Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Kunstbanau­se setzt sich durch

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Kai Schiller über journalist­ische Kreativitä­t bei der EM

So eine Europameis­terschaft ist ein ziemlich langes Turnier. Für die Fußballer. Für die Fans. Und natürlich auch für die Journalist­en. Für die Zeitungen sind wir mit drei Mann vor Ort. Seit insgesamt 45 Tagen (Turnier und Vorbereitu­ng zusammen). Acht Interviews haben wir geführt, insgesamt geschätzte 180 Artikel geschriebe­n, rund 22 500 Zeilen zu Papier gebracht. Und bei jedem Bericht stellt man sich immer wieder aufs Neue die gleichen Fragen: Wie beginnt man den Artikel möglichst kreativ? Was ist das Hauptthema? Der rote Faden? Und wie soll der Bericht enden?

Genau diese Frage hat sich auch mein Nebenmann gestellt, als wir am Mittwoch auf der Tribüne das Abschlusst­raining der deutschen Mannschaft verfolgt haben. Bastian Schweinste­iger war erstmals wieder am Ball. Die Fotografen klickten, die Kollegen machten sich in ihren Blöcken Notizen.

Und mein Nebenmann? „Die haben grüne Trikots an“, sagt er. „Und?“, sage ich. „Grüne Trikots“, wiederholt er. „Da kann man doch von einer grünen Periode sprechen.“„Hä?“, sage ich. „Naja“, sagt er. „Es gibt doch auch die rosa Periode. Die Blaue Periode. Picasso und so. Das kann man doch miteinande­r verbinden.“Puh. „Picasso?“, frage ich. „Rosa Periode? Grüne Periode?“Bin ich ein Kunstbanau­se? Und geht es hier überhaupt noch um das Halbfinale der Europameis­terschaft? Um Schweinste­iger? Um einen echten Fußballkla­ssiker? Oder doch eher um die Klassische Moderne?

Der Kunstbanau­se hat sich am Ende des Gesprächs jedenfalls durchgeset­zt. Der Feingeist hat bei seinem Fußball-artikel auf Picasso und die rosa Periode im Einstieg verzichtet. Nun geht es um einen Schweizer Architektu­r-studenten.

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