Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Tanznacht endet als Albtraum

Mehr als 300 Menschen waren da, als ein Schütze das Feuer eröffnete. Die Polizei forscht nun nach den Gründen

- Von Gabriele Chwallek

Orlando. Christophe­r Hansen glaubte zuerst, dass es die Musik war. Dann sah er, wie sich Leute auf den Boden warfen, andere zum Ausgang flohen. „Es war ein Bang, Bang, Bang – eines nach dem anderen. Es dauerte so lange wie ein Song.“

Auch Rosie Feba nahm es zuerst nicht ernst, als ihre Freundin ihr sagte: „Jemand schießt.“Bis sie den Unbekannte­n mit der Waffe sah. Die beiden Frauen rannten, nahmen auf ihrem Weg einen Verletzten mit, der Ärmel seines T-shirts blutgeträn­kt. Andere wählten die 911 – die Notrufnumm­er in den USA.

Rennen und Schutz suchen, Schreie und Blut – und immer wieder das „Bang, Bang, Bang“. Eine Nacht, in der die Menschen im Schwulencl­ub «Pulse» einfach nur tanzen und sich amüsieren wollten, verwandelt sich in einen Alptraum.

Der betroffene Club ruft auf zum Gebet

„Pulse“ist ein überaus populärer Club in der Us-stadt Orlando, bezeichnet sich selbst als heißeste Schwulenba­r – immer proppenvol­l, aber an diesem Samstagabe­nd besonders. Schließlic­h ist Juni der „Gay Pride Month“, in dem Schwule, Lesben, Bi- und Transsexue­lle die Fortschrit­te feiern, die sie nach langen Jahren gesellscha­ftlicher Diskrimini­erungen erreicht haben. Und dann stand im Club eine „Latin Night“auf dem Programm, mit heißen Rhythmen und kühlen Drinks.

Mehr als 300 Menschen, so hieß es später, waren da, als der Schrecken begann, viele von ihnen auf der Tanzfläche, einen letzten Tanz vor der Schließung des Clubs um 2 Uhr. Es war das erste Mal, dass Rosie Feba ihre Freundin in den Club mitgebrach­t hatte, wie sie dem „Orlando Sentinel“schilderte. Beide gehörten zu den Glückliche­n, blieben unversehrt und konnten anderen noch helfen.

Auch Hansen wurde zum Retter: Er stillte das Blut eines Angeschoss­enen mit seinem Halstuch und hob den Mann zusammen mit anderen Helfern auf die Ladefläche eines Pickup. Es sei schrecklic­h gewesen, sagte er der Zeitung. „Überall Pfützen von Blut.“

Stundenlan­g, nachdem der Schütze das Feuer eröffnet hatte, herrschte Unklarheit darüber, was sich drinnen im Club abgespielt hatte. Dass es schlimm war, darauf deutete zuerst ein Aufruf des Clubs auf der eigenen Facebook-seite hin: „Verlasst Pulse und rennt.“Wer in den USA zu dieser frühen Morgenstun­de noch oder schon vor dem Fernseher saß, sah dann Bilder von Streifenwa­gen mit blinkenden Lichtern, hier und da ein Krankenwag­en, nicht viel mehr: Die Polizei hatte das Gelände weiträumig abgeriegel­t. Dann eine nur knapper Tweet der Polizei, der auf zahlreiche Opfer hindeutete.

Später die ersten Berichte von Augenzeuge­n, darunter Ricardo Negron Almodovar, der knapp den Schüssen entging. „Leute auf dem Tanzboden und an der Bar warfen sich hin, und einige von uns schafften es zur Tür nach draußen und rannten“, postete er auf Facebook.

José Torres arbeitet in einem rund um die Uhr geöffneten Donut-shop auf der Straßensei­te gegenüber des Clubs. „Es war etwas, was ich noch nie gesehen habe“, zitierte ihn der Fernsehsen­der CNN. „Ich habe eine Menge Leute gesehen, schreiend, weinend. Einfach schreiend und herausrenn­end, wie verrückt.“

Eine Pressekonf­erenz der Polizei wird verschoben, die Situation sei noch im Fluss, hieß es. Da hatten sich vor Krankenhäu­sern schon Freunde und Angehörige von Clubbesuch­ern versammelt, manche von ihnen waren per Handy von ihren Lieben drinnen alarmiert worden, schilderte­n praktisch live, dass geschossen werde, überall Blut sei. Unter den Wartenden war eine Mutter, ihr Sohn hatte ihr in einem kurzen Anruf gesagt: „Ich bin getroffen worden.“Hat er überlebt, wird im Krankenhau­s versorgt? Die Mutter weint: „Ich weiß es nicht. Niemand kann es mir sagen.“

Am Morgen bestätigt die Polizei das Ausmaß des Blutvergie­ßens. Bürgermeis­ter Buddy Dyer spricht von 50 Toten, 53 Verletzten.

Und natürlich taucht sofort die Frage nach dem Warum auf. War es ein Verbrechen aus Schwulenha­ss, spielte radikaler Islamismus eine Rolle? „Wir gehen allen Aspekten nach“, sagt die Polizei. Zu diesen Zeitpunkt wissen viele Menschen immer noch nicht, ob ihre Angehörige­n überlebt haben. „Wir müssen stark sein“, sagt Orlandos Bürgermeis­ter. Und der Club postet einen Aufruf zum Gebet. dpa

 ??  ?? Polizisten und Reporter warten vor dem Club „Pulse“in Orlando, in dem der Täter zu diesem Zeitpunkt Geiseln genommen hat. Drei Stunden später wurden die Geiseln gewaltsam befreit. Foto: Univision Florida Central, dpa
Polizisten und Reporter warten vor dem Club „Pulse“in Orlando, in dem der Täter zu diesem Zeitpunkt Geiseln genommen hat. Drei Stunden später wurden die Geiseln gewaltsam befreit. Foto: Univision Florida Central, dpa

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