Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
Deutschland? Deutschland!
Jetzt geht es wieder los. Nein, es ist schon losgegangen. Gestern Abend hat Deutschland gegen die Ukraine gespielt, das Ergebnis lag bei Redaktionsschluss dieses Beitrages noch nicht vor. Ich hoffe optimistisch, dass es mir heute gut geht. Zum einen, weil wir, wir Deutschland, gewonnen haben, und zum anderen, weil wir, wir Familie, diesen Abend überstanden haben werden ohne mentale Blessuren.
Denn wir sind da etwas zweigeteilt, die Dame und ich. Obgleich nicht vollkommen reinen deutschen Blutes, fühle ich ganz und gar mit der Nationalmannschaft, die Herr Gauland nicht mehr so schön findet wie früher. Da ist es gut gelaufen, dass mein Sohn kein berühmter Fußballer ist, das würde das Aufkommen irgendwie volksfremder Namen noch erhöhen. Und die Dame, ebenfalls nicht reinen deutschen Blutes wird wohl, im unwahrscheinlichen Fall einer deutschen Niederlage, ihrem undeutschen Cousin in einer undeutschen Sprache undeutsche Glückwünsche übermittelt haben.
Aber der Trainer wird sein Team schon ordentlich aufstellen und motivieren.
Andere tun das auch. Aber viel entspannter. „Such dir ein paar Leute, bilde ein Team und sammele Punkte“.
Und Fähnchen, deutsche natürlich, und Trikots und Schals und Hüte & Mützen und auch Schwarz-rot-goldperücken. Diesen ganzen Nationalscheiß eben. Das ist ein lustiges Alternativ-spiel zur EM und es heißt „Deutschland knicken“. Der Wettbewerb wird veranstaltet von einer linksautonomen Gruppe, bestehend vermutlich aus Menschen, die sich zu Demonstrationen auch, wenigstens partiell, in die deutschen Nationalfarben kleiden, unter Hinweglassung von Rot und Gold.
So ein Spiel hat natürlich Regeln. Für ein geklautes Autofähnchen gibt es nur einen Punkt, klar, das ist ja auch leicht. „Geklaute Sachen aus Discountern gelten ab einer Menge von 10 Stück als 1 Punkt!“. Muss man den Wettbewerbern schon so klar sagen, bisschen klauen ist schließlich auch keine große Kunst, trainiert mancher von uns doch regelmäßig, dem Kapital aufs Maul. Die Hohe Schule aber, das sind die Trikots. Klauen kann jeder Spielteilnehmer allein, für die Trikots braucht man schon ein verschworenes Team. Wobei der Veranstalter davon ausgeht, dass auch hier der Fair-playgedanke herrscht und so ein Trikot wirklich getragen wurde, nur dafür gibt es die volle Punktzahl. Schließlich, getragene Sachen sind viel geiler, das weiß jeder, der schon einmal einen BH von der Wäscheleine geklaut hat.
Aber weil hier eben nicht geklaut werden soll, braucht man dann aber wirklich ein Team. Ein entschlossenes Team, das einen unbedingten Siegeswillen ausstrahlt macht einfach mehr Eindruck, wenn man einen fremden Nationalisten überreden will, sein Trikot auszuziehen. Zumal, wenn es sich bei diesem Fan um einen Nationalisten weiblichen Geschlechtes handeln sollte. „Liebe Mitbürgerin, wären Sie wohl so freundlich, im Interesse des Weltfriedens Ihr Trikot auszuziehen? Wir brauchen nämlich ein Europa ohne Nationalismus sowie 15 Punkte.“Soll die Nationalistenschlampe sich doch die Titten bunt anmalen.
Falls Sie, liebe Leser, die Regeln noch nicht vollkommen verstanden haben, dann lassen Sie Ihren Browser nach „DD] CTF16“suchen, da können Sie das authentisch nachlesen, ohne die manipulierenden Kommentare eines hörigen Lohnschreibers von der Lügenpresse. Ach nein, Entschuldigung „Lügenpresse“sagen ja die anderen, man verwechselt das leicht.
Aber am Ende ist der Unterschied wohl nicht so groß. Der zwischen denen, die skandieren „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen!“und denen, die brüllen „Deutschland verrecke!“– unter Vernachlässigung des Umstandes, dass ein ähnlich klingender Ruf schon einmal durch Deutschland brauste. Mental würden sie sich gut verstehen. Und es fällt mir, Bürgerarsch, der ich bin, zunehmend schwer, linke Radikale irgendwie sympathischer zu finden als die von der anderen Seite.
Das Finale der letzten Weltmeisterschaft habe ich in einer ziemlich großen Gaststätte gesehen, ein paar Hundert Menschen. Und als der Götze sein Tor machte, da jubelten sie und hatten gute Laune. So war es in ganz Deutschland und so wäre es in ganz Argentinien gewesen. Na und? Menschen brauchen eine Identifikation, einen Bezugspunkt, eine Heimat. Das Dorf, die Straße, die Stadt, das Bundesland, der Staat. So langsam wird es vielleicht ein wenig auch Europa. Und irgendwann, in einer fernen Zukunft, wird es womöglich auch die Erde sein. Menschen brauchen Zugehörigkeit. Und weil das so ist, dürfen wir Deutschland nicht den Rechten überlassen. Deutschland? Deutschland! Und ich darf mich freuen über die deutsche Nationalmannschaft. Zur Not auch über die ukrainische. Aber nur, wenn es gar nicht anders geht.