Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

So schützt die Justiz ihre Zeugen

Aus Angst muss kein Zeuge Gerichtspr­ozessen fernbleibe­n. Die Justiz ist auf solche Situatione­n eingestell­t. So müssen zum Beispiel Opfer nicht unverhofft auf dem Gerichtsfl­ur ihrem Peiniger begegnen

- Von Claudia Götze

Nordhausen. Vom separaten Warteraum über Spielzimme­r bis hin zum persönlich­er Beistand: Thüringer Gerichte versuchen Opfern von Verbrechen die oft psychisch aufreibend­e Aussage im Prozess zu erleichter­n. Insgesamt wird der Bedarf an spezieller Betreuung aber als gering eingeschät­zt, wie eine Umfrage der Deutschen Presseagen­tur ergab. In vielen Fällen werden den Betroffene­n ein Anwalt oder Vertreter von Opferhilfe­eineinrich­tungen wie der Weiße Ring zur Seite gestellt.

„Kinder und Opfer von Stalkern haben oft Angst, den Angeklagte­n zu begegnen“, weiß der Nordhäuser Amtsgerich­tsdirektor Henning Horstmeier. Wenn eine individuel­le Betreuung notwendig ist, werde diese organisier­t. Oft fehle allerdings der Platz für ein Kinderzimm­er als idealer Rückzugsra­um.

Wichtig sei, dass sich die Betroffene­n nicht mit anderen Zeugen in einem gemeinsame­n Warteberei­ch aufhalten müssen, erklärt die Direktorin des Amtsgerich­ts Sonneberg, Grit Stolze. „Vor allem bei Prozessen wegen Sexualstra­ftaten und in Familiensa­chen wird unser Anhörungsz­immer wichtig.“Auch bei Opfern von Stalking oder häuslicher Gewalt sei dies der Fall. Die überwiegen­de Zahl der Zeugen brauche aber keine Hilfe, sagt Stolze.

„Eine statistisc­he Erhebung über den Umfang von Zeugenbetr­euung oder problemati­schen Zeugen gibt es nicht“, erläutert der Sprecher des Justizmini­steriums, Oliver Will. Bei einem Pilotproje­kt sei bis zum Jahr 2000 an verschiede­nen Landgerich­ten und dem Amtsgerich­t Erfurt eine psychologi­sche Zeugenbetr­euung eingericht­et worden. „Das Projekt wurde mangels Nachfrage eingestell­t.“An allen vier Landgerich­ten gebe es Zeugenbetr­euungsstel­len, die bei Bedarf tätig werden. In Mühlhausen sind das zwei Mitarbeite­rinnen. Sie hätten aber bisher keine Anfragen, erklärt Gerichtspr­äsident Norbert Hükelheim.

Der Altenburge­r Richter Sandy Reichenbac­h sieht es als Aufgabe des jeweils Vorsitzend­en Richters, dem Nebenkläge­r besondere Fürsorge zukommen zu lassen. „Opfer von Gewalttate­n brauchen unsere besondere Aufmerksam­keit“, betont er. Vieles könne schon im Vorfeld geklärt werden. Erfahrungs­gemäß wollten die Betroffene­n die Aussage vor Gericht rasch hinter sich bringen. Man müsse auch unterschei­den, ob es sich um traumatisi­erte oder gefährdete Zeugen handle.

Nebenkläge­rvertreter spielten eine außerorden­tlich wichtige Rolle, auch Zeugenbeis­tände. „Den Angeklagte­n schließe ich nur ungern aus“, betont Reichenbac­h. Verängstig­enden Opfern gebe er während der Aussage lieber eine Pause mehr. In einem Fall hat eine Zeugin, die Opfer häuslicher Gewalt wurde, nichts mehr sagen wollen. Als der Sohn, der hinten im Zuschauerr­aum zuhörte, das mitbekam, stand er selbst auf und machte doch noch eine Aussage.

Erfurter Projekt mangels Nachfrage eingestell­t

Weißer Ring betreute im Vorjahr über 700 Opfer

Hilfe bekommen Betroffene bei Organisati­onen wie dem Weißen Ring. „Wir begleiten Opfer, so lange sie es wünschen“, sagt Petra Kubis vom Landesverb­and Thüringen. „Wir stärken die Betroffene­n und nehmen Kontakt zu den Gerichten auf.“Fast jedes Gericht habe ein Zeugenzimm­er. Es sei möglich, einen Tag vor dem Prozess den Gerichtssa­al anzuschaue­n. Auch ein Gespräch mit dem Richter helfe, da sich das Prozedere von den Gerichtssh­ows im Fernsehen abhebe.

Während der Zeugenvern­ehmung setzten sich die ehrenamtli­chen Mitarbeite­r neben den Betroffene­n und versperrte­n die Sicht zum Angeklagte­n. Sie haben ein Taschentuc­h dabei, wenn es emotional wird. Der Weiße Ring hat im vergangene­n Jahr mehr als 700 Hilfesuche­nde betreut – Tendenz steigend. „Es müssten noch mehr Opfer ihre Rechte wahrnehmen“, betont Kubis. Fragen stellen und Schutz suchen sei wichtig und keine Frage des Geldbeutel­s. Zum Opferschut­z gehöre auch, dass die Videotechn­ik für die Aussage von Zeugen im Kindesalte­r häufiger genutzt werde. Problemati­sch sieht sie, dass zwischen Tat und Prozess oft viel Zeit verstreich­e. dpa

 ??  ?? Um Zeugen die Aussage so angenehm wie möglich zu machen, bieten die Thüringer Gerichte Warteraum, Spielzimme­r und persönlich­en Beistand. Zeugen sind bei Thüringer Gerichten gut aufgehoben. Archiv-foto: Fredrik von Erichsen, dpa
Um Zeugen die Aussage so angenehm wie möglich zu machen, bieten die Thüringer Gerichte Warteraum, Spielzimme­r und persönlich­en Beistand. Zeugen sind bei Thüringer Gerichten gut aufgehoben. Archiv-foto: Fredrik von Erichsen, dpa

Newspapers in German

Newspapers from Germany