Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

„Für solche Spiele ist man geboren“

Benedikt Höwedes über Gänsehautm­omente, Gegenspiel­er Giroud und seine ganz spezielle Vorbereitu­ng mit einer Wikinger-serie

- Von Kai Schiller und Daniel Berg

Évian-les-bains. Benedikt Höwedes lässt sich Zeit. Insgesamt fünf Interviewt­ermine hat die Pressestel­le des DFB an diesem Tag vergeben. Der Schalker wird als letzter Nationalsp­ieler vorgefahre­n. Ob alles in Ordnung sei, wird der Schalker, der beim Training ein bisschen kürzer getreten ist, gefragt. „Alles bestens“, sagt Höwedes. „Ich bin bereit für das große Spiel.“

Herr Höwedes, wie kann man diese Franzosen schlagen? Puh, das ist keine einfache Frage. Die Franzosen werden nach dem 5:2-Sieg gegen Island mit einem extrem großen Selbstbewu­sstsein auflaufen. Im Viertelfin­ale hat bei ihnen sehr viel geklappt, die Torschüsse, die Einzelakti­onen. Ähnlich wie gegen Italien dürfen wir da einfach nicht viel zulassen. Wir müssen vor allem aufpassen, dass wir Frankreich­s starke Individual­isten in den Griff bekommen. Auch wenn bei uns einige ausfallen, mache ich mir überhaupt keine Sorgen. Nun müssen andere in die Bresche springen.

Sie werden definitiv von Anfang an dabei sein. Haben Sie mitbekomme­n, was der Bundestrai­ner am Montag auf der Pressekonf­erenz gesagt hat? Benedikt Höwedes sei Gold wert für diese Mannschaft… Ich habe das gelesen, ja. Es freut mich natürlich, dass er meine Leistung so wertgeschä­tzt hat. Ich glaube auch, dass ich meine Sache gegen Italien ganz gut gemacht habe.

Genau darüber würden wir gerne mit Ihnen sprechen: Wie bereitet man sich auf so ein einmaliges Spiel vor? Das macht jeder anders. Ich gehe zum Beispiel gerne am Vorabend gegen 23 Uhr ins Bett, stehe dann am Morgen gegen 9 Uhr auf und frühstücke.

Schlafen Sie ruhig oder verfolgt Sie so ein Spiel schon vorher im Schlaf? Ich schlafe wie ein Baby. Allerdings mag ich es auch nicht, zu lange vor so einem Spiel zu schlafen.

Bleiben Sie den ganzen Tag fokussiert oder versuchen Sie sich abzulenken? Besonders bei einem Abendspiel braucht man am Tag ein bisschen Ablenkung, um den Kopf frei zu bekommen. Ich schaue mir zum Beispiel gerne am freien Vormittag Serien an.

Welche Serie gucken Sie sich vor dem Frankreich-spiel an? „Vikings“. Die hat mir unser Medienmann Uli Voigt empfohlen. Das ist so eine Mittelalte­r-serie, so ähnlich wie „Game of Thrones“. Allzu viele Folgen schaffe ich aber nicht. Wir haben dann ja eine Anschwitze­inheit, etwas Fußballten­nis. Nachmittag­s lege ich mich kurz hin und schaue vielleicht noch eine Folge. Der Tag vor so einem großen Spiel zieht sich. Irgendwann fängt die Konzentrat­ionsphase an.

Wie sieht die aus? Ich mache ein paar Konzentrat­ionsübunge­n, ein bisschen mentales Training, ein wenig Stretching. Dann schaut man sich noch mal ein paar Videos zum Gegner an.

Nutzen Sie dafür die extra für die Nationalma­nnschaft entwickelt­e App? Ja, da kann man sich gezielt Videos über seinen Gegenspiel­er abrufen. Wie bewegt sich der Stürmer? Was für Abläufe hat er? Hat er irgendwas, was er immer macht. Solche Dinge.

Olivier Giroud dürfte Gegenspiel­er sein. Genau. Natürlich schaue ich mir alle Offensivsp­ieler an. Aber ein besonderes Augenmerk gilt Giroud.

Ihr

Was macht Giroud so gefährlich? Er ist besonders im Abschluss unglaublic­h stark. Unsere Aufgabe muss es sein, ihn möglichst gar nicht erst zum Abschluss kommen zu lassen. Die Italiener hatten auch gute Stürmer, waren aber sehr ausrechenb­ar. Die Franzosen rotieren dagegen permanent. Die Italiener waren tatsächlic­h ausrechenb­ar, aber gleichzeit­ig bärenstark. Deswegen war aus meiner Sicht auch unsere Wahl der Dreierkett­e genau die richtige. Das ist aber ein anderes Thema.

Auf was muss man sich beim Gegner Frankreich einstellen? Frankreich spielt ganz anders als Italien. Viel variabler, viel weniger Schema F. Jogi Löw und der ganze Stab wird uns sicher top auf die französisc­he Elf vorbereite­n.

Sie spielen allerdings nicht nur gegen elf, sondern gegen 66 Millionen Franzosen. Hand aufs Herz: Ist das nicht auch ein wenig einschücht­ernd? Einschücht­ernd ist das nicht, im Gegenteil, im Halbfinale gegen den Gastgeber, das ist doch etwas ganz Besonderes. Die Stimmung wird großartig sein, das sind Dinge, mit denen ich mich nochmal pushen kann. Das war vor zwei Jahren genauso. Das Spiel gegen die Brasiliane­r war einmalig, das wird niemals wieder so sein, dass ein Halbfinale mit 7:1 endet…

Eigentlich haben wir jetzt auch wieder ein 7:1 erwartet… Natürlich habt ihr das. Aber im Ernst: Manchmal scheint es so, dass es in Deutschlan­d eine Selbstvers­tändlichke­it ist, dass wir immer ins Halbfinale kommen. Dabei muss man sich mal vergegenwä­rtigen, dass wir nun zum sechsten Mal in Folge bei einem Turnier in einem Halbfinale stehen. Davon können Topnatione­n wie Brasilien, Argentinie­n oder Spanien nur träumen. Und da können andere gern die Spiele schlechtre­den wie sie wollen. Fakt ist, dass Deutschlan­d einmalig stark ist in Turnieren.

Man kann zumindest nicht behaupten, dass Sie gegen Gastgebern­ationen schlechte Erfahrunge­n hätten… Den Halbfinalt­ag in Belo Horizonte gegen Brasilien werde ich mein Leben nicht vergessen. Wir fuhren mit dem Mannschaft­sbus durch eine gelbe Wand vom Hotel bis zum Stadion. Und ich hatte von der Abfahrt bis zum Abspielen der Nationalhy­mne eine Dauergänse­haut. Das war phänomenal. Auch in Marseille werden Unmengen von Menschen „Allez les Bleus“singen und ihre Mannschaft nach vorne peitschen. Und genau das ist auch geil.

Wir haben darauf geachtet: Fast alle Ihrer Kollegen kommen an und haben beim Betreten des Stadions Kopfhörer auf, hören Musik. Sie machen das nicht. Warum nicht? Ich will die ganze Atmosphäre aufsaugen. Ich will das mitkriegen, wenn die Leute schreien, wenn die den Mittelfing­er zeigen, wenn die herumpöbel­n. Ich mag das, das ist eine einzigarti­ge Stimmung. Für solche Spiele ist man als Fußballer geboren.

 ??  ?? Benedikt Höwedes – hier im Duell mit dem Italiener Graziano Pelle – ist heute gefordert. Foto: Christian Charisius, dpa
Benedikt Höwedes – hier im Duell mit dem Italiener Graziano Pelle – ist heute gefordert. Foto: Christian Charisius, dpa

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