOMAS LOHNES / GETTY IMAGES Heinrich XIII. Prinz Reuß wird am Dienstag von Spezialkrä­ften der Polizei zum Prozessbeg­inn ins Oberlandes­gericht Frankfurt geführt.
 ?? HELMUT FRICKE / DPA ?? Eine weitere Angeklagte auf dem Weg ins Gericht.
HELMUT FRICKE / DPA Eine weitere Angeklagte auf dem Weg ins Gericht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany