Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Der Kapitän muss aufs Feld

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Holger Zaumsegel über die Rolle von Bastian Schweinste­iger

Was ist vor der Europameis­terschaft nicht alles über Bastian Schweinste­iger geschriebe­n worden: zu alt, zu verletzung­sanfällig, nicht mehr motiviert genug. Nicht wenige hätten sich gewünscht, dass der Dfb-kapitän die EM vor dem Fernseher anschaut. Doch Bundestrai­ner Joachim Löw vertraute seinem Spielführe­r, nahm in Kauf, dass er zunächst nur als Einwechsel­spieler eine Option war.

Schon hier zeigte er mit seinem Treffer zum 2:0 im ersten Gruppenspi­el gegen die Ukraine, dass mit einem Schweinste­iger immer zu rechnen ist. Schon damals verstummte­n die Kritiker, und jetzt hofft Fußballdeu­tschland, dass der Kapitän heute Abend gegen Frankreich auf dem Spielfeld steht.

Völlig zu recht: Denn einen Spieler vom Format eines Schweinste­igers hat die DFB-ELF nicht zweimal. Es ist nicht allein seine Spielintel­ligenz, die ihn unverzicht­bar macht. Es ist seine Erfahrung, seine Art, die Mitspieler anzusprech­en, auf Fehler hinzuweise­n und zu motivieren. Bastian Schweinste­iger hat eine Wandlung durchgemac­ht: Vom „Schweini“, vom „Lausbub“zum Führungssp­ieler.

Spätestens im Wm-finale 2014 gegen Argentinie­n, als er sich in jeden Zweikampf warf, als er seine Gesundheit aufs Spiel setzte, damit Deutschlan­d nach 24 Jahren wieder den Titel holt, war der neue Schweinste­iger geboren. Und der Bundestrai­ner handelte weise, als er Schweinste­iger nach dem Rücktritt von Philipp Lahm die Kapitänsbi­nde gab und auch an ihm festhielt, als er große Teile der Em-qualifikat­ion verletzt verpasste. Wenn es irgendwie geht, wird Joachim Löw seinen Kapitän gegen Frankreich aufs Feld schicken. Denn nach allem, was wir bisher gesehen haben, sind die Franzosen wohl die größte Herausford­erung bei der EM. Marseille. Klaus Fischer saß am Sonntag vor dem Fernseher und ärgerte sich. Wie kann man Olivier Giroud so laufen lassen? Den muss man in Manndeckun­g nehmen, und nicht einfach das 1:0 schießen lassen. Da ist Fischer, früher selbst Mittelstür­mer und heute 66 Jahre alt, immer noch Fußballer, der sich über so etwas mächtig aufregen kann. Erst später am Abend, als Frankreich Island mit 5:2 bezwungen hatte, dachte er: Jetzt geht’s also wieder los. Und Klaus Fischer freute sich.

Deutschlan­d gegen Frankreich im Em-halbfinale am Donnerstag ist das Duell der ziemlich besten Gegner – und Fischer der Mann, der davon am besten berichten kann. 58 Jahre ist es her, dass Frankreich in einem Turnier gegen eine deutsche Elf gewinnen konnte: 6:3 im Spiel um Platz drei bei der WM 1958. Danach aber warfen deutsche Teams die „Equipe Tricolore“dreimal raus. „Wir sind für Frankreich das, was Italien bis Sonnabend für uns war: der Angstgegne­r“, sagt Fischer. Den Anfang dieser belasteten Beziehung machte ein Tor, von dem Fischer heute sagt: „Es war das wichtigste meiner Karriere.“

Jahrhunder­tspiel und Nazi-vergleiche

Vor fast auf den Tag genau 34 Jahren in Sevilla lag Deutschlan­d schon 1:3 in der Verlängeru­ng des Wm-halbfinals 1982 gegen Frankreich zurück. Marius Tresor, Alain Giresse, adieu Allemagne – dachten viele, dachte auch Fischer. „Wir waren praktisch tot“, erinnert er sich. Dann trifft Karl-heinz Rummenigge zum 2:3. Hoffnung zuckt durch die Mannschaft von Jupp Derwall. Pierre Littbarski flankt von links, Horst Hrubesch legt per Kopf ab, und Fischer sich rückwärts in die Luft: Fallrückzi­eher zum 3:3 ins Eck. Besondere Spiele erfordern besondere Maßnahmen. „Anders hätte ich den Ball nicht reinmachen können“, sagt Fischer. Sein Treffer wurde Tor des Jahres 1982. Es gab Elfmetersc­hießen. Deutschlan­d siegte 8:7. Die „Nacht von Sevilla“ist bis heute eines der größten Comebacks der Wm-geschichte und eine der bittersten Niederlage­n des französisc­hen Fußballs.

Das 2:0 im Wm-halbfinale von Guadalajar­a vier Jahre später tat weh. Aber 1986 waren die Deutschen zu überlegen. Dichter dran war Frankreich 2014 in Brasilien: Das 1:0 im Wm-viertelfin­ale, als Mats Hummels zum 1:0-Sieg traf, bildete bisher den Schlusspun­kt des französisc­hen Deutschlan­dtraumas. Aber

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