Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
Zwei Bewerber für einen Platz
Julian Weigl oder Emre Can – wer ist der geeignetere Schweinsteiger-ersatz für das Halbfinalduell mit der Équipe tricolore?
Évian-les-bains. Als Hans Fingernagel am Dienstagmorgen im fernen Rosenheim die Zeitung las, wusste er sofort Bescheid. „Jetzt muss der Jule spielen“, sei sein erster Gedanke gewesen, sagt der 54-Jährige. Sein zweiter Gedanke: „Der arme Basti.“
Der arme Basti ist Bastian Schweinsteiger, Jule ist Julian Weigl. Und Hans Fingernagel kennt sie beide. „Beim Basti ist das schon eine ganze Weile her, beim Jule kommt es mir wie gestern vor“, sagt der Bayer, der zwischen 2005 und 2013 Jugendleiter des TSV 1860 Rosenheim war. 1860 Rosenheim, das ist der Verein, in dem sowohl Schweinsteiger (1992 bis 1998) als auch Weigl (2006 bis 2010) das Einmaleins des Fußballs erlernten. „Es macht einen natürlich stolz“, sagt Fingernagel, „dass zwei Rosenheimer in Frankreich für die Nationalmannschaft um den Em-titel mitspielen.“
Nimmt man es genau, dürfte am Donnerstag im Halbfinale gegen Gastgeber Frankreich (21 UHR/ZDF) allerdings lediglich ein 1860er auf dem Platz stehen. Der Rosenheimer Schweinsteiger ist verletzt, der Rosenheimer Weigl könnte ihn ersetzen. Oder besser: Weigl sollte ihn ersetzen. So sieht es zumindest Hans Fingernagel: „Der Jule passt doch perfekt zum deutschen Spiel und zum Toni Kroos. Er ist ballund passsicher, macht wenig Fehler. Aber natürlich muss am Ende der Bundestrainer entscheiden, wen er spielen lässt.“
So ganz anders als der Rosenheimer Fingernagel scheint Bundestrainer Joachim Löw die Sachlage auch nicht zu sehen. „Julian Weigl ist ein ganz ausgezeichneter Techniker. Er macht die Passwege zu, hat ein ganz hervorragendes Positionsverhalten und er ist unglaublich sicher am Ball“, lobhudelt Löw.
Allerdings will er noch offen lassen, wen er tatsächlich im Fall eines Ausfalls für Schweinsteiger bringt: Den Dortmunder Weigl, der in seiner Karriere lange Zeit auf Schweinsteigers Spuren gewandelt ist, oder doch eher den Liverpooler Emre Can, der in der Saison 2012/13 mit Schweinsteiger bei den Bayern sogar schon zusammengespielt hat. „Die beiden sind ganz unterschiedliche Spielertypen“, sagt Löw. „Aber beiden würde ich ohne Probleme gegen Frankreich das Vertrauen schenken.“
Vor dem morgigen Halbfinale fragt sich die Nation nun, welches Löw-lob überschwänglicher war. „Der Can ist bestimmt auch ein richtig guter“, lobt Fingernagel, um dann aber noch ein wenig stärker zu loben: „Aber der Jule hat es einfach drauf. Das haben bei uns schon alle gesagt, als er noch in der U15 spielte. Auch Hoffenheim und sogar die Bayern wollten ihn damals haben.“
Da Schweinsteiger am Donnerstag in Marseille wohl nicht vorangehen kann, ist Weigl gefragt. Oder Can. Hans Fingernagel, zumindest das ist sicher, wird genau hinschauen.
Unterschiedliche Spielertypen