Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
Thüringen fordert neuen Solidarpakt – auch für den Westen
Mit dem Jahr 2020 laufen die Sonderzuschüsse aus. Neues Gutachten sieht Bedarf für Anschlussprogramm
Erfurt. Die Thüringer Regierung will um eine Neuauflage des Solidarpakts kämpfen. Laut Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) sollen jedoch die Gelder ab 2020 nicht mehr ausschließlich in den Osten fließen.
Stattdessen müssten strukturschwache Regionen in ganz Deutschland profitieren, sagte er gestern unserer Zeitung. Der Pfälzer Wald oder Norddeutschland seien genauso wie Artern oder Altenburg zu berücksichtigen, Es gehe auch um den Auftrag des Grundgesetzes, gleichwertige Lebensbedingungen in ganz Deutschland herzustellen. Ansonsten drohten ganze Regionen abgehängt zu werden.
Ein neues Gutachten im Auftrag von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) kommt zu dem Schluss, dass viele strukturschwache Regionen ohne zusätzliche Förderung den Anschluss vollständig verlieren.
Programme, die bisher auf Ostdeutschland begrenzt seien, müssten auf alle strukturschwachen Regionen ausgeweitet werden, etwa das Saarland und das Ruhgebiet. Eine Angleichung nur über marktwirtschaftliche Prozesse sei mehr als fraglich, erklärten die Wissenschaftler.
Für Thüringen stellt die Studie fest, dass sich die Zahl der Erwerbspersonen bis zum Jahr 2035 um etwa ein Drittel reduzieren werde. Damit wäre der Rückgang dreimal so hoch wie im Bundesdurchschnitt. Nur in Sachsen-anhalt ist die Prognose noch düsterer.
Wie alle ostdeutschen Länder stehe Thüringen weiterhin vor „spezifischen Herausforderungen“, sagte Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) unserer Zeitung. Zwar habe sich die Unterscheidung von Fördergebieten nach Himmelsrichtung überholt. Dennoch müsse der Schwerpunkt auch in Zukunft im Osten liegen. Thüringen dürfe nicht in ein Förderloch fallen.
Auch Gabriel forderte gestern ein gesamtdeutsches Fördersystem, das den „gesellschaftlichen Zusammenhalt“auch nach Auslaufen des Solidarpaktes stärke. Gerade strukturschwache Regionen seien vom demografischen Wandel betroffen.
Die Spd-bundestagsfraktion signalisierte Zustimmung zu einem neuen Pakt – und sprach sich gleichzeitig für den Erhalt des Soli-zuschlags aus. Das Steueraufkommen müsse stabilisiert werden, um auch ab 2020 jenseits des Länderfinanzausgleichs eine Strukturförderung zu ermöglichen, die den Osten „klar im Fokus“habe, sagte Vizechef Carsten Schneider. Laut dem Erfurter Abgeordneten müssen bundesweit einheitliche Kriterien gelten.
Die Thüringer Bundestagsabgeordnete Iris Gleicke (SPD) verwies darauf, dass sich 62 Prozent der 138 als strukturschwach eingestuften Regionen in den neuen Ländern befänden. Selbst die wirtschaftlich stärksten Städte reichten nicht an die Stärke vergleichbarer Städte in Westdeutschland heran, bekräftigte die Ost-beauftragte der Bundesregierung.
Widerspruch kam aus der Unionsfraktion im Bundestag. Die finanzpolitische Sprecherin der Unions-fraktion, Antje Tillmann, bezeichnete die Debatte als „entbehrlich“. Seit Jahren werde der Solidaritätszuschlag schon nicht mehr nur für die neuen Länder ausgegeben, sagte die Thüringer Abgeordnete gestern unserer Zeitung. Die Förderprogramme seien bereits teilweise von Himmelsrichtungen hin zu einer Förderung nach Strukturschwäche umgestellt.
Tillmann verwies zudem darauf, dass Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) bereit zugesagt habe, den Solidaritätszuschlag kontinuierlich abzubauen.
Tiefensee warnt vor Förderloch