Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Trügerisch­er Ausweg

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Markus Stelle über das Zittern vor dem britischen Referendum

Lasst sie ziehen. In zehn Tagen stimmen die Briten über die Eu-mitgliedsc­haft ihres Landes ab. Der Takt der Umfragen beschleuni­gt sich. Alles, was sie erkennen lassen, ist: Es wird eng.

Gut möglich, dass die „Brexit“-befürworte­r am Ende triumphier­en – auch wenn das bedeutet, dass eine knappe Mehrheit ein waghalsige­s politische­s Experiment zu verantwort­en hat, das fast die Mehrheit der Briten ablehnt.

Über 70 Jahre nach Kriegsende fällt es vielen offenkundi­g schwer, die zwingende Logik hinter dem europäisch­en Projekt zu akzeptiere­n.

Zu abstrakt scheint der Verlust. Die europäisch­e Friedensor­dnung? Die Briten werden auch nach dem Austritt Freunde bleiben. Das gemeinsame Gewicht in der Weltpoliti­k? Londons Allianz mit Washington war bislang wirkungsvo­ller als die mit Brüssel. Das schlagbaum­freie Reisen? Der Weg von der Insel aufs Festland wird immer ein wenig umständlic­h bleiben. Bleibt der Binnenmark­t. Hier haben die Briten am meisten zu verlieren, die Prognosen schwanken zwischen Schulterzu­cken und nackter Panik.

Was genau aber haben die Insulaner eigentlich zu gewinnen? Weniger Zuwanderun­g? Weniger Gängelung? Vielleicht auch nur die Freiheit, eigene Fehler zu machen?

Die Welt wird mit dem Euaustritt nicht unkomplizi­erter, die Politiker nicht klüger. Die Erlösung, die sich viele Briten von ihrem trotzigen Referendum erhoffen, ist ein Trugbild.

Vielleicht kann ein „Brexit“heilsame Kraft entfalten. Die Frage nach den Konsequenz­en eines Austritts würde eine konkrete Antwort erfahren – und manchem Eu-skeptiker die Augen öffnen.

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