Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
Hue de Grais: Pläne für Die historischen Wandbespannungen sollen im Spätsommer in zwei Zimmern des Wolkramshäuser Gutshauses wiederan
Wolkramshausen. Das weiße Tuch ist frisch übergeworfen, die nächsten Tage will Manfred Werthern in diesem Himmelbett nächtigen. Jenem Bett, in dem sein Urgroßvater gestorben ist: 1922, umgeben von barocker Pracht. Manfred Werthern (71) wird auf einer Baustelle schlafen: Der Raum zwei Türen weiter wird demnächst so wie vordem einen Anhydritestrichboden erhalten, daneben sind die Wände frisch geputzt.
Jakob, der als Zweitjüngster seiner acht Kinder gerade das Abitur in Schnepfenthal macht und seine ersten Jahre in Wolkramshausen verbracht hatte, sei mit dem Erbe sehr verbunden, erzählt Manfred Werthern. „Die älteren Kinder sehen die Dinge distanzierter, vor allem wegen der finanziellen Lasten.“Er lächelt, spricht von einer „Verpflichtung“, die er seinen Vorfahren gegenüber empfinde, von Verantwortung als Ururenkel von Robert Hue de Grais, einst preußischer Regierungspräsident.
Wie schwer die Last wiegen kann – auch in finanzieller Hinsicht –, hat er erfahren. Umso dankbarer ist er, dass er von seiner Frau unterstützt wird. Ihr zuliebe war er 2003 von Wolkramshausen nach München gezogen.
Manfred Werthern, groß gewachsen, breitschultrig, der Rücken sehr gerade, kam vorhin aus der Isar-metropole mit dem Zug. Dort ist er als Anwalt für Medizinrecht tätig, verdient das Geld, das er größtenteils in das hiesige Familienerbe steckt.
Er bittet die große Sandsteintreppe hinauf ins Herrenhaus. Der Stein auf dem Boden des Entrées ist verlegt, die Wände bekamen jüngst einen frisch grünen Kalkanstrich mit rosa Beistrich.
Dann das Landschaftszimmer: Die Wände, mit grobem Leinen bespannt, sind bereit, große Kunst aufzunehmen, die so prägend ist für dieses Gutshaus: Bespannungen, die vor mehr als 300 Jahren geschaffen wurden, darauf Landschaften in Öl. In den 1980er- und 90er-jahren waren sie abgenommen worden, weil das Herrenhaus saniert werden sollte. Sie verschwanden – auf Holzrahmen gespannt – zwischen Seidenpapier, sind aber stets in der Hand der Eigentümer geblieben.
Manfred Werthern erzählt, dass auch sein Vetter Robert und seine Cousine Gudrun von Lucius, die nach der Erbteilung das Nebengebäude und die landwirtschaftlichen Flächen erhielten, die Absicht unterstützen, das Interieur des Haupthauses wiederherzustellen.
Er zeigt Schwarz-weiß-fotografien, berichtet vom starken Einfluss des Dresdner Hofs: Künstler von dort verbrachten mehrere Jahre im Haus, um die repräsentativen Räume mit Wandbespannungen zu dekorieren – so, wie etwa auch im Schloss Moritzburg. Vorlagen waren Kupferstiche berühmter Gemälde, etwa eines „Watteau“im Louvre.
Es geht um rund 220 Quadratmeter Wandbespannung. Im Landschafts- und im sogenannten Schiffszimmer sollen diese im Spätsommer wiederangebracht werden. Über die Art und Weise macht sich eine Restauratorin Gedanken, das bemalte Leinen soll aber mit Sicherheit wieder abzunehmen sein. Vielleicht, sagt der 71-Jährige, sei in zehn Jahren doch Geld da, sie abschließend zu restaurieren.
Er will nicht klagen, zumal private Stiftungen unter dem Dach der Deutschen Stiftung Denkmalschutz 50 000 Euro geben wollen für das Wiederanbringen der Bespannungen.
Doch gilt es bis dahin noch Hürden zu überwinden: Zum einen fordert das Landesamt für Denkmalpflege, dass die Fenstergitter im Erdgeschoss an der Straßenseite endlich angebracht werden; zum anderen müssen die Sanierungsarbeiten drinnen abgeschlossen sein. Drei von Werthern engagierte Bauleute aus Polen tun ihr Bestes.
Für Ende dieses Monats hat sich Thomas Nitz, der zuständige Gebietsreferent beim Landesamt für Denkmalpflege, angemeldet. Bittet man ihn, das Geschehen im „Hue de Grais“zu beurteilen, sagt er: „Der Wille ist erkennbar, aber es geht schleppend voran.“Er erkennt wohlwollend an, dass die statischen Probleme im Dachgeschoss inzwischen beseitigt sind. Dass Sanitärund Elektroanlagen fertig sind, der Schwamm beseitigt wurde. Mit den bisherigen Sanierungskosten hätte man locker ein komfortables Einfamilienhaus errichten können, sagt Manfred Werthern.
Aber die Fenster zum Beispiel, so Nitz, müssten dringend abgedichtet werden, soll die Bausubstanz nicht unter eindringender Feuchtigkeit leiden.
Nachdem das Gut 2002 wieder in Familienbesitz übergegangen war, sei die finanzielle Förderung gedrosselt worden, meint der Eigentümer. Unmittelbar nach der Wende gab es große Pläne: Ein 1994 gegründeter Förderverein erreichte auch tatsächlich sein Ziel, im Nebengebäude ein Rechtsgeschichtliches Museum einzurichten. Für das Herrenhaus war viel Geld da: „Rund 300 000 DM sollen allein restauratorische Untersuchungen gekostet haben“, sagt Werthern.
Nach seinen Worten sind vor der Rückübertragung rund 2,4 Millionen DM geflossen: für die Dachsanierung, für eine bessere Statik, für das Entkernen der Räume, für das Trockenlegen des Fundaments. Die Bibliothek wurde fertig – das sich daran anschließende Herrenhaus nicht.
Manfred Werthern übernahm eine Baustelle. Die ist es noch immer – entsprechend schlägt ihm von manchem Dorfbewohner Argwohn entgegen. Und auch die Tatsache, dass mit seinem Einzug das Ende der Museumspläne besiegelt war, ist nicht vergessen. Zumal so viele andere Nutzungsideen nach wie vor nicht umzusetzen sind: Von Konzerten war einst die Rede, von Ausstellungen und Musikkursen, von einer Ausbildungsstätte für Heilberufe.
Das Landesamt für Denkmalpflege veröffentlichte im April ein Gutachten, in dem das „Hue de Grais“zwar als „mittelfristig gesichert“eingestuft ist, doch das Fehlen eines tragfähigen Nutzungskonzepts kritisiert wird.
Manfred Werthern hält dagegen: Wenn die Wandbespannungen im Landschaftszimmer wiederangebracht sind und auch die dreiseitige Treppenanlage fertig ist, könne ein Trauzimmer eingerichtet werden. Für die Außentreppe habe er sich um Leader-förderung bemüht, jedoch vergebens.
Wandbespannungen lagern in Seidenpapier
Private Stiftungen geben 50 000 Euro
Idee eines Trauzimmers nicht ad acta gelegt
Dieser Mann kann sich noch immer gut Konzerte im Haupthaus oder in der Scheune vorstellen. Und er hat den barocken Park im Blick: Die Parkanlagen Bendeleben, Sondershausen, Hohenrode, Ebeleben und Wolkramshausen könnten unter der Verantwortung der Deutschen Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur zu einem Parknetz verbunden und so effektiver vermarktet werden, sagt er. „Gartentourismus ist in.“
Der Park von Hue de Grais gelte thüringenweit als einzigartig in seiner Substanz aus dieser Zeit, erklärte Gartendenkmalpfleger Martin Baumann vor neun Jahren. Es gibt sie noch immer, die dreiseitige Parkmauer, Heckengänge, Querwege, Teiche. Doch könnte, das muss Manfred Werthern einräumen, vieles besser sein: Der Springbrunnen sprudelt nicht mehr, die Hainbuchenhecken wachsen und wachsen.
Auf Vordermann bringen will er den Park, wenn das Herrenhaus fertig ist. Wann das sein werde? Der 71-Jährige weiß es nicht. Er hofft, dass seine Kräfte noch einige Zeit reichen.
Er hat noch immer diesen Traum: Einmal ins „Hue de Grais“kommen, im Himmelbett liegen und in der Barockzeit aufwachen. Es soll wieder fast so aussehen wie 1956 – bis dahin hatte sich seit 1756 kaum etwas verändert.