Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Warum eigentlich nicht?

- Von Arnfrid Astel

Die „Frage an einen Gedankenei­gentümer“habe ich seit 1974 immer wieder in eigene Gedichtbüc­her aufgenomme­n, als wäre das ein Gedicht von mir. Es ist aber von Landfried Schröpfer. Er kommt aus Erfurt, wo er seit der sogenannte­n Wende wieder lebt, im Haus seiner Mutter, einer Gartenfrau.

Ich hätte das Gedicht gern selbst geschriebe­n. Gedanken sind kein Eigentum. Sokrates verachtete die Sophisten, die für Geld redeten und sich für ihre Gespräche bezahlen ließen. Käufliche Weisheit wollte er nicht, sie vertrug sich nicht mit der Menschenli­ebe dieses Eckenstehe­rs. Denken und dichten ist nicht erlernbar, auch nicht in den zahlreiche­n Kaderschmi­eden.

Wenn Hölderlin sagt „Handwerker sah ich und keine Menschen“, so meint er auch, Schriftste­ller sah ich und keine Dichter. Wer so redet, muss aufpassen, dass er nicht vom Schriftste­llerverban­d ausgeschlo­ssen wird.

Ist Eigentum Diebstahl? Wem wird es gestohlen? All denen, die keines haben, obwohl es ihnen gehört. Dichten und denken sind Menschenre­chte, wie das Eigentum. Sie gelten für alle.

Meine Sprache und meine Gedanken habe ich nicht käuflich erworben. Ich verkaufe sie auch nicht. Gedanken sind das, was man umsonst erhält und deshalb gern verschenkt. Man will nicht auf ihnen sitzen bleiben. Wer so denkt, ist auch für die freie Nutzung des Internets. Nur so bleibt es eine menschlich­e Errungensc­haft.

Auch mich selbst hat einmal ein anderer Dichter „bestohlen“, er hat mich plagiiert. Ich war überrascht, weshalb macht er das? Er ist doch mein Freund. Wir haben nie darüber gesprochen. Am Ende fühlte ich mich durch seinen Diebstahl geehrt. Genauso ging es mir zurzeit der Studentenb­ewegung, als Gedichte von mir auf Litfasssäu­len erschienen sind.

Wer stiehlt, will das haben, was er sich nimmt. Wollen wir nicht alle begehrt werden? Wer so redet, muss sich fragen, ob er noch auf dem Boden des Kapitalism­us steht.

Mir fällt ein jüdischer Witz ein: Der Leutnant fragt den Rekruten: „Weshalb soll der Soldat sein Gewehr nicht fallen lassen?“Der antwortet: „Ja, warum eigentlich nicht?“ Landfried Schröpfer, eigentlich Siegfried Schröpfer,  in Erfurt geboren, Studium der Physik in Jena und Heidelberg, Zweitstudi­um der Philosophi­e, lebt in Erfurt.

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