Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
Grausiger Fund beim Pilzesuchen
Ein mysteriöser Vermisstenfall scheint sich zu klären: 15 Jahre nach dem Verschwinden fand sich ein Skelett in einem Wald bei Bad Lobenstein
Lichtenberg. Die Bäume am Marktplatz stehen in kräftigem Grün, die Fassaden der Häuser leuchten im Sonnenlicht. Nur die Menschen fehlen an diesem Montagnachmittag – bis auf eine Frau, am Marktbrunnen von Lichtenberg (Landkreis Hof) steht und die Blumen düngt.
„Das war immer wieder ein Thema hier in den vergangenen 15 Jahren“, sagt die Seniorin. Sie spricht über den Fall Peggy Knobloch. Das neunjährige Mädchen war im Mai 2001 auf dem Heimweg von der Schule abhanden gekommen – bis jetzt fehlte jede Spur von ihr.
Von den neuen Entwicklungen hat sie im Radio gehört, dass Leichenteile der Vermissten nur 20 Fahrkilometer entfernt in Thüringen gefunden worden sind. „Ach, in der Nähe von Rodacherbrunn“, antwortet sie auf die Frage, ob sie das Waldgebiet kennt. „Dort fahren einige von hier zum Pilzesuchen hin. Aber uns ist das zu gefährlich, da könnten doch Minen liegen.“
Der Fundort befindet sich in der Nähe der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze, etwa 1,5 Kilometer entfernt auf thüringischem Gebiet im Saaleorla-kreis. „Früher ist hier niemand hingekommen“, sagt ein Polizist, der darüber wacht, dass an der Landstraße niemand unterm rot-weißen Absperrband durchschlüpft und in das Waldgebiet entschwindet, in dem sich ein mysteriöser Vermisstenfall zu lösen scheint.
Am Samstag hatte hier ein Pilzsucher einige Skelettteile entdeckt und die Polizei informiert. Zunächst kam der Streifendienst, bestätigte den Fund und sperrte das Gebiet weiträumig ab. Experten suchten vor Ort weiter, gruben weitere Knochen eines Kindes aus.
Den Fund transportierten die Einsatzkräfte nach Jena in die Rechtsmedizin, wo sie Genspuren aus den Knochen gewinnen und diese analysieren. Am Dienstag will das Institut der Friedrich-schiller-universität die Ergebnisse an die Staatsanwaltschaft Gera melden. Die hatte bereits am Wochenende die Amtskollegen im angrenzenden Franken über den Fund informiert. „In Ostthüringen wird kein Kind vermisst“, sagt der Chef der Staatsanwaltschaft Gera, Thomas Villwock. Deshalb lag der Schluss nahe, die bayrischen Kollegen zu verständigen.
Die Beamten aus dem Nachbarland rückten am Montag mit zum Fundort aus. Dort durchkämmte eine Hundertschaft von Thüringer Bereitschaftspolizisten den Wald. Pilze wachsen hier, aber teils ist das Gelände verwildert und schwer zugänglich, was die Suche erschwert. Ein Hubschrauber kreist über dem Gelände – aus der geöffneten Tür dokumentiert ein Polizist das Gelände.
Die Polizisten finden Gegenstände. Die bayerischen Kollegen ordnen sie direkt der vermissten Peggy zu. Was sie entdeckt haben, halten die Ermittler geheim, um kein Täterwissen zu verraten. Gerüchte, dass Peggys Uhr dort lag, machen die Runde – bestätigen mag das niemand.
Die Einwohner des kleinen Ortes Rodacherbrunn haben sich zwar über die vielen Polizeifahrzeuge gewundert, aber am Wochenende nichts vom traurigen Fund mitbekommen. „Das haben wir erst heute erfahren“, sagt eine Frau, die den Rasen ihres Grundstückes mäht. Den Kriminalfall habe sie immer wieder verfolgt, zuletzt vom Freispruch eines geistig behinderten Mannes gehört.
Der hatte in Lichtenberg der Nachbarschaft gelebt und in einem Verhör gestanden, das Kind umgebracht zu haben. Nach der Verurteilung zu lebenslanger Haft 2004 blieb er elf Jahre hinter Gittern. Nach der Wiederaufnahme des Verfahrens sprach ihn das Landgericht Bayreuth frei.
Eine heiße Spur, wie das Kind umgekommen ist und wer der Täter war, hat die Polizei bislang nicht. Eine klare Aufgabenteilung ist bereits verabredet. Die Thüringer Ermittler klären zunächst, ob es sich tatsächlich um die vermisste Peggy handelt. Auf die Tätersuche gehen die Staatsanwaltschaft und die Polizei aus Bayreuth. 30 Ermittler gehören der rasch gebildeten Sonderkommission an.
Sie prüft nun erneut, ob ein bereits verurteilter und noch einsitzender Sexualstraftäter auch für diesen Fall verantwortlich ist. Einst hatte er zwar eingeräumt, das Kind zärtlich berührt zu haben, aber er sei nicht für das Verschwinden verantwortlich gewesen. Im Knast soll er sogar geprahlt haben, den perfekten Mord begangen zu haben, so dass die Polizei die Leiche nie finden werde.
In Lichtenberg, der Kleinstadt mit 1200 Einwohnern in Sichtweite des thüringischen Blankenstein, machen selbst wilde Verschwörungstheorien die Runde. Hinter vorgehaltener Hand flüstert ein Mann, dass sich die Mutter des Mädchens auffällig verhalten habe. Kurz nach dem Verschwinden ihrer Tochter sei sie umgezogen und habe offensiv die Öffentlichkeit gesucht.
Die Frau hatte in Interviews die Ermittler scharf kritisiert – wohl auch zurecht. So beschränkte sich die Suche zunächst stur nur auf bayrisches Territorium, obwohl Lichtenberg direkt an der Grenze zu Thüringen liegt. Erst später hatten auch Suchaktionen im Saale-orla-kreis stattgefunden. Das Waldgebiet, wo nun die Knochen auftauchten, war aber nicht darunter. 7. Mai 2001: Die neunjährige Peggy aus dem oberfränkischen Lichtenberg verschwindet auf dem Heimweg von der Schule. Wochenlange Suchaktionen bleiben ohne Erfolg. August 2001: Die Polizei nimmt einen geistig behinderten Mann fest. Er gibt an, sich an Peggy und drei weiteren Kindern sexuell vergangen zu haben. 22. Oktober 2002: Die Ermittler präsentieren den 24-Jährigen als mutmaßlichen Mörder. 7. Oktober 2003: Vor dem Landgericht Hof beginnt der Prozess. 30. April 2004: Der geistig behinderte Mann wird wegen Mordes an Peggy zu lebenslanger Haft verurteilt. 17. September 2010: Ein wichtiger Belastungszeuge widerruft seine Aussage und erhebt schwere Vorwürfe gegen die Ermittlungsbehörden.
Gegenstände lenken Spur auf Peggy
Verschwörungstheorien machen die Runde
4. April 2013: Der Anwalt des geistig behinderten Mannes beantragt die Wiederaufnahme des Falls. 8. Januar 2014: Auf dem Friedhof Lichtenberg öffnen die Ermittler ein Grab. Sie vermuten, dass bei einer Beerdigung 2001 Peggys Leiche mit abgelegt wurde. Sie finden keine Hinweise. 10. April 2014: Auf Anordnung des Landgerichts Bayreuth beginnt das Wiederaufnahmeverfahren. 7. Mai 2014: Das Verfahren wird aus Mangel an Beweisen beendet. Eine Woche später gibt es einen Freispruch für den geistig behinderten Mann. 18. Februar 2015: Die Staatsanwaltschaft Bayreuth stellt die Ermittlungen ein. Ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wird aber aufrechterhalten. 19. März 2015: Das Oberlandesgericht Bamberg entscheidet, dass der ursprünglich verurteilte Mann aus der Psychiatrie entlassen werden soll. 16. Juni 2015: Ein ehemaliger Verdächtiger im Fall Peggy wird in einem anderen Fall wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer Jugendstrafe von sieben Monaten ohne Bewährung verurteilt. Im Fall Peggy gilt er nicht mehr als tatverdächtig. 2. Juli 2016: Ein Pilzsammler findet in einem Wald in Thüringen Skelettreste.