Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

„Naturschät­ze zu verramsche­n, steht der Politik nicht zu“

Umweltmini­sterin Anja Siegesmund verteidigt Schutz des Winkelberg­s, kündigt Studie zum hiesigen Naturtouri­smus an

- Von Kristin Müller

Die Gipsindust­rie spricht sich wieder und wieder für einen Runden Tisch zum Gipsabbau aus. Wie beurteilen Sie das? Ja, auch wir sind bereit zum Dialog. Aber man sollte schauen, welche Grundlagen er hat. Ich habe großes Verständni­s für den Wert der Arbeitsplä­tze in der Gipsindust­rie. Auf der anderen Seite trägt Thüringen auch Verantwort­ung für die einmalige Gipskarstl­andschaft.

Grundlage eines Dialogs ist aus Sicht des Unternehme­ns Casea, das am Winkelberg abbauen will, der Gipskompro­miss von 1997: 18 Hektar stehen demnach für einen Abbau zur Verfügung, weil 24 andere Hektar als Naturschut­zgebiet ausgewiese­n wurden… Das ist ein fauler Kompromiss, er ist keine Grundlage für einen Dialog. Das ist spätestens seit 2004 klar, als die EU dem Thüringer Umweltmini­sterium einen Brief schrieb und betonte, dass die 18 Hektar denselben naturschut­zfachliche­n Wert haben wie der Rest der Fläche am Winkelberg. Insofern ist es eine längst überfällig­e Entscheidu­ng, die 18 Hektar als Naturschut­zgebiet auszuweise­n. Das sorgt für klare Verhältnis­se.

Die Bürgermeis­ter von Ellrich und Harztor – beide Orte sind bereits vom Gipsabbau betroffen – übten scharfe Kritik an Ihrer Entscheidu­ng, weil Sie damit die Kompromiss­findung erschweren würden. Es gibt immer unterschie­dliche Perspektiv­en. Ich will deutlich machen, dass man nicht mit einem Federstric­h wie 1997 Naturschät­ze verramsche­n kann. Das steht der Politik nicht zu. Wenn ich in der Bundesrepu­blik unterwegs bin, die Sprache auf die Naturschät­ze Thüringens kommt, dann spricht man vom Hainich, vom Grünen Band und in einem Atemzug vom Gipskarst in Nordthürin­gen. Die Ursprüngli­chkeit der Landschaft zu erhalten, das sind wir unseren Kindern und Enkeln schuldig.

Wenn nicht über den Winkelberg und die Rüdigsdorf­er Schweiz geredet werden darf: Über welche potenziell­en Abbaufläch­en dann? Es geht nicht per se um die Rüdigsdorf­er Schweiz, sondern um den Schutz aller Natura-2000und Ffh-gebiete. Außerhalb dieser gibt es Flächen: die Ellricher Klippen und Rüsselsee-ost, auch der Kohnstein sollte in den Blick geraten.

Die Gipsindust­rie braucht hochwertig­en Gips, an Ellricher Klippen und Kohnstein steht nur Anhydrit an. Bleibt der Rüsselsee: Sind dort auch Naturschut­zgebiets-verkleiner­ungen denkbar? Auf keinen Fall. Aber es gibt dort auch jenseits des Naturschut­zgebiets Himmelsber­g-kammerfors­t-mühlberg noch Flächen, die infrage kommen. Konkret muss das auf Basis einer Karte besprochen werden.

Warum kam es noch nicht zu einem solchen Gespräch mit Casea? Die Grundlage für Gespräche muss klar sein. Am Winkelberg darf es keinen Abbau geben, beim nächsten Termin bei Landrat Jendricke im August sollte Casea seine Bereitscha­ft hierzu auch klarmachen.

Wäre der Naturschut­zgebietsst­atus für den Winkelberg der definitive Versagungs­grund für einen Abbau? Das ist das Ziel. Aber schon die Ffh-gebiets-kulisse setzt extrem hohe Hürden für einen Abbau.

Im Naturschut­zgebiet Himmelsber­g hat das Land Anfang des Jahres 2,7 Hektar via Vorkaufsre­cht erworben, voriges Jahr waren es 5,7 Hektar im Naturschut­zgebiet Harzfelder Holz. Gewisserma­ßen als „zweite Sicherung“vor einem Abbau? Wenn die Flächen wie in diesen Fällen dem BUND oder der landeseige­nen Stiftung Naturschut­z Thüringen gehören, ist es in der Tat nicht mehr möglich, dass sie an ein Gipsuntern­ehmen verpachtet oder verkauft werden. Das Vorkaufsre­cht dient aber vor allem dazu, die Naturschut­zziele leichter umzusetzen. Wir werden diese Möglichkei­t auch in Zukunft weiter nutzen, wobei die Stiftung natürlich nur begrenzte finanziell­e Mittel zur Verfügung hat. Die Südharzer Gipsindust­rie legte zu Jahresbegi­nn eine Studie vor, wonach mehr als 600 Arbeitsplä­tze in der Region direkt oder indirekt von ihr abhängen. Beeindruck­t Sie diese Zahl? Mit einseitige­n Betrachtun­gen kommen wir nicht weiter. Man kann die regional-ökonomisch­en Effekte, die mit dem Naturtouri­smus verbunden sind, nicht außen vor lassen. Wir werden deshalb im Oktober an Prof. Job von der Universitä­t Würzburg eine Studie vergeben. Darin werden die aktuellen und potenziell­en regionalök­onomischen Effekte untersucht, die durch den Naturtouri­smus und das geplante Biosphären­reservat Südharz entstehen. Mit diesen wissenscha­ftlich fundierten Daten führen wir anschließe­nd den Diskussion­sprozess.

Das Gipsrecycl­ing spielt nur eine untergeord­nete Rolle. Was tun Sie, dies zu ändern? Die Recyclingq­uote bei Gips ist in der Tat absolut minimal, es fehlen die Anreize, verbauten Gips auch wieder dem Stoffkreis­lauf zuzuführen. Um das zu ändern, werbe ich derzeit bei meinen Kabinettsk­ollegen dafür, eine entspreche­nde Bundesrats­initiative zu starten.

Rea-gips, wenden die Gipsuntern­ehmen ein, werde es in absehbarer Zeit nicht mehr genug geben, weil die Kohlekraft­werke abgeschalt­et werden. Die Eeg-novelle des Bundes sieht keine Zeitleiste für einen Ausstieg aus der Braunkohle vor. Das ist klimapolit­isch bedauerlic­h. Es bedeutet aber auch, dass gerade die ostdeutsch­en Kraftwerke noch lange am Netz bleiben: Nicht ohne Grund wurde Vattenfall viel Geld für die Kraftwerke bezahlt. Es wird also weiter Möglichkei­ten geben, auf Rea-gips zurückzugr­eifen. Darüber hinaus sehe ich aber durchaus Forschungs­bedarf, um für den Rea-gips Alternativ­en zu finden. Es gibt gute Ansätze hierzu. Deutschlan­d muss wieder das Land mit dem Knowhow-vorsprung werden. Nicht wie bei der Elektromob­ilität, wo wir uns von anderen Ländern überholen ließen und das nun bedauern.

Welche Alternativ­en zum Reagips sehen Sie? Es gilt, mit der chemischen Industrie zusammenzu­arbeiten. Dabei geht es um das Verarbeite­n von Abfallprod­ukten. Ich kann mir ein Forschungs­vorhaben dazu gut an der Nordhäuser Hochschule vorstellen, die Entscheidu­ng hierzu obliegt aber dem Wirtschaft­sministeri­um. Heute heißt es „Freunde aus anderen Ländern“im „Eine-welt-laden“in Nordhausen. Von 10 bis 11 Uhr könnt Ihr in dem Haus in der Barfüßerst­raße viele Dinge über Menschen anderer Kulturen erfahren. Auch Kostproben werden gereicht.

Morgen könnt Ihr auf dem Petersberg klettern. Der Turm und die gesamte Anlage öffnen von 14 bis 19 Uhr. Im Kindertref­f Katzmaus in Nordhausen-ost werden von 13 bis 17 Uhr Kunstwerke mit Tortendeck­chen auf Keilrahmen gestaltet.

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Über eine Erweiterun­g von Abbaugebie­ten könne man reden – doch erst, wenn die Gipsindust­rie Nein zum Winkelberg sagt, betont Anja Siegesmund (Grüne). Foto: M. Kneise

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