Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
Jagdszenen in Marseille schüren Angst bei der EM
Uefa droht Russland und England nach Krawallen mit Turnier-aus. Russen retten Punkt in der Nachspielzeit
Marseille/nizza. Nach den schweren Krawallen in Marseille und Nizza droht die Uefa den Mannschaften aus Russland und England mit dem Em-ausschluss. Nach einer am gestrigen Sonntag einberufenen Sondersitzung verwarnte das Exekutivkomitee der Europäischen Fußball-union beide Verbände. Man werde „nicht zögern“weitere Sanktionen zu verhängen, „inklusive der möglichen Disqualifikation der betreffenden Teams vom Turnier, sollte sich die Gewalt wiederholen“, hieß es in einem Uefa-statement. Eine solche Drohung hatte es bislang erst einmal in der Emgeschichte im Jahr 2000 gegen England gegeben.
Die Randale in den südfranzösischen Metropolen hatte den Auftakt der Fußball-em in Frankreich überschattet. Politiker und Turnier-verantwortlichen kritisierten die Ereignisse um vornehmlich russische und englische Fans am Samstagabend mit mindestens 44 Verletzten und vielen Festnahmen scharf. Die Vorfälle überlagerten sogar die Diskussion um mögliche Terroranschläge.
Bei der mehrstündigen Sondersitzung des Exekutivkomitees soll es zu emotionalen Vorträgen mehrerer Mitglieder gekommen sei. Erste Sondermaßnahmen beschloss das Gremium um das deutsche Mitglied Wolfgang Niersbach. Zusätzliche private Sicherheitskräfte sollen in den Stadien eingesetzt werden. Primär gehe es darum, die Fans der gegnerischen Mannschaften besser zu trennen.
Die Uefa-disziplinarkommission hatte gestern zudem ein Verfahren gegen den russischen Verband wegen der Krawalle im Stade Vélodrome eröffnet. Das Gremium um den deutschen Richter Hans Lorenz ermittelt wegen Fanausschreitung, dem Abbrennen von Feuerwerkskörpern und rassistischen Ausfällen. Bis morgen soll das Urteil stehen – und damit noch vor dem zweiten Spiel der Russen am Mittwoch in Lille gegen die Slowakei.
Frankreichs Innenminister Bernard Cazeneuve verurteilte das Geschehen als „unverantwortliches und mutwilliges Verhalten von Pseudo-fans“. Doch auch am rigorosen Verhalten der Sicherheitskräfte gab es Kritik. Der russische Sportminister und Fifa-funktionär Witali Mutko bemängelte öffentlich die schlechte Organisation im Stadion.
Die Polizeipräfektur in Marseille, wo ein Brite lebensgefährlich verletzt wurde, vermeldete insgesamt 35 Verletzte und zehn Festnahmen. Diese Zahlen scheinen angesichts der Bilder von wilden Prügelszenen und Tränengaseinsatz der Polizei noch sehr gering. Auch aus Nizza meldeten die Behörden am Vorabend der Partie Nordirland gegen Polen Fan-krawalle. Die Bilanz dort: Neun Personen mussten ins Krankenhaus, drei weitere wurden festgenommen.
Der Imageschaden für die EM ist immens. Zumal weitere Krawalle zu befürchten sind. Am Mittwoch und Donnerstag spielen Russen und Engländer in Lille beziehungsweise Lens ihre nächsten Spiele in zwei Emnachbarorten. Auch die deutsche Partie gegen Polen am Donnerstag in St. Denis gilt als Risiko-spiel. Zu den bislang Festgenommenen gehören auch ein Deutscher und ein Österreicher.
In Marseille war es den dritten Tag in Serie zu Gewaltszenen in der Stadt gekommen. Im Stadion eskalierte die Lage kurz vor dem Abpfiff: Augenscheinlich russische Anhänger gingen auf englische Fans los, die in benachbarten Blöcken saßen, und prügelten wild auf diese ein. Dabei flüchteten die Attackierten über Zäune in den Innenraum. Russlands Sportminister Witali Mutko
Die Uefa räumte nun die unzureichende Trennung der Fangruppen ein. Besonders hier sollen die Vorkehrungen mit mehr und intelligenter eingesetzten Stewards verbessert werden. Die Polizei soll aber weiter nur nicht sichtbar in den Arenen bereitstehen. Zu einem möglichen Einsatz von Soldaten äußerte sich die Uefa nicht.
Vor dem brisanten britischen Duell mit Wales am Donnerstag muss das Team von Nationaltrainer Roy Hodgson nun nicht nur die erschreckenden Jagdszenen, sondern auch die verpassten zwei Punkte verarbeiten. „Es ist sehr enttäuschend, dass wir nicht gewonnen haben“, sagte Englands starker Kapitän Rooney. „Wir hatten unsere Chancen – aber das ist Fußball, wir müssen sie auch nutzen.“
Das englische Team verpasste damit auch im neunten Anlauf einen Sieg zum Em-start. „Oh, warum werden wir immer bestraft, wenn wir träumen?“, fragte der „Mirror“. Weite Teile des Auftritts gegen Russland machen jedoch Mut. Vor allem Rooney wusste in seiner Rolle im linken Mittelfeld zu gefallen, lenkte bis zu seiner Auswechslung überlegt den Angriff. „Ich denke Wayne hat ein sehr gutes Spiel gemacht“, lobte Coach Roy Hodgson.
Aus den Köpfen müssen die Spieler auch mögliche Sorgen um ihre Familien bekommen. Die Angehörigen mehrerer Spieler erlebten die Ausschreitungen von Marseille mit, die Ehefrau von Jamie Vardy erhob schwere Vorwürfe gegen die Polizei. „Das war eine der schlimmsten Erfahrungen jemals bei einem Auswärtsspiel! Ohne Grund mit Tränengas beschossen, eingesperrt und behandelt wie Tiere“, twitterte Rebekah Vardy.. dpa
„Man muss solche Spiele gut organisieren und die Fans trennen.”