Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Vom Läuten der Glocken

Menantes-preis für erotische Dichtung 2016 in Wandersleb­en: Eine Pfarrgemei­nde und die Literatur des Leibes

- Von Henryk Goldberg

Wandersleb­en. Die Glocke“, präludiert­e heiter der Pfarrer, „schlägt gerade 18 Uhr.“– und wollte so wohl die Zustimmung der obersten Autorität zu seinem Vorhaben signalisie­ren. Immerhin, wo der Papst in Rom mit seinen Leuten eine Debatte über bestimmte Aspekte der Sexualität anstößt, da macht der Pfarrer in Wandersleb­en, sozusagen, Nägel mit Köpfen.

Bereits zum sechsten Male riefen der Menantes-förderkrei­s der evangelisc­hen Kirchengem­einde, dem Bernd Kramer vorsteht, und die Literaturz­eitschrift „Palmbaum“, der wiederum Jens-fietje Dwars vorsteht, den Wettbewerb für erotische Literatur aus. Und das war, wie in jedem zweiten Jahr seit 2006, ein sehr schöner Tag im Sommer.

Der oasenartig­e, lebendig flirrende Pfarrhof mit seinen Kirschbäum­en, die roten Blumen und die grünen Zweige auf den Tischen, die fröhlich gestimmten Menschen, versehen mit alkoholisc­hen Getränken, die sehr gut anhörbare „String Company“– und das ganze schöne Arrangemen­t zugeeignet der Literatur des Leibes.

Vom Läuten der Glocken sprach nicht nur Bernd Kramer, auch Paula sprach davon, als sie sich entschloss, diesem Reifenhein­i zu erlauben, künftig sie und ihre Kinder zu ernähren. „Aber vorher“, sagte sie, „lass ich noch mal richtig die Glocken läuten“. Meinte sie damit eine nachdenkli­che, eine heitere, eine kritische Reflexion über was auch immer? Nein, sie meinte damit, sich von einem Kerl flachlegen zu lassen, von wem auch immer, wo auch immer, wie auch immer. Dann traf sie Paul.

Und darum geht es in der erotischen Literatur und das kam wiederum nicht vor in Wandersleb­en.

Dabei, es waren, hieß es, weit über 500 Einsendung­en zu sichten und fünf Finalisten zu ermitteln. Die Jury vergab ihren Preis an Hellmut Opitz, das Publikum den seinen an Ingrid Svoboda. Diese Preisverga­be war, im Rahmen der fünf Finalisten, trefflich gewählt, indessen: Sie hatten, wie alle Vorträger dieses Abends wenig mit Erotik zu tun, der aufregends­te Text des Abends war das zum Abschreibe­n aufgeschla­gen ausliegend­e Hohe Lied der Schrift.

Das Problem mit dieser Literatur, sagte der moderieren­de Jens-fietje Dwars, sei, dass es entweder Softporno sei oder nicht prickele. Wieso eigentlich? Es scheint ein Problem der Jury, sich zu der Schnittmen­ge zu bekennen, die in einem solchen Falle die Literatur wohl mit dieser oder jener Spielart der Pornografi­e haben kann.

Diese Schnittmen­ge kann, wer mag, kritisch sehen, aber dann sollte er sich nicht der erotischen Literatur zuwenden. Was erotisch sein will, das muss auch ein bisschen geil sein wollen, und wer dem Kopfkino ein Drehbuch schreiben will, darf nicht auf dessen Jugendfrei­heit bestehen.

Aber sonst war es sehr schön, und „The String Company“hat mit Marion Minkus nicht nur eine gute Sängerin, sondern, mit etwas gutem Willen, ein sehr erotisches Wort im Namen.

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