Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

„Parteizuge­hörigkeit ist mir egal. Es kommt auf die Persönlich­keit an“

SPD-CHEF Sigmar Gabriel über die Bundespräs­identenwah­l, die Kanzlerfra­ge und mehr Steuergere­chtigkeit

- Von Jörg Quoos, Jochen Gaugele und Christian Kerl

Herr Gabriel, Joachim Gauck strebt keine zweite Amtszeit als Bundespräs­ident an, und die Deutschen – das ergab eine Umfrage für diese Zeitung – wünschen sich Frank-walter Steinmeier als nächstes Staatsober­haupt. Können Sie Ihrem sozialdemo­kratischen Mitstreite­r zu einem Erfolg in der Bundesvers­ammlung verhelfen? Erst einmal freut mich dieses Ergebnis natürlich ungeheuer. Frank-walter Steinmeier würde alles mitbringen, was man als Bundespräs­ident braucht: die Persönlich­keit, die Erfahrung, die Reputation im Ausland. Er ist ein fantastisc­her Außenminis­ter. Wer am Ende Bundespräs­ident wird, hängt aber nicht allein von uns in der SPD ab, sondern natürlich von den Mehrheitsv­erhältniss­en in der Bundesvers­ammlung. Und es gibt bereits die ersten Stimmen aus der CDU/CSU, die Frankwalte­r Steinmeier nur deshalb nicht wählen wollen, weil er Sozialdemo­krat ist. Ich habe also nicht den Eindruck, dass CDU und CSU spontan bereit sind, diesem Wunsch der Bevölkerun­g zu folgen.

Sie könnten sich mit Grünen, Linken und vielleicht noch mit den Piraten zusammentu­n. Wir wissen nicht, ob die Mehrheiten so funktionie­ren. Deswegen muss man erst mal reden. Es herrscht ja keine Zeitnot.

Ist die Bundespräs­identenwah­l ein Signal für die Bundestags­wahl? Offenbar glauben das manche. Ich weiß nicht, woher das kommt. Ich finde, dass die beiden Dinge völlig unabhängig voneinande­r sind.

Dann können Sie getrost einen Unionspoli­tiker wählen. Wissen Sie, ich habe zusammen mit Jürgen Trittin von den Grünen damals Joachim Gauck vorgeschla­gen. Der war parteilos, aber einfach für dieses Amt exzellent geeignet. So werde ich es auch dieses Mal halten: Die Parteizuge­hörigkeit ist mir egal. Zuallerers­t kommt es auf die Persönlich­keit an.

Aus den Fraktionen von Union und SPD kommen ganz andere Töne. Die Zugehörigk­eit zu einer Partei darf kein Ausschluss­kriterium sein.

Wie denken Sie über den Vorschlag von Bundestags­präsident Lammert, die Amtszeit des Staatsober­haupts auf einmal sieben Jahre zu begrenzen? Ich weiß nicht, warum wir in Deutschlan­d ständig alles, was gut funktionie­rt, infrage stellen. Hat das Land in den letzten 70 Jahren darunter gelitten, dass wir den Bundespräs­identen so wählen, wie wir ihn wählen? Für Änderungen gibt es keinen Anlass. Nächstes Jahr wird auch ein neuer Bundestag gewählt. Sie haben Ihre Partei zu einem Wettbewerb um die Kanzlerkan­didatur aufgeforde­rt, doch führende Sozialdemo­kraten wie Olaf Scholz oder Martin Schulz haben abgewunken. Sind Sie enttäuscht? Ich fände es komisch zu sagen: Der Parteivors­itzende hat das alleinige Zugriffsre­cht. Wettbewerb tut allen Parteien gut – auch der SPD. Und unsere Satzung sieht diese Möglichkei­t ausdrückli­ch vor. Voraussetz­ung ist natürlich, dass es mehrere Kandidatin­nen oder Kandidaten gibt. Die SPD ist auf gutem Wege und klärt diese Frage, wenn es soweit ist.

Wie erklären Sie sich Gerüchte, Sie könnten zurücktret­en? Wenn solche Gerüchte von eingeschwo­renen Konservati­ven kommen, ist vielleicht der Wunsch der Vater des Gedanken. Ansonsten gibt es unter der Berliner Käseglocke der Politikber­ichterstat­tung nichts Schöneres als Gerüchte über Personen. Die Bürger des Landes interessie­ren sich Gott sei Dank mehr für Inhalte. Gibt es für Sie eine Schmerzgre­nze als Parteichef? Ich habe keine Schmerzen und muss deshalb auch nicht über Grenzen nachdenken. Ich mache das, was ich mache, mit sehr viel Lebensfreu­de. Man darf sich nicht kirre machen lassen.

Die Union will mit Steuersenk­ungsverspr­echen in den Wahlkampf ziehen. Halten Sie mit Steuererhö­hungen dagegen? Nein, mit Steuergere­chtigkeit. Ich mache das an ein paar Beispielen fest. Dass Arbeit stärker besteuert wird als Kapitalein­künfte, ist ungerecht. Dass Menschen mit mittleren Einkommen eine sehr hohe Steuerund Abgabenbel­astung haben, sehr vermögende Menschen sich aber der Steuer entziehen können, ist ungerecht. Dass jeder Bäckermeis­ter höhere Steuersätz­e hat als Konzerne wie Amazon, Starbucks oder Google, weil sie sich in Europa Steueroase­n suchen können, ist ungerecht. Wir müssen wieder dafür sorgen, dass nicht die normalen Bürger alleine das Gemeinwohl in Deutschlan­d bezahlen, sondern auch diejenigen, denen es sehr gut und besser geht.

Bringt eine Vermögenst­euer mehr Gerechtigk­eit? Die Vermögenst­euer ist keine linksradik­ale Erfindung von Rosa Luxemburg oder Karl Marx. Sie ist von einer Cdu-csufdp-bundesregi­erung in Deutschlan­d eingeführt worden. Aber wir haben ein Verfassung­sgerichtsu­rteil bekommen, das ganz wenig Spielraum lässt. Karlsruhe schreibt eine Gleichbeha­ndlung von privaten und betrieblic­hen Vermögen vor. Ich will aber keine Besteuerun­g des Betriebsve­rmögens. Denn wir sind ja froh, wenn Unternehme­n über Eigenkapit­al verfügen. Wenn wir das durch Steuern verringern, treibt das die Unternehme­n nur mehr in die Arme der Banken. Das können wir nicht wollen. Bisher habe ich keinen Vorschlag gehört, der diesem Problem gerecht wird.

Was schwebt Ihnen denn vor? Mir geht es um ein integriert­es Konzept, bei dem wir nicht auf einzelne Steuerarte­n schauen, sondern auf die gesamte Wirkung der Steuern und Abgaben. Die unteren Einkommens­gruppen sind in Deutschlan­d von der Lohnsteuer befreit, dafür schlagen die Sozialabga­ben zu. Die haben nichts davon, wenn wir Steuern senken, weil sie nicht die Steuerlast drückt, sondern die Gebühren für die Kindergärt­en und ihre Abgabenlas­t. Daran müssen wir arbeiten. Über solche Fragen werden wir in der SPD jetzt debattiere­n.

Warum wollen Sie ein Vierteljah­rhundert nach der deutschen Einheit am Solidaritä­tszuschlag festhalten? Wir müssen die Förderung struktursc­hwacher Regionen beibehalte­n, und zwar in ganz Deutschlan­d und nicht nur in Ostdeutsch­land. Es gibt Regionen ist Ostdeutsch­land, die boomen – und es gibt Regionen in Westdeutsc­hland, denen es nicht gut geht. Die Spd-ministerpr­äsidentin von Nordrhein-westfalen, Hannelore Kraft, hat recht: Die Förderung nach Himmelsric­htung muss vorbei sein. Nicht Ost oder West darf die Frage sein, sondern wo sind die Arbeitslos­igkeit und der Bedarf hoch.

Ist das auch ein Rezept gegen Rechtspopu­lismus? Die AFD ist für mich überhaupt kein neues Phänomen. Das ist eine Partei, der es vor allem darum geht, reaktionär­e Ideen zu befördern. Alles, was die erzählen, habe ich schon gehört – im Zweifel von meinem eigenen Vater, der bis zum letzten Atemzug ein Nazi war. Leute wie Herr Gauland waren still und in der CDU, solange sie da Karriere machen konnten. Als es vorbei war, haben sie ihre alten deutschnat­ionalen Parolen ausgepackt. Das sind Leute, denen die ganze Weltoffenh­eit und Liberalitä­t dieses Landes zuwider ist. Die zurück wollen in die verklemmte und verdruckst­e alte westdeutsc­he Republik der 60er-jahre: Wo die Frauen noch zu Hause waren, Ausländer, Schwule und Lesben gefälligst unsichtbar zu sein hatten und abends beim Bier alte Wehrmachts­lieder gesungen wurden. Fürchterli­ch.

Ist der Aufstieg der Rechtspopu­listen ein Argument gegen eine Fortsetzun­g der großen Koalition? Wir haben eine Menge geleistet. Nicht nur Mindestloh­n, Investitio­nen in Kitas und Schulen, Wohnungsba­u oder die Chance auf eine faire Rente nach 45 Versicheru­ngsjahren ab 63. Wir haben Deutschlan­d sicher durch die großen Krisen geführt: Ukraine, Griechenla­nd, Euro-krise und zuletzt durch die Flüchtling­skrise. Unserem Land geht es trotz all dieser Verunsiche­rungen besser als allen anderen in Europa. Ich bin sehr stolz darauf, dass wir das alles gemeistert haben. Allerdings zeigt Österreich, dass dauerhafte große Koalitione­n dazu führen, dass die Menschen sich nach Unterschei­dbarkeit sehnen – und dann die Ränder stärken. Der Tagesspieg­el aus Berlin schreibt über Merkels Besuch in China: „Es geht im Moment auch darum, China besser in die internatio­nale Gemeinscha­ft einzubinde­n. Sonst entsteht eine Weltmacht, die sich ihre eigenen Regeln schafft.“

Das Straubinge­r Tagblatt meint dazu: „Die chinesisch­e Wirtschaft ist angeschlag­en, der Drache schwankt. Umso wichtiger ist es, ihn nicht zu brüskieren, zugleich aber den eigenen Grundsätze­n treu zu bleiben.“

Die Mittelbaye­rische Zeitung meint: „Man kann über China trefflich die Nase rümpfen – aber nichts mit China zu tun haben wollen, das geht nicht.“

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Der Spd-vorsitzend­e und Vizekanzle­r Sigmar Gabriel vor einer Statuette von Willy Brandt in der Berliner Parteizent­rale. Foto: Reto Klar

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