Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
„Naturschätze zu verramschen, steht der Politik nicht zu“
Umweltministerin Anja Siegesmund verteidigt Schutz des Winkelbergs, kündigt Studie zum hiesigen Naturtourismus an
Die Gipsindustrie spricht sich wieder und wieder für einen Runden Tisch zum Gipsabbau aus. Wie beurteilen Sie das? Ja, auch wir sind bereit zum Dialog. Aber man sollte schauen, welche Grundlagen er hat. Ich habe großes Verständnis für den Wert der Arbeitsplätze in der Gipsindustrie. Auf der anderen Seite trägt Thüringen auch Verantwortung für die einmalige Gipskarstlandschaft.
Grundlage eines Dialogs ist aus Sicht des Unternehmens Casea, das am Winkelberg abbauen will, der Gipskompromiss von 1997: 18 Hektar stehen demnach für einen Abbau zur Verfügung, weil 24 andere Hektar als Naturschutzgebiet ausgewiesen wurden… Das ist ein fauler Kompromiss, er ist keine Grundlage für einen Dialog. Das ist spätestens seit 2004 klar, als die EU dem Thüringer Umweltministerium einen Brief schrieb und betonte, dass die 18 Hektar denselben naturschutzfachlichen Wert haben wie der Rest der Fläche am Winkelberg. Insofern ist es eine längst überfällige Entscheidung, die 18 Hektar als Naturschutzgebiet auszuweisen. Das sorgt für klare Verhältnisse.
Die Bürgermeister von Ellrich und Harztor – beide Orte sind bereits vom Gipsabbau betroffen – übten scharfe Kritik an Ihrer Entscheidung, weil Sie damit die Kompromissfindung erschweren würden. Es gibt immer unterschiedliche Perspektiven. Ich will deutlich machen, dass man nicht mit einem Federstrich wie 1997 Naturschätze verramschen kann. Das steht der Politik nicht zu. Wenn ich in der Bundesrepublik unterwegs bin, die Sprache auf die Naturschätze Thüringens kommt, dann spricht man vom Hainich, vom Grünen Band und in einem Atemzug vom Gipskarst in Nordthüringen. Die Ursprünglichkeit der Landschaft zu erhalten, das sind wir unseren Kindern und Enkeln schuldig.
Wenn nicht über den Winkelberg und die Rüdigsdorfer Schweiz geredet werden darf: Über welche potenziellen Abbauflächen dann? Es geht nicht per se um die Rüdigsdorfer Schweiz, sondern um den Schutz aller Natura-2000und Ffh-gebiete. Außerhalb dieser gibt es Flächen: die Ellricher Klippen und Rüsselsee-ost, auch der Kohnstein sollte in den Blick geraten.
Die Gipsindustrie braucht hochwertigen Gips, an Ellricher Klippen und Kohnstein steht nur Anhydrit an. Bleibt der Rüsselsee: Sind dort auch Naturschutzgebiets-verkleinerungen denkbar? Auf keinen Fall. Aber es gibt dort auch jenseits des Naturschutzgebiets Himmelsberg-kammerforst-mühlberg noch Flächen, die infrage kommen. Konkret muss das auf Basis einer Karte besprochen werden.
Warum kam es noch nicht zu einem solchen Gespräch mit Casea? Die Grundlage für Gespräche muss klar sein. Am Winkelberg darf es keinen Abbau geben, beim nächsten Termin bei Landrat Jendricke im August sollte Casea seine Bereitschaft hierzu auch klarmachen.
Wäre der Naturschutzgebietsstatus für den Winkelberg der definitive Versagungsgrund für einen Abbau? Das ist das Ziel. Aber schon die Ffh-gebiets-kulisse setzt extrem hohe Hürden für einen Abbau.
Im Naturschutzgebiet Himmelsberg hat das Land Anfang des Jahres 2,7 Hektar via Vorkaufsrecht erworben, voriges Jahr waren es 5,7 Hektar im Naturschutzgebiet Harzfelder Holz. Gewissermaßen als „zweite Sicherung“vor einem Abbau? Wenn die Flächen wie in diesen Fällen dem BUND oder der landeseigenen Stiftung Naturschutz Thüringen gehören, ist es in der Tat nicht mehr möglich, dass sie an ein Gipsunternehmen verpachtet oder verkauft werden. Das Vorkaufsrecht dient aber vor allem dazu, die Naturschutzziele leichter umzusetzen. Wir werden diese Möglichkeit auch in Zukunft weiter nutzen, wobei die Stiftung natürlich nur begrenzte finanzielle Mittel zur Verfügung hat. Die Südharzer Gipsindustrie legte zu Jahresbeginn eine Studie vor, wonach mehr als 600 Arbeitsplätze in der Region direkt oder indirekt von ihr abhängen. Beeindruckt Sie diese Zahl? Mit einseitigen Betrachtungen kommen wir nicht weiter. Man kann die regional-ökonomischen Effekte, die mit dem Naturtourismus verbunden sind, nicht außen vor lassen. Wir werden deshalb im Oktober an Prof. Job von der Universität Würzburg eine Studie vergeben. Darin werden die aktuellen und potenziellen regionalökonomischen Effekte untersucht, die durch den Naturtourismus und das geplante Biosphärenreservat Südharz entstehen. Mit diesen wissenschaftlich fundierten Daten führen wir anschließend den Diskussionsprozess.
Das Gipsrecycling spielt nur eine untergeordnete Rolle. Was tun Sie, dies zu ändern? Die Recyclingquote bei Gips ist in der Tat absolut minimal, es fehlen die Anreize, verbauten Gips auch wieder dem Stoffkreislauf zuzuführen. Um das zu ändern, werbe ich derzeit bei meinen Kabinettskollegen dafür, eine entsprechende Bundesratsinitiative zu starten.
Rea-gips, wenden die Gipsunternehmen ein, werde es in absehbarer Zeit nicht mehr genug geben, weil die Kohlekraftwerke abgeschaltet werden. Die Eeg-novelle des Bundes sieht keine Zeitleiste für einen Ausstieg aus der Braunkohle vor. Das ist klimapolitisch bedauerlich. Es bedeutet aber auch, dass gerade die ostdeutschen Kraftwerke noch lange am Netz bleiben: Nicht ohne Grund wurde Vattenfall viel Geld für die Kraftwerke bezahlt. Es wird also weiter Möglichkeiten geben, auf Rea-gips zurückzugreifen. Darüber hinaus sehe ich aber durchaus Forschungsbedarf, um für den Rea-gips Alternativen zu finden. Es gibt gute Ansätze hierzu. Deutschland muss wieder das Land mit dem Knowhow-vorsprung werden. Nicht wie bei der Elektromobilität, wo wir uns von anderen Ländern überholen ließen und das nun bedauern.
Welche Alternativen zum Reagips sehen Sie? Es gilt, mit der chemischen Industrie zusammenzuarbeiten. Dabei geht es um das Verarbeiten von Abfallprodukten. Ich kann mir ein Forschungsvorhaben dazu gut an der Nordhäuser Hochschule vorstellen, die Entscheidung hierzu obliegt aber dem Wirtschaftsministerium. Heute heißt es „Freunde aus anderen Ländern“im „Eine-welt-laden“in Nordhausen. Von 10 bis 11 Uhr könnt Ihr in dem Haus in der Barfüßerstraße viele Dinge über Menschen anderer Kulturen erfahren. Auch Kostproben werden gereicht.
Morgen könnt Ihr auf dem Petersberg klettern. Der Turm und die gesamte Anlage öffnen von 14 bis 19 Uhr. Im Kindertreff Katzmaus in Nordhausen-ost werden von 13 bis 17 Uhr Kunstwerke mit Tortendeckchen auf Keilrahmen gestaltet.