Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
Aus der Rhön in die Filmwelt: Der lange Weg des Matthias Lier
Der Thüringer ist derzeit im Film „Lou Andreas-salomé“zu sehen. Dabei wollte er einst nur ans Theater und große Kunst machen
Weimar. Mai 1933. Deutschland verbrennt Bücher. Sigmund Freuds Schriften sind darunter. Zu jener Zeit steht ein junger Mann an einem Gartentor in Göttingen, voller Erwartung und voller Zweifel.
Der Germanist Ernst Pfeiffer will die Philosophin, Dichterin und Psychoanalytikerin Lou Andreas-salomé treffen, einer Schreibblockade wegen, die aber ein Vorwand sein könnte.
Die 72-Jährige, krank, sehschwach, zurückgezogen lebend, hatte Freud 22 Jahre zuvor erstmals in Weimar getroffen, um dann seine Schülerin zu werden. Da hatte sie schon ein bewegtes Geistes- und Liebesleben hinter sich. Nietzsche, sehr verliebt, biss sich an ihr die Zähne aus, weil sie dem Körperlichen entsagte. Dazu fand sie vielleicht erst beim schwärmerischen Rilke, der sie zu sehr brauchte.
Von diesem Leben einer Frau, dem Ringen um die Freiheit, gewidmet, erzählt ein biografischer Spielfilm, ein Biopic, in dem Andreas-salomé es Pfeiffer in die Schreibmaschine diktiert – und wir es in Rückblenden erleben. „Der Film schaut auf das Leben einer Lou Andreas-salomé, von dem wir gar nicht behaupten wollen, dass wir hier die perfekte Biografie erzählen. Der Regisseurin war viel wichtiger, das Phänomen zu zeigen: so eine moderne und starke Frau, die sich nicht ins gesellschaftliche Korsett zwingen lässt.“
So erzählt es der Schauspieler Matthias Lier, aus Thüringen stammend. Er spielt, an der Seite von Nicole Heesters, Ernst Pfeiffer, der Salomés Nachlassverwalter und Biograf werden wird. Ihn beschriebt er als „sehr sensiblen Charakter, der als Mann Weichheit zulässt.“Derweil Salomé findet, er solle auch seine männliche Seite mehr betonen.
Matthias Lier, Jahrgang 1979, drehte hier mit der „tollen Regisseurin“Cordula Klabitz-post, die ihn vor dem Vorsprechen für die Rolle so wenig auf dem Schirm hatte wie viele in der deutschen Filmwelt – obwohl er einiges vorzuweisen hatte in Sachen Kino und Fernsehen (die Zdf-serie „Lerchenberg“nur zum Beispiel). Und Lier wiederum hatte Lou Andreas-salomé nicht auf dem Schirm. „Ich war mit ihr zuvor nicht einmal ansatzweise vertraut.“
Lier wollte zunächst gar nicht Schauspieler werden. Er wuchs in einem Ort in der Rhön auf, den er „nicht benennen will“, vielleicht 30 Kilometer von Meiningen wie auch Schmalkalden entfernt gelegen. „Während der Schulzeit mussten wir immer ins Theater nach Meiningen.“Dritten Rang, „wo man die Schauspieler nicht stört, wenn man Quatsch macht.“Erreicht hat ihn das nicht. Mit 17 ging er erstmals freiwillig ins Theater: Eisenach, vierte Reihe Parkett. „Ich weiß gar nicht mehr, was ich gesehen habe, aber es hat mich wahnsinnig berührt.“
Doch Lier studierte Kybernetik in Stuttgart. Bis er mit lauter Eindrücken von einer Europareise zurückkehrte. „Ich hatte so viele neue Menschen und Kulturen kennengelernt. Jetzt sollte ich mich wieder hinter den Schreibtisch setzen? Das ging gar nicht!“Lier mag das Gefühl, „wenn etwas neu losgeht, wenn es Veränderung gibt.“
Über den Umweg eines Laientheaters kam er zum Schauspielstudium in Graz Schon im ersten Studienjahr sagte ihm eine Professorin: „Matthias, du wirst zum Film gehen.“Doch der war stinksauer und beleidigt. „Ich wollte doch ans Theater und große Kunst machen.“Machte er dann auch: am Bayerischen Staatsschauspiel München, in Hamburg oder Berlin stand er auf der Bühne. Bis dann doch der Film auf ihn zukam, von dem er heute weiß: „Das ist keine kleine Herausforderung.“
Lier dreht inzwischen international: zum Beispiel in Ungarn für den Piloten der kanadischen Serie „ X Company“, über Agenten im Zweiten Weltkrieg. Und in diesem Jahr soll „The Story of the Green Line“Premiere haben, ein Film Panicos Chrysanthou aus und über Zypern, in dem er die Hauptrolle spielt: einen Journalisten aus Berlin, der in den Siebzigern nach Nikosia geht, von einer geteilten Stadt in die andere. Der Film erzählt vom grünen Streifen zwischen zwei Reihen Ölfässern, die Griechenland und Türkei als Grenze quer durchs Land gezogen, um Zypern zu teilen.
Matthias Lier ist seit 2010 in Berlin zu Hause: einer Stadt, „die verdammt gut zu mir passt und ein guter Standort für Schauspieler ist“. Über seinen Beruf sagt er: „Mich erfüllt das sehr!“Natürlich gebe es Momente, in denen man hadert: Wäre das sichere Leben nicht doch besser gewesen? Aber das hätte er wohl nicht ertragen.
Für die Schauspielerei entschied er sich nicht aus dem Kopf, sondern aus dem Bauch heraus. „Sonst hätte ich es wahrscheinlich nicht gemacht.“
Und so steht sein Weg da wie ein Exempel für jene Zeilen Lou Andreas-salomés, mit denen der Film über sie endet: „Die Welt, sie wird Dich schlecht begaben, glaube mir’s, sofern Du willst ein Leben haben, raube Dir’s!“
Theater berührte ihn erstmals in Eisenach
!
Der Film „Lou Andreassalomé“läuft derzeit im Lichthaus-kino in Weimar.