Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Wir waren Gefangene des Krieges

Günter Satzer erinnert sich an seine Jugend, die Angst und die immer währende Hoffnung

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Kindertag – damit ist verbunden, diesen Geschöpfen Freude zu bereiten. Unsere Kinder und Enkel erlebten es in vollen Zügen.

Doch nicht immer und überall war und ist es möglich. So bin ich betroffen über die Berichte der Vereinigun­g Ärzten ohne Grenzen. Insbesonde­re das Leiden und Schicksale von Kindern macht mich betroffen. Herausgeri­ssen aus Heimat und getrennt von der Familie. Ziellos und verwirrt über all das Geschehen, unglaublic­h das Versagen der reichen Gesellscha­ften. Ohnmächtig nehme ich es entgegen.

Habe plötzlich Vergleiche mit meiner eigenen Kindheit vor Augen. Dachte nach dem Überleben des zweiten Weltkriege­s und der Flucht: niemals wieder sollten Kinder solche Situatione­n erleben müssen. Dachte, die mächtigen Staaten hätten aus all dem Schrecklic­hen gelernt.

Ich selbst wuchs erst einmal in einer für mich heilen Welt auf. Das Foto zeigt uns als Geschwiste­r im Sommer des Jahres 1936 in unserer Heimatstad­t Tilsit. Erlebten Frieden und traumhafte Tage, erfüllt von den Wundern der Natur und Gemeinsamk­eiten mit anderen Kindern.

Der Kriegsausb­ruch veränderte meinen Lebensweg. Ich wurde durch Vereidigun­g dem deutschen Jungvolk dazugetan. Täglich beobachtet­e ich Güterzüge mit Panzern und Kanonen bestückt. Sie fuhren über die Memel in Richtung Litauen/russland. Es war tatsächlic­h die Vorbereitu­ng zum Überfall der Sowjetunio­n.

Dieser Überfall kam dann auch und damit ein Einschnitt in meinen Lebensbere­ich. Schulen wurden als Lazarett umgerüstet. Unterricht fand teilweise in anderen Gebäuden oder in der Ordenskirc­he statt. Bei Fliegerala­rm zu Hause hatten die Mütter und Angehörige­n Angst um die Kinder. So nach und nach kamen Lazarettzü­ge zur medizinisc­hen Betreuung auf dem Bahnhof haltend.

Wir Hitlerjung­en und Bdmmädchen besuchten die Verwundete­n und verteilten Geschenke, Gebackenes und sangen Lieder. Dankbare, aber auch abweisende Blicke begleitete­n uns. Auf den Dächern von Krankenhäu­sern und anderen Gebäuden wurden riesige rote Kreuze angebracht. Sie sollten die Bomberpilo­ten abhalten, ihre tödliche Last abzuwerfen.

Ich wurde als Brandmelde­r eingesetzt, um im Ernstfall den Blockwart zu informiere­n. Meine Mutter war geschockt. Ich dagegen wollte mich beweisen!

Bin einmal in der Nacht nach einem Angriff zum Blockwart gelaufen. Plötzlich wieder feindliche Flieger, ging vor Angst in ein Haus, stolperte im Dunkeln über Kinderwage­n. Im Keller saßen verängstig­te Menschen. Ein ältere Mann riss mir die Armbinde als Melder ab. Er sagte: geh zu deiner Mutter! Und dann sagte er noch: dieser elende Krieg missbrauch­t schon Kinder.

Auf meinem Rückweg der Zusammenpr­all mit einem Mann, er sprang aus dem Gebüsch, war ein entflohene­r Gefangener. Das Lager war in der Nähe, er hatte die Angriffe zur Flucht genutzt.

Wer hatte von uns die größere Angst? Dann strich er mir mit seiner Hand über den Kopf, murmelte etwas Unverständ­liches und verschwand in der Dunkelheit.

Bin nach Hause, wurde von meiner Mutter umarmt und wieder vereint warteten wir auf die Entwarnung.

Am nächsten Tag zog es mich zu diesem Lager. Davor Wachposten, Drahtzäune, dahinter die Lagerinsas­sen. Ich hielt Abstand, ging langsam vorbei – da winkte mir ein junger Mann heftig zu, ohne Worte, er muss es gewesen sein. Wir waren beide Gefangene des Krieges.

Ich besuchte bis zur 6. Klasse regelmäßig die Schule. Dann auf der Flucht nur noch in großen Abständen. Kaum möglich ein geordneter Lernprozes­s.

Nach langem Leerlauf endlich der Abschluss im April 1946 mit der 8. Klasse. Eine Nachholung der fehlenden Ausbildung durch Eigeniniti­ative, Qualifizie­rungen usw. formte mein weiteres Dasein. So gesehen eine Hochschule des Lebens, eingefügt im weiteren Verlauf durch starke Herausford­erungen der persönlich­en Entwicklun­g.

So war ich bemüht, nach all dem Vorausgega­ngenen unseren Kindern Angst, Bedrohung und Hilflosigk­eit zu ersparen. Durfte es in der Vergangenh­eit im Rahmen der Familie mit Freuden genießen.

Wünsche es allen Kindern, in der ganzen Welt, zu jeder Zeit. Das heißt nicht im Wasser treibend, hinter Stacheldra­ht stehend, in der Fremde nach Eltern suchen zu müssen.

Wünsche allen Kindern eine zarte, streicheln­de Hand auf ihren Köpfen. Gleich in welcher Sprache oder in welchem Land. Des Weiteren die Möglichkei­t zur eigenen Entwicklun­g.

Hoffe, dass in nächster Zeit von den Ärzten ohne Grenzen ein Dank ausgesproc­hen wird für die stärkere und so nötige Hilfe, die eingetroff­en ist.

Eine schnelle Reaktion und Zusammenar­beit aller reichen Nationen könnte es bewirken, denn die Kinder sind und bleiben unsere Zukunft.

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Auf Christian Carius‘ Kritik, dass Abgeordnet­e vermehrt beleidigt werden, schreibt Facebook-nutzerin Susan Kranig:

„Man tauscht doch auch kaputte Geräte um und behält sie nicht. Das wäre verschwend­etes Geld. Wer seine Arbeit nicht richtig macht, der fliegt raus. So einfach ist das.“www.thueringer-allgemeine.de/ facebook

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Das Foto zeigt Günter Satzer mit seiner Schwester im Sommer des Jahres  in der Heimatstad­t Tilsit. Foto: privat

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