Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
Ein Land ohne Volk
Michael Helbing bestreitet, was mancher für unbestreitbar hält
Ein Satz reichte, und ich erntete so große Empörung, dass jeder weitere Satz darin unterging: „Die DDR war ein Land ohne Legitimation beim Volk!“Das könne man so ja nun nicht sagen, hieß es, und ich würde diesem oder jenem so sein Leben streitig machen.
Es trug sich dies vor einem Jahr in Erfurt zu, in einer Runde, die nach einer Buchvorstellung zusammensaß. Es war um den Interviewband „War das die Wende, die wir wollten“gegangen, der sich um den 4. November 1989 drehte, jene Demonstration in Berlin, in der für einen sehr, sehr kurzen Moment die Möglichkeit eines demokratischen Sozialismus kulminierte.
Das war, was ich damals bedauerte, mit den Leuten aber nicht mehr zu machen, weil die Ddr-bürger „mehrheitlich von ihrem Land nichts mehr wissen wollten“, so die Ökonomin und kurzzeitige Wirtschaftsministerin Christa Luft in jenem Buch.
Sie wollten, muss man hinzufügen aus eigener Anschauung, mehrheitlich zu keiner Zeit was wissen von ihrem Land. Es war und wurde nicht das ihre, denn, so Luft, „die sowjetische Besatzungsmacht hatte uns sozusagen dieses System eingepflanzt.“
Nun las ich, erstmals seit 20 Jahren, am Freitag die Junge Welt, in der zwei alte Professoren und Marxisten der Landesregierung unter Bodo Ramelow vorwarfen, „den Kurs der Delegitimierung der DDR konsequent zu verfolgen.“Sie beziehen sich auf den Bericht zur Aufarbeitung der Sed-diktatur.
„Unbestreitbar ist jedoch“, schrieben die Herren, bevor sie am selben Tag dazu in Erfurt sprachen, „dass sich in der DDR stets eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung für den sozialistischen Staat aussprach.“Mit einem Historiker und einem Soziologen, die so am Leben vorbei argumentieren, ist kein Staat zu machen. Das ist ein Glück!