Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Jagdszenen in Marseille schüren Angst bei der EM

Uefa droht Russland und England nach Krawallen mit Turnier-aus. Russen retten Punkt in der Nachspielz­eit

- Von Arne Richter, Florian Lütticke und Sebastian Kunigkeit

Marseille/nizza. Nach den schweren Krawallen in Marseille und Nizza droht die Uefa den Mannschaft­en aus Russland und England mit dem Em-ausschluss. Nach einer am gestrigen Sonntag einberufen­en Sondersitz­ung verwarnte das Exekutivko­mitee der Europäisch­en Fußball-union beide Verbände. Man werde „nicht zögern“weitere Sanktionen zu verhängen, „inklusive der möglichen Disqualifi­kation der betreffend­en Teams vom Turnier, sollte sich die Gewalt wiederhole­n“, hieß es in einem Uefa-statement. Eine solche Drohung hatte es bislang erst einmal in der Emgeschich­te im Jahr 2000 gegen England gegeben.

Die Randale in den südfranzös­ischen Metropolen hatte den Auftakt der Fußball-em in Frankreich überschatt­et. Politiker und Turnier-verantwort­lichen kritisiert­en die Ereignisse um vornehmlic­h russische und englische Fans am Samstagabe­nd mit mindestens 44 Verletzten und vielen Festnahmen scharf. Die Vorfälle überlagert­en sogar die Diskussion um mögliche Terroransc­hläge.

Bei der mehrstündi­gen Sondersitz­ung des Exekutivko­mitees soll es zu emotionale­n Vorträgen mehrerer Mitglieder gekommen sei. Erste Sondermaßn­ahmen beschloss das Gremium um das deutsche Mitglied Wolfgang Niersbach. Zusätzlich­e private Sicherheit­skräfte sollen in den Stadien eingesetzt werden. Primär gehe es darum, die Fans der gegnerisch­en Mannschaft­en besser zu trennen.

Die Uefa-disziplina­rkommissio­n hatte gestern zudem ein Verfahren gegen den russischen Verband wegen der Krawalle im Stade Vélodrome eröffnet. Das Gremium um den deutschen Richter Hans Lorenz ermittelt wegen Fanausschr­eitung, dem Abbrennen von Feuerwerks­körpern und rassistisc­hen Ausfällen. Bis morgen soll das Urteil stehen – und damit noch vor dem zweiten Spiel der Russen am Mittwoch in Lille gegen die Slowakei.

Frankreich­s Innenminis­ter Bernard Cazeneuve verurteilt­e das Geschehen als „unverantwo­rtliches und mutwillige­s Verhalten von Pseudo-fans“. Doch auch am rigorosen Verhalten der Sicherheit­skräfte gab es Kritik. Der russische Sportminis­ter und Fifa-funktionär Witali Mutko bemängelte öffentlich die schlechte Organisati­on im Stadion.

Die Polizeiprä­fektur in Marseille, wo ein Brite lebensgefä­hrlich verletzt wurde, vermeldete insgesamt 35 Verletzte und zehn Festnahmen. Diese Zahlen scheinen angesichts der Bilder von wilden Prügelszen­en und Tränengase­insatz der Polizei noch sehr gering. Auch aus Nizza meldeten die Behörden am Vorabend der Partie Nordirland gegen Polen Fan-krawalle. Die Bilanz dort: Neun Personen mussten ins Krankenhau­s, drei weitere wurden festgenomm­en.

Der Imageschad­en für die EM ist immens. Zumal weitere Krawalle zu befürchten sind. Am Mittwoch und Donnerstag spielen Russen und Engländer in Lille beziehungs­weise Lens ihre nächsten Spiele in zwei Emnachbaro­rten. Auch die deutsche Partie gegen Polen am Donnerstag in St. Denis gilt als Risiko-spiel. Zu den bislang Festgenomm­enen gehören auch ein Deutscher und ein Österreich­er.

In Marseille war es den dritten Tag in Serie zu Gewaltszen­en in der Stadt gekommen. Im Stadion eskalierte die Lage kurz vor dem Abpfiff: Augenschei­nlich russische Anhänger gingen auf englische Fans los, die in benachbart­en Blöcken saßen, und prügelten wild auf diese ein. Dabei flüchteten die Attackiert­en über Zäune in den Innenraum. Russlands Sportminis­ter Witali Mutko

Die Uefa räumte nun die unzureiche­nde Trennung der Fangruppen ein. Besonders hier sollen die Vorkehrung­en mit mehr und intelligen­ter eingesetzt­en Stewards verbessert werden. Die Polizei soll aber weiter nur nicht sichtbar in den Arenen bereitsteh­en. Zu einem möglichen Einsatz von Soldaten äußerte sich die Uefa nicht.

Vor dem brisanten britischen Duell mit Wales am Donnerstag muss das Team von Nationaltr­ainer Roy Hodgson nun nicht nur die erschrecke­nden Jagdszenen, sondern auch die verpassten zwei Punkte verarbeite­n. „Es ist sehr enttäusche­nd, dass wir nicht gewonnen haben“, sagte Englands starker Kapitän Rooney. „Wir hatten unsere Chancen – aber das ist Fußball, wir müssen sie auch nutzen.“

Das englische Team verpasste damit auch im neunten Anlauf einen Sieg zum Em-start. „Oh, warum werden wir immer bestraft, wenn wir träumen?“, fragte der „Mirror“. Weite Teile des Auftritts gegen Russland machen jedoch Mut. Vor allem Rooney wusste in seiner Rolle im linken Mittelfeld zu gefallen, lenkte bis zu seiner Auswechslu­ng überlegt den Angriff. „Ich denke Wayne hat ein sehr gutes Spiel gemacht“, lobte Coach Roy Hodgson.

Aus den Köpfen müssen die Spieler auch mögliche Sorgen um ihre Familien bekommen. Die Angehörige­n mehrerer Spieler erlebten die Ausschreit­ungen von Marseille mit, die Ehefrau von Jamie Vardy erhob schwere Vorwürfe gegen die Polizei. „Das war eine der schlimmste­n Erfahrunge­n jemals bei einem Auswärtssp­iel! Ohne Grund mit Tränengas beschossen, eingesperr­t und behandelt wie Tiere“, twitterte Rebekah Vardy.. dpa

„Man muss solche Spiele gut organisier­en und die Fans trennen.”

 ??  ?? Englische Fans liefern sich in Marseille eine Straßensch­lacht mit der Polizei. Fotos (): Carl Court/getty Images
Englische Fans liefern sich in Marseille eine Straßensch­lacht mit der Polizei. Fotos (): Carl Court/getty Images

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