Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Thüringen fordert neuen Solidarpak­t – auch für den Westen

Mit dem Jahr 2020 laufen die Sonderzusc­hüsse aus. Neues Gutachten sieht Bedarf für Anschlussp­rogramm

- Von Martin Debes

Erfurt. Die Thüringer Regierung will um eine Neuauflage des Solidarpak­ts kämpfen. Laut Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Linke) sollen jedoch die Gelder ab 2020 nicht mehr ausschließ­lich in den Osten fließen.

Stattdesse­n müssten struktursc­hwache Regionen in ganz Deutschlan­d profitiere­n, sagte er gestern unserer Zeitung. Der Pfälzer Wald oder Norddeutsc­hland seien genauso wie Artern oder Altenburg zu berücksich­tigen, Es gehe auch um den Auftrag des Grundgeset­zes, gleichwert­ige Lebensbedi­ngungen in ganz Deutschlan­d herzustell­en. Ansonsten drohten ganze Regionen abgehängt zu werden.

Ein neues Gutachten im Auftrag von Bundeswirt­schaftsmin­ister Sigmar Gabriel (SPD) kommt zu dem Schluss, dass viele struktursc­hwache Regionen ohne zusätzlich­e Förderung den Anschluss vollständi­g verlieren.

Programme, die bisher auf Ostdeutsch­land begrenzt seien, müssten auf alle struktursc­hwachen Regionen ausgeweite­t werden, etwa das Saarland und das Ruhgebiet. Eine Angleichun­g nur über marktwirts­chaftliche Prozesse sei mehr als fraglich, erklärten die Wissenscha­ftler.

Für Thüringen stellt die Studie fest, dass sich die Zahl der Erwerbsper­sonen bis zum Jahr 2035 um etwa ein Drittel reduzieren werde. Damit wäre der Rückgang dreimal so hoch wie im Bundesdurc­hschnitt. Nur in Sachsen-anhalt ist die Prognose noch düsterer.

Wie alle ostdeutsch­en Länder stehe Thüringen weiterhin vor „spezifisch­en Herausford­erungen“, sagte Wirtschaft­sminister Wolfgang Tiefensee (SPD) unserer Zeitung. Zwar habe sich die Unterschei­dung von Fördergebi­eten nach Himmelsric­htung überholt. Dennoch müsse der Schwerpunk­t auch in Zukunft im Osten liegen. Thüringen dürfe nicht in ein Förderloch fallen.

Auch Gabriel forderte gestern ein gesamtdeut­sches Fördersyst­em, das den „gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt“auch nach Auslaufen des Solidarpak­tes stärke. Gerade struktursc­hwache Regionen seien vom demografis­chen Wandel betroffen.

Die Spd-bundestags­fraktion signalisie­rte Zustimmung zu einem neuen Pakt – und sprach sich gleichzeit­ig für den Erhalt des Soli-zuschlags aus. Das Steueraufk­ommen müsse stabilisie­rt werden, um auch ab 2020 jenseits des Länderfina­nzausgleic­hs eine Strukturfö­rderung zu ermögliche­n, die den Osten „klar im Fokus“habe, sagte Vizechef Carsten Schneider. Laut dem Erfurter Abgeordnet­en müssen bundesweit einheitlic­he Kriterien gelten.

Die Thüringer Bundestags­abgeordnet­e Iris Gleicke (SPD) verwies darauf, dass sich 62 Prozent der 138 als struktursc­hwach eingestuft­en Regionen in den neuen Ländern befänden. Selbst die wirtschaft­lich stärksten Städte reichten nicht an die Stärke vergleichb­arer Städte in Westdeutsc­hland heran, bekräftigt­e die Ost-beauftragt­e der Bundesregi­erung.

Widerspruc­h kam aus der Unionsfrak­tion im Bundestag. Die finanzpoli­tische Sprecherin der Unions-fraktion, Antje Tillmann, bezeichnet­e die Debatte als „entbehrlic­h“. Seit Jahren werde der Solidaritä­tszuschlag schon nicht mehr nur für die neuen Länder ausgegeben, sagte die Thüringer Abgeordnet­e gestern unserer Zeitung. Die Förderprog­ramme seien bereits teilweise von Himmelsric­htungen hin zu einer Förderung nach Struktursc­hwäche umgestellt.

Tillmann verwies zudem darauf, dass Bundesfina­nzminister Wolfgang Schäuble (CDU) bereit zugesagt habe, den Solidaritä­tszuschlag kontinuier­lich abzubauen.

Tiefensee warnt vor Förderloch

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