Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
„Die Unzufriedenen zurückgewinnen“
Thüringens CDU-CHEF Mike Mohring über die Umfragelage seiner Partei, die Gebietsreform und seine eigene Teamfähigkeit
Herr Mohring, fiebern Sie eigentlich mit der AFD mit? Die Partei trägt durch Ihre Stärke dazu bei, dass Sie auf eine Kenia-koalition mit SPD und Grünen hoffen dürfen? Erst mal freut es mich, dass zwei Umfragen bestätigt haben, dass Rot-rot-grün zurzeit ohne eigene Mehrheit ist. Das war zwar nur eine Momentaufnahme, aber sie zeigt, dass die Menschen die Politik der Koalition ablehnen. Die Thüringer wollen keine Gebietsreform und sind unzufrieden mit der Bildungspolitik, um zwei Beispiele zu nennen.
Mit der CDU sind die Menschen aber offenbar auch nicht zufrieden. Ihre Umfragewerte nähern sich dem Tiefstand bei der Landtagswahl 2009. Wir haben heute ein völlig anderes parteipolitisches Umfeld. Die CDU schneidet in Thüringen in Umfragen zurzeit deutlich besser ab als in anderen Bundesländern. Wir erhalten teilweise sogar mehr Zuspruch als die Bundespartei, und das ganz ohne Kanzlerbonus. So gesehen, ist unser Ergebnis durchaus passabel.
Aber es nützt ihnen nichts. Der Spd-landesvorstand hat sich schon früh auf eine Fortsetzung der rot-rot-grünen Koalition festgelegt. Ohne die Hilfe einer starken AFD werden Sie die SPD kaum dazu bringen, die Seiten zu wechseln. Entscheidend ist doch das Ergebnis am Wahlabend. Hier bleibt unser Ziel, dass ohne die CDU keine Regierung gebildet werden kann. Wenn das so ist, hat sich die Vorfestlegung der SPD überholt. Sie muss dann der Verantwortung dem Land gegenüber gerecht werden.
Das Verhältnis zur SPD ist nicht zu zerrüttet?
Nein. Es zeigt sich doch immer wieder, dass wir genügend inhaltliche Schnittmengen mit der SPD haben. Und ich spreche regelmäßig mit dem Landesvorsitzenden Andreas Bausewein. Wir tauschen uns über alle Fragen aus, die das Land bewegen.
Bei der Asylpolitik, dem Verfassungsschutz oder der Rückabwicklung des Hort-modells könnten Sie der SPD doch sofort ein Angebot machen. Bei allen drei Themen liegen die Sozialdemokraten mit Linken und Grünen im Clinch. Richtig. Rot-rot-grün versucht, den Eindruck einer koalitionären Harmonie zu vermitteln. Aber in Wirklichkeit raucht es mächtig hinter den Kulissen. Mit uns gäbe es diesen Streit nicht. Landkreise, Städte und Gemeinden sein.
Würde die CDU eine beschlossene Gebietsreform wieder rückabwickeln, wenn sie 2019 an die Macht gelangte? Das ist eine sehr hypothetische Frage. Wir müssten zunächst schauen, wie die strukturellen Eingriffe umgesetzt wurden.
Wenn 2018 in neuen Strukturen Kommunalwahlen stattfinden: Was lässt sich dann noch ändern? Das kann ich nicht beantworten. Bislang gibt es erst ein vorbereitendes Gesetz. Wir wissen nicht, wie das alles zusammenpassen soll: Auf der einen Seite die Luftbuchungen des linken Kommunalpolitikers Frank Kuschel, eine halbe Milliarde durch die Reform einzusparen. Auf der anderen Seite die Erfahrungen aus Sachsen und Brandenburg, die belegen, dass sich vielmehr die Kosten auf 400 bis 500 Millionen Euro belaufen.
Aber wohin die Reise geht, ist doch klar: Es dürfte noch etwa die Hälfte der Landkreise übrig bleiben und nur noch Erfurt und Jena kreisfrei sein. Das ist Spekulation. Die Landesregierung hat eine Bringepflicht. Aber sie drückt sich bisher um Antworten auf entscheidende Fragen: Welcher Landkreis wird aufgelöst? Welche Kreisstadt verliert ihren Status?
Wenn Apolda nicht mehr Kreisstadt ist, werden Sie das rückabwickeln? Sollte sich die Koalition durchsetzen, verliert die Stadt mittelfristig das Kreiskrankenhaus, das Amtsgericht, die Polizeiinspektion. All das würde die Entwicklung massiv negativ beeinflussen. Nur zu sagen, wir nehmen Apolda den Kreisstadtstatus, weil hier der Cdufraktionsvorsitzende zu Hause ist, reicht nicht als Begründung.
Unterstellen Sie Rot-rotgrün allen Ernstes, Apolda schädigen zu wollen, um Ihnen eins auszuwischen? Ich kenne überhaupt keine Begründung, die diesen Schritt rechtfertigen würde. Aber wenn das die Begründung der rot-rotgrünen Koalition wäre, wäre es zu wenig.
Ihr Schreckensszenario ist doch durch nichts belegt. Es ist doch nicht so, dass die Kreisstädte von einst, die bei der letzten Reform im Jahr 1994 ihre Eigenständigkeit verloren, nun alle darben. Aber wenn man durchs Land fährt und mit den Leuten spricht, kann man heute noch in den Regionen sehen und hören, wie sehr die Auseinandersetzungen um die Gebietsreform von 1994 nachwirken. Nehmen Sie das Ober- und das Unterland im Saale-orla-kreis. Oder die Debatte zwischen Arnstadt und Ilmenau, welcher Gerichtsstandort wo gerechtfertigt ist. Oder die tiefen Wunden zwischen Saalfeld und Rudolstadt, wo es zwar einen Landrat weniger, aber weiter an zwei Standorten Landratsämter gibt. Das, was Sie jetzt gerade verdammen, hat doch die CDU zu verantworten, oder nicht? Ich verdamme diese Reform nicht, doch auch nach 22 Jahren zeigt sich noch eine erhebliche Beharrungskraft.
Trotzdem lag es in der Verantwortung Ihrer Partei – die damals auf den Bevölkerungsrückgang reagierte. Rot-rotgrün macht es nicht anders. Die Reform 1994 war in ihrer Grundstruktur richtig, weil die damals 35 Landkreise nicht zur Größe des kleinen Freistaats passte. Es ging auch weniger um die Bevölkerungsentwicklung, als vielmehr um die Änderung einer Struktur von 1952. Die hatte mehr mit dem Kontrollbedürfnis der SED als mit vernünftigen Größenordnungen zu tun.
Warum sind Sie nicht ehrlich und sagen, dass Sie insgeheim froh sind, dass Ihnen Rot-rotgrün die dringend notwendige, aber bei der Bevölkerung eben höchst umstrittene Reform abnimmt? Weil es nicht stimmt. Ehrlich wäre, vorher zu sagen, was passieren soll. Rot-rot-grün duscht die Leute mit warmen Worten und erzählt ihnen etwas von Effizienz, von Bürgernähe, Personalentwicklung und neuen Strukturen. Aber sie untersetzen es nicht und sagen nicht deutlich, dass 700 Gemeinden ihr Recht auf Selbstverwaltung verlieren.
Sie warnen gerne vor Monsterkreisen. Aber die CDU in Sachsen hat Landkreise gebildet, die doppelt so groß sind wie sie in Thüringen voraussichtlich sein werden. Wie passt das zusammen? Sachsen hat eine andere Tradition. Das Königreich Sachsen hat immer viel Wert auf Zentralismus gelegt. Thüringen ist das Land der kleinen Residenzen und Fürstentümer. Das können sie auch noch gut an der Theaterund Orchesterlandschaft ablesen. Auch bei Theatern und Orchestern bewegt sich einiges. Das ist ein anderes Thema. Auch die CDU ist für Veränderungen, aber nur da, wo sie sinnvoll sind.
Zum Beispiel? Bei der interkommunalen Zusammenarbeit. Ich habe mich sehr dafür eingesetzt, dass Apolda seine Schulträgerschaft an den Landkreis Weimarer Land abgibt. Bislang hatten die Städte Apolda, Weimar und der Landkreis jeweils eigene Schulverwaltungsämter, Schulnetze und organisieren einen eigenen Schülernahverkehr. Das ist Unsinn. Da kann man kooperieren, ohne Gebietsgrenzen zu verändern.
Dass die Gebietsreform auch bei der CDU inzwischen Wirkung entfaltet hat, ist daran zu erkennen, dass Sie sich urplötzlich für direkte Demokratie stark machen. Die Gebietsreform und die kommunikativen Schwierigkeiten von Rot-rot-grün sind der Anlass, aber nicht die Begründung gewesen, warum wir fakultative Referenden einführen wollen, die den Bürgern bei Gesetzen das letzte Wort geben sollen. Die Koalition redet nicht mit den Bürgern, bindet die kommunalen Spitzenverbände nicht ein, wägt nicht ab, ob es Alternativen gibt.
Jahrelang wollte die CDU das Volk möglichst nicht zu viel mitreden lassen. Woher kommt der Sinneswandel? Man muss jeder Partei zugestehen, dass sie sich weiterentwickelt. Wir haben in der Opposition eine neue Perspektive und sehen, dass sich Linke, SPD und Grüne, die früher immer gesagt haben, der Bürgerwille stehe im Mittelpunkt, sich jetzt nicht daran halten. Es gibt eine verbreitete Unzufriedenheit, die sich unter anderem in der Abwanderung an die politischen Ränder äußert. Diese Unzufriedenen müssen wir zurückgewinnen. Und wir glauben, dass fakultative Referenden eine Lösung sein können, die Menschen stärker einzubeziehen und die Politik gleichzeitig zu mehr Sorgfalt zu zwingen.
Hat sich die Thüringer CDU wirklich weiterentwickelt? Oder ist ihr Vorsitzender nicht lediglich ein geschickter Taktiker? Ersteres. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir uns weiterentwickelt haben. Wir haben unsere Standpunkte im Landesvorstand, in der Landtagsfraktion und in der Landesgruppe des Bundestages besprochen. Wir werden zum Thema fakultativer Referenden ein Symposium abhalten. Ich habe verschiedene Wissenschaftler angesprochen, die die Debatte bewerten sollen. Wir werden mit dem Bündnis für Mehr Demokratie das Gespräch suchen. Am Ende des politischen Diskurses soll, so hoffen wir, eine Verfassungsänderung stehen, die die Einführung der Referenden zum Ergebnis hat.
Man hat das Gefühl, die CDU ist seit anderthalb Jahren in der Opposition auf der Suche nach ihrem großen Thema und findet es nicht. Wir haben uns auf dem Landesparteitag im Dezember 2014 personell neu aufgestellt. Und ich glaube, das Thema mehr Demokratie wird viel zur inhaltlichen Weiterentwicklung beitragen, weil sich die CDU so wieder besser als Volkspartei definieren und verstehen kann.
Das Volk scheint skeptisch. Nicht nur die Cdu-umfragewerte sind überschaubar, sondern auch Ihre persönliche Bekanntheit und Beliebtheit hält sich in Grenzen. Dabei wollen Sie doch Ministerpräsident werden. Ich verstehe die CDU als Gemeinschaftswerk. Am Ende gewinnen wir als Team, weil die CDU gewählt wird, nicht eine Einzelperson. Mein politischer Freund, der ehemalige niedersächsische Ministerpräsident David Mcallister, ist noch heute beliebter und bekannter als sein damaliger Spd-herausforderer, aber Mcallister fehlten am Ende wenige Stimmen zur Fortsetzung seiner Regierung.
Bei Ihnen könnte man natürlich befürchten, je bekannter Sie werden desto unbeliebter werden Sie auch. Das ist doch Quatsch. Aber die Umfrage, auf die Sie anspielen, brachte noch etwas anderes Groteskes ans Licht: Danach wäre ich immer unbekannter geworden, je mehr Verantwortung ich übernahm, Und an diese Logik glaube ich nicht. Umfragen hin oder her: Wir sind gut beraten, als Team unaufgeregt, ein gutes bürgerliches Angebot zu machen.
„Man muss jeder Partei zugestehen, dass sie sich weiterentwickelt. Wir haben in der Opposition eine neue Perspektive.“
Zum Spitzenteam gehören doch wohl Ihre Stellvertreter, der Landtagspräsident und der Ju-chef. Dennoch entsteht der Eindruck, alles in der CDU Thüringen ist auf den Solisten Mohring zugeschnitten. Ich habe sowohl die Partei als auch die Fraktion so aufgestellt, dass alle Regionen vertreten sind. Über die Hälfte der Kreisverbände ist in die engste Führungsriege eingebunden. Jeder – auch junge – Abgeordnete hat sein eigenes Feld, um seine Kompetenz weiterzuentwickeln. Die Mannschaft arbeitet top.
Sie nennen Oppositionsarbeit immer einen Marathonlauf. Wenn es 2019 nicht klappt, reicht Ihr Atem bis 2024, oder versuchen Sie Ihr Glück dann doch lieber im Bundestag? Nein. Meine Perspektive ist Thüringen, auch mit langem Atem.