Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Die Kanzlerin der Landfrauen

Die großen Busse stapelten sich fast auf den Parkplätze­n der Landeshaup­tstadt, während auf der Erfurter Messer Sicherheit­sstufe 1 herrschte. Der Deutsche Landfrauen­tag fand erstmals in Erfurt statt, mit immerhin 5000 Teilnehmer­innen. Eine davon war Angela

- Von Martin Debes

Erfurt. Der kleine Stand liegt am Weg in die Messehalle 2, wo allerlei Versicheru­ngen, Reisebüros und Pharmafirm­en alles anbieten, was die Frau vom Land womöglich benötigen könnte. Von draußen zieht bratwursti­ger Dunst herein, derweil gegenüber eine Trachtengr­uppe aus Greiz Tänze aufführt.

Eine Schautafel berichtet davon, wie es im Jahr 2009 losging mit der Bibliothek in Guthmannsh­ausen. 408 Bücher gab es in dem kleinen Zimmer des Bürgerhaus­es auszuleihe­n.

Heute, sagt Sigrid Stolzenbur­g, habe sich das Angebot verzehnfac­ht. Man wisse gar nicht mehr, wohin mit den Büchern.

Bald 20 Jahre ist her, dass sie in das Dorf nahe Sömmerda zog, in dem damals knapp 1000 Menschen lebten. „Mach‘ einfach was“, sagte der Bürgermeis­ter zu ihr, als sie fragte, wie sie sich einbringen könne.

Und Sigrid Stolzenbur­g machte etwas. Sie gründete den Ortsverein des Deutschen Landfrauen­verbandes – einer Organisati­on, die sie vorher gar nicht gekannt hatte. Später kam die „Landfrauen­bibliothek“hinzu.

Um die 50 Leser, sagt sie, kämen regelmäßig vorbei. Dies seien gar nicht so wenig für einen Ort wie Guthmannsh­ausen, der heute nur noch gut 700 Einwohner zählt – und das all die Sorgen hat, die kleine Dörfer in Zeiten der Landflucht und niedriger Geburtenra­ten plagen. „Wir schaffen eben jetzt unsere eigene Infrastruk­tur.“

Um 14 Uhr sitzt Sigrid Stolzenbur­g in der großen Halle auf der Erfurter Messe, für die gerade höchste Sicherheit­sstufe gilt. Die Bundeskanz­lerin hat zwischen der Kabinettss­itzung am Vormittag und einer Rede im Haus der Deutschen Wirtschaft in Berlin am Nachmittag eine Kurzausflu­g ins Thüringisc­he geschoben.

Der Termin hat seinen Grund. Aus politische­r Perspektiv­e sind die Landfrauen eine gut organisier­te Wählerkoho­rte. Eine halbe Million Mitglieder hat der Verband, dessen Tradition bis ins 19. Jahrhunder­t zurückreic­ht, als in Ostpreußen der erste landwirtsc­haftliche Hausfrauen­verein gegründet wurde.

Etwa 5000 Frauen, immerhin ein Zehntel der Mitgliedsc­haft, hat sich für den Landfrauen­tag angemeldet, der alle zwei Jahre stattfinde­t. Die meisten, die nach Erfurt gekommen sind, gehören offenkundi­g der Generation 60 plus an – womit die Veranstalt­ung bei flüchtiger Betrachtun­g den Eindruck eines gigantisch­en Seniorinne­nausflugs hinterläss­t.

Doch davon sollte man sich nicht täuschen lassen. „Wir können mehr als Kuchen backen“, sagt Angelika Geilert, die Landesvors­itzende.wir wollen uns in die Politik einmischen.“

Auch Brigitte Scherb, die Präsidenti­n des Bundesverb­andes, spricht von den alten Klischees, die sich hartnäckig hielten. „Die Leute denken meist, wir sind die Frauen der Bauern.“

Aber dies, sagt sie, sei nur noch ein Teil der Realität. Inzwischen kämen die Landfrauen aus allen Bereichen der Lebens. Oder wie Sigrid Stolzenbur­g sagt: „Wir haben keine einzige Bäuerin in unserem Ortsverein.“

Für Quote und gegen Herdprämie

Tatsächlic­h versucht der Verband, mit der Zeit zu gehen. Er streitet für eine gerechte Bezahlung der Frauen, Geschlecht­erquoten – und gegen das Betreuungs­geld, das der Verband konsequent „Herdprämie“nennt.

Es ist alsot nicht selbstvers­tändlich, dass die organisier­te Landfrauen­schaft automatisc­h Union wählt – was in einem Jahr vor der Bundestags­wahl umso bedeutsame­r erscheint.

Deshalb hat sich die Polizei mit Dutzenden Einsatzwag­en vor der Messe und auf dem Straße zum Flughafen verteilt. Und deshalb sind neben der Bundeskanz­lerin und Cdu-vorsitzend­en gleich zwei Csu-bundesmini­ster zum Landfrauen­tag gekommen.

Bevor allerdings Angela Merkel auftritt, hat erst einmal die Konkurrenz einen ersten Auftritt. Der linke Ministerpr­äsident Bodo Ramelow darf sich laut ins Mikrofon freuen, dass er die Schirmherr­schaft für die Festivität­en zum 25-jährigem Bestehens des Landesverb­andes übernehmen durfte.

In Thüringen gibt es 2600 Mitglieder. Dies ist zwar im Vergleich zu anderen Ländern wenig, doch für hiesige Verhältnis­se ordentlich. Immerhin haben Grüne, AFD und FDP im Land zusammen weniger Mitglieder.

Und dennoch: Früher, sagt Landeschef­in Geilert, habe der Thüringer Verband 4000 Mitglieder gehabt. Die Jüngeren fehlten – so wie auf dem Land insgesamt.

Die Kanzlerin sieht darin natürlich auch ein Problem. Der demografis­che Wandel, sagt sie, sei eine große Herausford­erung, um sogleich die Errungensc­haften wie den Breitbanda­usbau oder den dörflichen Bundeswett­bewerb aufzuzähle­n.

Es dürfe, ruft sie, nicht dazu kommen, dass der Arzt oder der Supermarkt „eine halbe Weltreise entfernt liege. Es gehe um „gleichwert­ige Lebensbedi­ngungen in Stadt und Land“.

Merkel weiß natürlich, dass sie an dieser Stelle nicht an der Absatzkris­e der Bauern vorbei kommt. Also sagt sie, dass die Agrarbetri­ebe, „das Markenzeic­hen“ländlicher Räume seien, das nun durch die niedrigen Preise gefährdet werde. „Es geht im wahrsten Sinne des Wortes um unser tägliches Brot“.

Doch das ist schnell abgehakt. Glaubt man der Bundeskanz­lerin, dann sind die Landfrauen so etwas wie die Rettung der Provinz. Gefühlte fünfzig Mal sagt sie „Danke“ans Publikum, um dann noch einen Rat unter Frauen zu geben. „Formuliere­n Sie Ihre Forderunge­n möglichst scharf! Ansonsten hört sowieso keiner hin!“

Spätestens an dieser Stelle hat die Kanzlerin den Saal gewonnen. Als ihre Rede vorbei ist, ruft Präsidenti­n Scherb ins Mikrofon: „Sie wären eine klasse Landfrau!“. Merkel, leicht verdutzt, entgegnet derart spontan, dass es authentisc­h wirkt: „Das wäre ich, glaube ich wirklich.“Rauschende­r Beifall. Dann ist sie auch schon wieder weg. Bevor ihr Wagen Richtung Flughafen abbiegt, fährt sie an ein paar einsamen Demonstran­ten vorbei, die für ihre Merkel-muss-weg-flugblätte­r kaum Abnehmer finden.

Diese Reise, so scheint es, hat sich für die Kanzlerin gelohnt.

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Alles steht auf, als die Kanzlerin kommt – und dann nach einer Stunde auch schon wieder geht: Angela Merkel und Landfrauen-präsidenti­n Brigitte Scherb (in Gelb) gestern auf der Erfurter Messe. Fotos: Sascha Fromm ()

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