Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Tony Blair, die Lügen und der Irak-krieg

Mitten ins Brexit-chaos stößt heute ein Bericht, der sieben Jahre lang die Hintergrün­de der Militärmis­sion erforschte

- Von Peer Meinert

London. Millionen Briten waren empört, Hunderttau­sende gingen in London auf die Straße. Der Eintritt in den Irakkrieg wühlte 2003 das Land auf: Ausgerechn­et Tony Blair, ein Labour-mann, schlug sich auf die Seite von Us-präsident George W. Bush, dem „Kriegstrei­ber“.

Hat Blair damals mit gezinkten Karten gespielt, über angebliche Chemiewaff­en im Irak die Unwahrheit gesagt, gar gelogen? Ein seit langem erwarteter Untersuchu­ngsbericht soll heute Licht ins Dunkel bringen – ein bisschen wenigstens.

Seit sage und schreibe sieben Jahren tagt die von der Regierung eingesetzt­e sogenannte Chilcot-kommission – allein das sagt einiges über die Sprengkraf­t des Berichts aus.

Noch ein vielsagend­er Superlativ: Der Bericht soll 2,6 Millionen Wörter lang sein. Weitschwei­figkeit gilt ja mitunter als probates Mittel, Klarheit zu vermeiden. Soll Blair etwa geschont werden?

Ein Schwerpunk­t der Untersuchu­ng: Was waren seinerzeit die Gründe für den Krieg? Zwar ist längst klar, dass der irakische Diktator Saddam Hussein damals nicht über Massenvern­ichtungswa­ffen wie Giftgas oder Atombomben verfügte – wie amerikanis­che und britische Geheimdien­ste behauptete­n.

Die Frage lautet aber: Wie ist Blair damals mit den eher vagen Informatio­nen der Schlapphüt­e umgegangen, hat er sie nochmals zugespitzt – und Minister, Abgeordnet­e und die Briten damit hinters Licht geführt?

179 britische Soldaten ließen von 2003 bis 2009 ihr Leben im Irak, Hundertaus­ende Iraker starben im Krieg und in der folgenden Welle der Gewalt zwischen Sunniten und Schiiten. Die von den Amerikaner­n und Briten geführte Invasion zerstörte die prekäre Machtbalan­ce in Bagdad, heizte weltweit Glaubenskr­ieger und Terroriste­n an – verwandelt­e den gesamten Nahen Osten in ein Pulverfass. Ein Un-mandat für den Krieg gab es nicht.

Manche Blair-kritiker sehen den Ex-premier schon arg in Bedrängnis. Alex Salmond, der ehemalige schottisch­e Regierungs­chef, fasst bereits die Möglichkei­t ins Auge, dass sich Blair als Kriegsverb­recher verantwort­en muss – vor einem schottisch Gericht.

Wilde Spekulatio­nen schießen ins Kraut. Salmond und andere mutmaßen sogar, dass die gegenwärti­ge Revolte gegen Labour-chef Jeremy Corbyn nicht zuletzt gestartet wurde, damit der überzeugte Kriegsgegn­er Corbyn „Kriegstrei­ber“Blair jetzt nicht effektiv angreifen kann. Man sieht: Das Thema Irakkrieg geht noch immer unter die Haut.

„Ich bin fest an Ihrer Seite, Mr. President.“

Einer der Hauptstrei­tpunkte, die der Bericht klären soll, ist das berühmte Treffen zwischen Bush und Blair kurz vor Kriegsausb­ruch 2003 in Washington. Die Kommission hatte Einblick in Gesprächsp­rotokolle. Hatte Blair damals wirklich gesagt: „Ich bin fest an Ihrer Seite, Mr. President.“

Experten wie Robin Butler, ehemaliger Top-regierungs­beamter, der selbst eine Irakunters­uchung leitete, ist überzeugt, dass Blair die Geheimdien­stinformat­ionen seinerzeit übertriebe­n und zugespitzt hat. Die Geheimdien­stler „hatten ihm gesagt, dass die Informatio­nen willkürlic­h und lückenhaft sind“. Blair habe jedoch dem Unterhaus gesagt, die Hinweise seien „umfassend, detaillier­t und verbindlic­h“. Allerdings fügt Butler in einem Bbc-interview hinzu: „Ich nenne das keine Lüge“. Geht der Bericht mit Blair noch einmal pfleglich um?

 ??  ?? Der britische Ex-premier Tony Blair und Ex-us-präsident George W. Bush bei einem Treffen in Washington . Dass sich Blair beim Irak-krieg kritiklos an die Seite Bushs stellte, ist bis heute eine Belastung für die Labour-partei. Foto: Matthew...
Der britische Ex-premier Tony Blair und Ex-us-präsident George W. Bush bei einem Treffen in Washington . Dass sich Blair beim Irak-krieg kritiklos an die Seite Bushs stellte, ist bis heute eine Belastung für die Labour-partei. Foto: Matthew...

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