Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
Eine bemerkenswerte Zusammenkunft
Kunstausstellung „Face to face“versammelt im Thüringer Museum Eisenach Bilder und Skulpturen zu Martin Luther und Martin Luther King jr.
Eisenach. Picasso, Zigarette im Mundwinkel, legt die Hand auf Martin Luther Kings Schulter gelegt, der seinerseits einen schwarzen Jungen mit beiden Händen umschließt. Hinter Picasso winkt Neruda. „Eines Tages werden die Menschen wie Brüder leben“, heißt das Breitwandgemälde von 1974/75, auf dem auch Mahalia Jackson, Louis Armstrong oder Fidel Castro zu sehen sind.
Und die Künstlerin im Selbstporträt: Susanne Kandt-horn, geboren 1914 in Eisenach. Sie starb am 11. Juni 1996 auf Usedom. Auf den Tag genau 20 Jahre später eröffnete das Kulturamt Eisenach die Ausstellung „Face to face“im Thüringer Museum, die (Wieder-)entdeckungen wie diese ermöglicht.
Face to Face, also vis-à-vis, also von Angesicht zu Angesicht blickt dieses auf ein kleineres Gemälde Kandt-horns. Es versammelt Goethe und Schiller, die Kollwitz und Lenin, Luther und Luther King jr.: „Merkwürdige Zusammenkunft oder Napoleon war nicht geladen“.
Eine merkwürdige oder bemerkenswerte Zusammenkunft imaginierte Martin Luther King jr. einst auf den roten Hügeln von Georgia, wo „die Söhne früherer Sklaven und die Söhne früherer Sklavenhalter miteinander am Tisch der Brüderlichkeit sitzen können.“
Er hatte einen Traum: dass zusammenkommt, was nicht zueinander passte. In Eisenach geschieht dergleichen mit Kunst. Über vier Jahrhunderte hinweg begegnet der Mönch und Reformator Luther dem Baptistenpastor und Bürgerrechtler Luther King von Angesicht zu Angesicht: Büsten der Künstler Eckardt Mater und Rolf Magerkord versinnbildlichen das.
Die Werke von 31 Künstlern (HAP Grieshaber, Ruth Tesmar, Ulrich Kneise, Gert Weber) trug das Kulturamt, mit dem Martinluther-king-zentrum Werdau, zusammen, einige hat es speziell für diese Schau angeregt.
So findet sich Luther King bei Johannes Heisig, dessen Vater Bernhard mit zwei späten Luther-porträts vertreten ist, im Albtraum wieder: auf einer „Via Dolorosa“inmitten des Pegidapöbels. Derart übertrug er ein Passionsmotiv ins Heute, den Leidensweg von Jerusalem nach Dresden, wo das Nichtverstehenwollen eine Heimstatt fand. Der Bürgerrechtler gerät hier in einen Marsch der Unzufriedenen – und des Unfriedens.
Beim Friedensmarsch haken sich Luther und Bonhoeffer bei ihm ein, auf dem Diepholzer Konfirmationsschein des Grafikers Hartmut R. Berlinicke, der das Trio 1996 in einer zweiten Grafik in Widerspruch verwickelt, als „Evangelische Heilige“. Es gibt Bezüge und Berührungspunkte. Die erhellende Ausstellung, die Kulturamtsleiter Reinhard Lorenz eine Collage nennt, erliegt aber nicht der Versuchung, zwischen ihren Protagonisten eine ungebrochene Traditionslinie zu ziehen.
Sie waren in vielem naturgemäß sehr unterschiedlich. Sie waren Helden, keine Heiligen. Aber, so schreibt der Theologe Heinrich Grosse in der Ausstellung: „Bezeugen des für wahr Erkannten gegenüber Mächtigem, mutiges Eintreten für Gewissensentscheidungen, schöpferische Unangepasstheit – das alles verbindet den Reformator aus dem 16. Jahrhundert mit dem Bürgerrechtler aus dem 20. Jahrhundert. Beide riskierten mit ihrem Engagement ihr Leben.“
Reinhard Lorenz zitierte bei der Vernissage Jazz-schlagzeuger Max Roach, der 1996 an einer Eisenach Performance zu Luther und Luther King beteiligt war und damals meinte: „Sie waren beide Rebellen. Und mehr als das: Visionäre!“
Das korrespondiert in gewisser Weise mit einer „Installation“. Ein Bild des Historienmalers Carl Fielgraf aus dem 19.
Jahrhundert zeigt, wie Luther seine Thesen zu Wittenberg anschlagen lässt; dabei bedient sich ein Mann einer Leiter. Vor dem Gemälde ragt „Der steile Pfad der Visionäre“in die Höhe: eine Leiter, die der junge Erfurter Künstler Veit Gossler auf einer Eisenplatte befestigte. Jeder kann sie besteigen. Der Hinweis für Ausstellungsbesucher allgemein wie für Visionäre besonders lautet: „Betreten auf eigene Gefahr – Keine Haftung“.
Sie waren Helden, keine Heilige
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Zu sehen bis . September, mittwochs bis sonntags, bis Uhr, Stadtschloss.