Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
Allein gegen Höcke
Er gründete den Landesverband der AFD. Jetzt kämpft Matthias Wohlfarth gegen seinen früheren Co-landesvorsitzenden. Ein Besuch im Dorf Seitenroda
Der Mann, der sich von Björn Höcke verraten fühlt, hat die graue, schmuddelige Arbeitsjacke gegen einen dicken Strickpullover getauscht und sich die weißen Haare zur Seite gekämmt. Er bringt die Kaffeekanne in die frühere Scheune, in der einst der Pfarrer das Heu für die Pferde lagerte und die nun zu einer Gaststube umfunktioniert ist.
Der Kanonenofen heizt, die Frühlingssonne scheint durch die kleinen Fenster und Matthias Wohlfarth stellt den Kuchen zurecht. Währenddessen gestikuliert er in den Raum hinein „Hier“, sagt er, „haben wir die Gründung der Landespartei vorbereitet“. Hier habe Björn Höcke gestanden und seine erste Rede gehalten.
Das war im Frühjahr 2013, als die Thüringer AFD aus etwas mehr aus hundert zufällig zusammengewürfelten Menschen bestand. Wohlfarth wurde ihr erster Landesvorsitzender – und Höcke sein Co-chef. Ein Geschichtslehrer, der, so wie er, mit Frau und vier Kindern in ein vormaliges Pfarrhaus gezogen war: Es schien zu passen zwischen den beiden. Er habe auf ihn als „nachdenklicher Intellektueller“gewirkt, sagt Wohlfarth, als „angenehmer Mensch“.
In der Scheune lässt sich auch die innere Gemengelage der AFD etwas besser verstehen. Denn die Machtkämpfe, die gerade auf nationaler Ebene ausgefochten werden, haben oft wenig mit Ideologie zu tun – und viel mit persönlichen Ambitionen. So feindlich sich die Lager auch gegenüber stehen mögen: Die geistigen Ursprünge sind zumeist dieselben.
Es fügt sich, dass das kleine Dorf Seitenroda, in dem Wohlfarths Pfarrhof steht, seit jeher völkisch Gesinnte inspirierte. In den 1920er-jahren verbrachte Muck Lamberty mit seiner „Neuen Schar“die Winter auf der Leuchtenburg, die sich über dem Ort erhebt.
Noch heute prangt an einem in strahlendem Gelb getünchten Haus im Dorf eine Strophe des Vaterland-liedes von Ernst Moritz Arndt: „So weit die deutsche Zunge klingt / Und Gott im Himmel Lieder singt / Das soll es sein! / Das, wackrer Deutsche, nenne Dein!“
Gleich gegenüber den frommen Versen steht der Pfarrhof, den Wohlfarth „Haus Bethlehem“nennt – und den er mit seiner Frau Olga zu einer christlichen Herberge mit 47 Betten ausgebaut hat. Die Übernachtung kostet ab acht Euro.
Es ist das perfekte Setting für einen Außenseiter. Schon immer sah sich Wohlfarth im Kampf gegen das System, ganz egal welches. 1954 in eine Thüringer Pfarrerfamilie hineingeboren, ging er nicht zu den Pionieren oder in die FDJ. Später verweigerte er den Wehrdienst und ließ sich zum Jugenddiakon ausbilden.
Doch dann zerstritt er sich auch mit den Oberen der Ddrlandeskirche, nach 1989 studierte er ein paar Semester Theologie und schlug sich als Sozialarbeiter durch. Kirchensteuer bezahlt er längst nicht mehr. Er sei, sagt er, „ein Dissident“.
Auch politisch hat Wohlfarth so seine Ansichten. In einer Ecke der Gaststube liegen ein paar Blätter herum, ein „Notgebet für unser Land“. Darin heißt es: „Wir bitten dich, Gott, um eine christliche und kirchliche Umkehr“, hin zu „einer ehrlichen und mutigen Auseinandersetzung mit dem Islam und den Lebenslügen des Zeitgeistes“. In der AFD sah Wohlfarth Anfang 2013 die Chance, gegen diese angeblichen Lebenslügen nicht mehr nur anzubeten. In den Wirrungen der Parteigründung fiel es ihm leicht, sich an die Spitze der Landespartei zu setzen. Die Bundesführung um Bernd Lucke war froh, dass sich in der Provinz überhaupt jemand dazu bereitfand.
Doch kurz nach seiner Wahl propagierte Wohlfarth im Deutschlandfunk: „Wenn ich das sehe, wie ein Afrikaner an der Bushaltestelle von irgendwelchen Rechten zusammengeschlagen worden ist, sehe ich aber auch den Hintergrund: Ich sehe den Hintergrund, dass möglicherweise durch eine lasche Handhabung mit kriminell agierenden Einwanderern so eine Antistimmung gefördert wird, ja.“
Die Ausländer sind selbst dafür verantwortlich, wenn sie attackiert werden: Das Zitat sorgte für einen Eklat – damals sogar in seiner Partei.
Er sei, so sagt er es heute, leider missverstanden worden. „Da wurden ein paar Sätze isoliert rausgezogen, wodurch das Gegenteil von dem, worum es mir ging, daraus gemacht wurde.“Er kenne, so fährt er fort, „viele liebenswerte Afrikaner“. Er engagiere sich dafür, „wirklich Verfolgten zu helfen, darunter besonders verfolgten Christen“. Denn schließlich: „Es findet gerade eine Ausrottung des orientalischen Christentums statt.“
Wohlfarth beherrscht den Höcke-sound, inklusive der nachträglichen Relativierungsübungen. Doch im Unterschied zu seinem einstigen Weggefährten ist er längst politisch erledigt. Oder präziser: Höcke hat sich seiner entledigt.
Es begann im Winter 2014. In Thüringen startete der Landtagswahlkampf, die AFD stieg in den Umfragen und in der Landespartei balgten sich die Mitglieder um die künftigen Mandate. Wohlfarth, der die Listenwahl zu organisieren hatte, wurde von allen Seiten angegriffen. Der Parteitag versank im völligen Chaos, was wiederum Höcke für sich nutzte, um ganz nach vorne zu drängen.
Doch obwohl Wohlfarth seinem Co-landeschef nicht nur den Spitzenplatz überließ, sondern ganz auf eine Kandidatur verzichtete, nahmen danach die Attacken auf ihn noch zu. Eine Vorzeigeunternehmerin trat aus dem Vorstand zurück und bezeichnete die Landespartei als unwählbar. Ein früherer Spdlandrat verließ die Partei und nahm seinen halben Kreisverband gleich mit. Wohlfarth, sagte er, sei ein „völkisch-christlicher Fundamentalist“, der baldmöglichst „in der Versenkung“verschwinden müsse. Auch die Hälfte der Kreisverbände forderte seine Demission.
Noch heute findet Wohlfarth es auffällig, dass Höcke ihn damals nicht verteidigte. Inzwischen scheint er sogar daran zu glauben, dass sein Co-vorsitzender gegen ihn intrigierte.
Im Juni 2014, drei Monate vor der Landtagswahl, trat er als Landeschef zurück, um einer Abwahl zuvor zu kommen. Zu dem Parteitag, auf dem Höcke endgültig zur Nummer 1 in der Thüringer AFD aufstieg, war eigens Bundeschef Bernd Lucke angereist. Die gewünschte Botschaft nach außen: Wohlfarth sei zu quer, zu merkwürdig, zu radikal. Nun habe sich die Partei professionalisiert.
Die „liebenswerten Afrikaner“
„Höcke trägt den Patriotismus wie eine Ersatzreligion vor sich her. “
Doch am Wahlabend, an dem die Thüringer AFD elf Mandate der gut 90 Mandate im Landtag eroberte hatte, zeigte sich Björn Höcke erstmals so der Öffentlichkeit, wie ihn bis dahin nur wenige Vertraute kannten. Er rief mit Bierzeltstimme den „vollständigen Sieg“aus, der eine „neue Epoche der Parteiengeschichte“einleite. Die AFD sei eine „blaue Bewegung, die unser gesamtes Vaterland in eine bessere Zukunft“führe.
Und das war nur der Anfang. Aus dem netten Gymnasiallehrer Höcke wurde der bekannteste Rechtsaußen der AFD, der erst Bundeschefin Frauke Petry half, ihren Co-chef Bernd Lucke zu vertreiben, um nun gegen sie zu arbeiten. Er wurde zum dem Demagogen, der Angela Merkel in die Zwangsjacke stecken will, den afrikanischen „Ausbreitungstyp“beklagt, die „dämliche Bewältigungskultur“geißelt – und nicht alles an Adolf Hitler schlecht finden mag. Mit dieser Aussage schaffte er es zuletzt sogar ins „Wall Street Journal“.
Derweil berichtet über Wohlfarth selbst die hiesige Presse nur noch dann, wenn er sich an Höcke abarbeitet. „Sei gegrüßt, Björn!“, schrieb er zuletzt in einem Offenen Berief. „Die politischen Gegner wollen eine NPD light aus der AFD machen und Deine zu oft als NPD light wahrgenommenen Auftritte sind ein Glücksfall für sie.“
Die Distanzierung klingt so, wie man sie von Petry kennt. Das Problem ist nicht so sehr die Ideologie, die Höcke vertritt. Das Problem ist, wie und wann er sie vertritt – und dass er damit den direkten Weg zur Macht versperrt.
Höcke, sagt Wohlfarth, habe einen „unglaublichen Personenkult“um sich herum entwickelt und trage den Patriotismus „wie eine Ersatzreligion“vor sich her. Die „Selbstüberhöhung“, dass nur er, Höcke, den Weg weisen könne, erinnere ihn „an sehr fragwürdige Vorbilder“.
Zuletzt setzte sich der frühere Landesvorsitzende auf ein Podium mit Frauke Petry, die Höcke aus der Partei werfen will. Er unterstütze das Ausschlussverfahren, sagt er. Der Thüringer Afd-chef werde, wenn es so weiter mache, im Bundestagswahlkampf Prozente koste.
Doch mit dieser Sicht ist Matthias Wohlfarth in der Thüringer AFD völlig isoliert. Die Kritiker sind gegangen, im Landtag verließen drei Abgeordnete die Fraktion. Die Verbliebenen haben sich allesamt zu ihrem Vorsitzenden bekannt.
Die von Höcke beschworene konservative Revolution hat ihre Kinder gefressen. Die Thüringer AFD organisiert regelmäßig Pegida-artige Demonstrationen, auf denen jeder angepöbelt wird, der es wagt, eine andere Meinung zu haben. Sie führt die Kampagne gegen den Neubau einer Moschee in Erfurt an, die zunehmend eskaliert. Und sie ist zentraler Teil des von Höcke begründeten „Flügels“, der die Partei zu einer „Widerstandsbewegung“umbauen will.
Es gebe, sagt Matthias Wohlfarth, in der Partei leider nicht viele, die daran Kritik wagten. „Die Mehrheit verhält sich angepasst.“In seiner Ohnmacht erinnert er ein wenig an den früheren Afd-bundesvize Hans-olaf Henkel. Der hatte, nachdem er von der Partei, die er einst gründete, wieder ausgespuckt worden war, erstaunt mitgeteilt: „Ich habe geholfen, ein Monster zu schaffen.“
Doch der Unterschied ist: Wohlfarth ist noch in der AFD. Er glaubt an sie. Und er würde wohl, wenn man ihn ließe, gerne wieder das Monster reiten.