Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
„Vor Neuer wird mancher Stürmer ängstlich“
Die Psychologie spielt mit: Sportwissenschaftler Konrad Smolinski von der Universität Jena vor dem Em-halbfinalduell Frankreich gegen Deutschland
Dr. Konrad Smolinski ist Sportwissenschaftler an der Friedrich-schiller-universität in Jena. Wir sprachen mit dem 35-Jährigen, der als Triathlet schon sechsmal einen Ironman (3,8 km Schwimmen, 180 km Radfahren, 42,195 km Laufen) absolviert hat und viele Sportler trainingsmethodisch betreut. Bei der Fußball-em in Frankreich, beim Halbfinalspiel der deutschen Mannschaft, interessieren ihn vor allem auch die mentalen Aspekte.
Wer ist nach dem Viertelfinale psychologisch im Vorteil: Deutschland, das gegen Italien ein Trauma überwunden hat, oder Frankreich, das klar 5:2 über Island gesiegt hat? Der klare Sieg hat die Franzosen mit Sicherheit sehr selbstbewusst gemacht. Dagegen ist ein Elfmeterschießen ja doch mehr ein Lotteriespiel, bei dem vor allem auch Glück und Zufall über Sieg und Niederlage entscheiden. Manchmal hängt das Schicksal da an einer leicht verkanteten Schuhspitze, an einem Zentimeter, der den Pfostenschuss vom Torerfolg trennt. Das ist ja auch schön. Allein deshalb, weil wir dadurch im Halbfinale stehen. Doch ich denke, dass das angebliche Trauma vor allem ein Thema für die Medien und die Diskussion unter den Anhängern war. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das innerhalb der Mannschaft groß in den Köpfen war. Zumal wir auch zahlreiche junge Spieler haben, die bisher nicht auf Italien getroffen waren Und Joachim Löw ist auch nicht der Typ, der so eine Statistik wichtig nimmt. Er hat diesbezüglich von kaltem Kaffee gesprochen und ich hatte nicht den Eindruck, dass das eine Verdrängungsstrategie war. Zudem hat er einen tollen Betreuerstab, dem ja mit Dr. Hansdieter Hermann auch ein Psychologe angehört.
Muss der sich nach dem Wochenende ausgiebig um Müller, Özil oder Schweinsteiger kümmern, die ja ihre Elfmeter verschossen haben? Nein, dadurch, dass es am Ende zum Sieg und Weiterkommen gereicht hat, wird das auch durch die Betroffenen schnell abgehakt sein .
Und wenn es ein Ausscheiden zur Folge gehabt hätte? Dann kann so ein Fehlschuss in so einem wichtigen Spiel durchaus auch die Karriere beeinflussen. Zumindest ist dann einige psychologische Arbeit vonnöten, dass der Schütze für dass nächste Elfmeterschießen das nötige Selbstvertrauen wieder zurückerlangt. Dies kann beispielsweise durch ein gezieltes Prognosetraining entstehen.
Ist das nicht übertrieben? Vor einigen Jahren noch waren Sportpsychologen überhaupt nicht gefragt. Das hat sich geändert, weil erkannt wurde, wie sehr die Leistung durch Psychologie beeinflusst werden kann. Auch im Mannschaftssport, wo manchmal ebenfalls Winzigkeiten entscheiden. Die angewandte Sportpsychologie hat jedenfalls einen immer höheren Stellenwert. Während im trainingswissenschaftlichen Bereich vieles ausgereizt scheint, steht die Sportpsychologie praktisch noch am Anfang, sie ist noch lange nicht optimiert.
Zurück zum Halbfinale: Wie schwer wiegt der Heimvorteil für Frankreich: Bedeutet er Last oder Lust? Da die Erwartungshaltung im Land durch die Ergebnisse bei den letzten Turnieren nicht riesig war, hat der Heimvorteil wohl eine beflügelnde Wirkung. Was das Gegenteil ausmachen kann, hat Brasilien 2014 erlebt. Frankreich wirkt jedenfalls nach anfänglichen Schwierigkeiten inzwischen auch als Mannschaft sehr geeint. Trotz überragender Einzelkönner.
Klingt ja irgendwie so, dass Deutschland sportpsychologisch chancenlos ist. Wieso? Die Mannschaft hat sich gegen Italien durchgesetzt, noch kein Tor aus dem normalen Spiel hinnehmen müssen und vor allem: Sie ist Weltmeister. Das flößt jedem Kontrahenten höchsten Respekt ein.
Das Phänomen der Angst ist: jeder hat sie mal, doch nur wenige geben sie auch zu: Ist das richtig? Auch aus Sicht der deutschen Mannschaft? Es ist ja nicht sinnvoll und auch nicht der Job vom Bundestrainer irgendeine Angst bekannt zu machen, die ja auch zu Hemmungen führen kann. Wichtiger ist, positive Emotionen zu wecken. Und Joachim Löw hat in der Vergangenheit bewiesen, wie gut er das mit seinen Mitarbeitern beherrscht. Wobei man nie außer Acht lassen darf, dass es trotz gründlichster Vorbereitung immer noch einen Gegner im Mannschaftssport gibt. Insofern ist nicht alles genau planbar, oft spielen auch Glück und Zufall eine Rolle. Aber das sorgt ja zugleich für den besonderen Reiz.
Was würden Sie in Vorbereitung des Halbfinals psychologisch machen? Beispielsweise Bilder vom Wmfinale zeigen. Und mit Blick auf das Ziel, das ja der Titel ist, immer wieder auf die Stärken hinweisen, von denen diese Mannschaft zahlreiche hat.
Sie gilt als Favorit auf den Turniersieg, hat unbestritten Qualität. Das bedeutet aber auch Druck. Kann der Angst auslösen? Versagensängste sind typisch für Sport, auch für Mannschaftssport. Eine gewisse Angst ist vonnöten, um eine Anspannung zu haben. Aber zu viel, kann eine Mannschaft lähmen. In der deutschen Elf stecken jedoch Typen, die unheimlich positiv einwirken können
Dr. Konrad Smolinski arbeitet als Sportwissenschaftler im Fachbereich Sportpsychologie an der Friedrich-schiller-universität Jena
Wen meinen Sie? Thomas Müller mit seiner Lockerheit, Unkompliziertheit und Schlagfertigkeit, tut jeder Mannschaft gut. Und einen Manuel Neuer im Tor zu haben, das sorgt auch für eine Sicherheit. Der löst bei den Gegnern allein mit seiner Erscheinung etwas aus. Ich kann mir vorstellen: wenn ein Stürmer auf ihn zuläuft, dann wird mancher ängstlich.
Das könnte ja auch ein französischer Angreifer sein. Ja, zum Beispiel. Klar ist, dass die Franzosen trotz aller eigenen Stärken höchsten Respekt vor Deutschland haben werden.
Wie schwer wiegen die Ausfälle von Stammspielern? Das ist für den Betroffenen nicht schön, bringt eventuell auch kurz das Gesamtgefüge durcheinander. Doch zugleich ergibt sich dadurch ja auch die Chance für andere Spieler.
Wie lautet Ihr Tipp im Halbfinale? 2:1 für Deutschland.