Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
So schützt die Justiz ihre Zeugen
Aus Angst muss kein Zeuge Gerichtsprozessen fernbleiben. Die Justiz ist auf solche Situationen eingestellt. So müssen zum Beispiel Opfer nicht unverhofft auf dem Gerichtsflur ihrem Peiniger begegnen
Nordhausen. Vom separaten Warteraum über Spielzimmer bis hin zum persönlicher Beistand: Thüringer Gerichte versuchen Opfern von Verbrechen die oft psychisch aufreibende Aussage im Prozess zu erleichtern. Insgesamt wird der Bedarf an spezieller Betreuung aber als gering eingeschätzt, wie eine Umfrage der Deutschen Presseagentur ergab. In vielen Fällen werden den Betroffenen ein Anwalt oder Vertreter von Opferhilfeeineinrichtungen wie der Weiße Ring zur Seite gestellt.
„Kinder und Opfer von Stalkern haben oft Angst, den Angeklagten zu begegnen“, weiß der Nordhäuser Amtsgerichtsdirektor Henning Horstmeier. Wenn eine individuelle Betreuung notwendig ist, werde diese organisiert. Oft fehle allerdings der Platz für ein Kinderzimmer als idealer Rückzugsraum.
Wichtig sei, dass sich die Betroffenen nicht mit anderen Zeugen in einem gemeinsamen Wartebereich aufhalten müssen, erklärt die Direktorin des Amtsgerichts Sonneberg, Grit Stolze. „Vor allem bei Prozessen wegen Sexualstraftaten und in Familiensachen wird unser Anhörungszimmer wichtig.“Auch bei Opfern von Stalking oder häuslicher Gewalt sei dies der Fall. Die überwiegende Zahl der Zeugen brauche aber keine Hilfe, sagt Stolze.
„Eine statistische Erhebung über den Umfang von Zeugenbetreuung oder problematischen Zeugen gibt es nicht“, erläutert der Sprecher des Justizministeriums, Oliver Will. Bei einem Pilotprojekt sei bis zum Jahr 2000 an verschiedenen Landgerichten und dem Amtsgericht Erfurt eine psychologische Zeugenbetreuung eingerichtet worden. „Das Projekt wurde mangels Nachfrage eingestellt.“An allen vier Landgerichten gebe es Zeugenbetreuungsstellen, die bei Bedarf tätig werden. In Mühlhausen sind das zwei Mitarbeiterinnen. Sie hätten aber bisher keine Anfragen, erklärt Gerichtspräsident Norbert Hükelheim.
Der Altenburger Richter Sandy Reichenbach sieht es als Aufgabe des jeweils Vorsitzenden Richters, dem Nebenkläger besondere Fürsorge zukommen zu lassen. „Opfer von Gewalttaten brauchen unsere besondere Aufmerksamkeit“, betont er. Vieles könne schon im Vorfeld geklärt werden. Erfahrungsgemäß wollten die Betroffenen die Aussage vor Gericht rasch hinter sich bringen. Man müsse auch unterscheiden, ob es sich um traumatisierte oder gefährdete Zeugen handle.
Nebenklägervertreter spielten eine außerordentlich wichtige Rolle, auch Zeugenbeistände. „Den Angeklagten schließe ich nur ungern aus“, betont Reichenbach. Verängstigenden Opfern gebe er während der Aussage lieber eine Pause mehr. In einem Fall hat eine Zeugin, die Opfer häuslicher Gewalt wurde, nichts mehr sagen wollen. Als der Sohn, der hinten im Zuschauerraum zuhörte, das mitbekam, stand er selbst auf und machte doch noch eine Aussage.
Erfurter Projekt mangels Nachfrage eingestellt
Weißer Ring betreute im Vorjahr über 700 Opfer
Hilfe bekommen Betroffene bei Organisationen wie dem Weißen Ring. „Wir begleiten Opfer, so lange sie es wünschen“, sagt Petra Kubis vom Landesverband Thüringen. „Wir stärken die Betroffenen und nehmen Kontakt zu den Gerichten auf.“Fast jedes Gericht habe ein Zeugenzimmer. Es sei möglich, einen Tag vor dem Prozess den Gerichtssaal anzuschauen. Auch ein Gespräch mit dem Richter helfe, da sich das Prozedere von den Gerichtsshows im Fernsehen abhebe.
Während der Zeugenvernehmung setzten sich die ehrenamtlichen Mitarbeiter neben den Betroffenen und versperrten die Sicht zum Angeklagten. Sie haben ein Taschentuch dabei, wenn es emotional wird. Der Weiße Ring hat im vergangenen Jahr mehr als 700 Hilfesuchende betreut – Tendenz steigend. „Es müssten noch mehr Opfer ihre Rechte wahrnehmen“, betont Kubis. Fragen stellen und Schutz suchen sei wichtig und keine Frage des Geldbeutels. Zum Opferschutz gehöre auch, dass die Videotechnik für die Aussage von Zeugen im Kindesalter häufiger genutzt werde. Problematisch sieht sie, dass zwischen Tat und Prozess oft viel Zeit verstreiche. dpa