Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
Fatal: Busfahrer zeigte vier Sekunden keine Reaktion
37-Jähriger nach tödlichem Unfall auf der Autobahn 4 zu Bewährungsstrafe verurteilt. Besondere Sorgfaltspflicht verletzt
Weimar. Was sich Familie S. aus Annaberg-buchholz von dem Prozess am meisten erhofft hatte, tritt nicht ein: Der 37-jährige Markus M., der am 30. Oktober 2015 auf der Autobahn 4, kurz hinter der Anschlussstelle Erfurt-ost, einen schweren Busunfall verursacht und damit den Tod des vierjährigen Sohnes dieser Familie verschuldet, darf weiter als Busfahrer arbeiten.
Zwar beging M. einen nicht wieder gutzumachenden Fehler, indem er den mit 60 Kindern und fünf Erwachsenen besetzten Doppelstockbus nach einem Überholvorgang nicht wieder auf die rechte der drei Fahrspuren lenkte, sondern ihn ohne jeden Brems- oder Manövrierversuch gegen eine Böschung prallen und in der Folge umstürzen ließ. Doch das rechtfertigt keinen Entzug des Busführerscheins und damit quasi ein Berufsverbot, zumal sich M. bisher nichts zu Schulden kommen ließ, er nicht vorbestraft ist.
Das stellten zum Ende der viertägigen Hauptverhandlung am Amtsgericht Weimar sowohl Staatsanwalt Uwe Strewe in seinem Plädoyer als auch die Vorsitzende Richterin Inez Gloski in der Urteilsbegründung klar.
Das „Augenblicksversagen“, als das Gloski den Umstand bezeichnete, dass M. während eines Zeitfensters von vier Sekunden nicht reagierte und damit das vermeidbare Unglück fahrlässig herbeiführte, wird allerdings geahndet. Das Gericht hielt den Busfahrer aus Österreich gemäß der Anklage der fahrlässigen Tötung in einem und der fahrlässigen Körperverletzung in 64 Fällen für schuldig und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten.
Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt, die Bewährungszeit beträgt drei Jahre. Zusätzlich muss der Angeklagte, der sein monatliches Einkommen auf 1600 bis 1800 Euro bezifferte, eine Geldstrafe von 1500 Euro an die Björn-steigerstiftung zahlen. Die Staatsanwaltschaft hatte das Dreifache gefordert. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Was genau zu dem viersekündigen Kontrollverlust und damit zum Unfall führte, konnte in dem Prozess nicht geklärt werden. Der Angeklagte gab an, sich an den Moment unmittelbar nach dem Überholen eines Lkw nicht erinnern zu können. Einen technischen Defekt schloss ein Sachverständiger der Dekra aus. Es habe dafür weder Hinweise am Fahrzeug noch am Unfallort Reifen-, Brems- oder Schleuderspuren gegeben. Staatsanwalt Strewe, der von einem „Horrorunfall“und davon sprach, dass alle Passagiere verletzt worden seien, warf M. vor, seiner besonderen Verantwortung als Busfahrer und seiner Sorgfaltspflicht nicht nachgekommen zu sein. So habe er es unterlassen, die Fahrgäste auf die Gurtpflicht hinzuweisen – ein Versäumnis, das mit einem Bußgeld von bis zu 50 000 Euro geahndet werden könne. Außerdem sei er während des Überholens auf abschüssiger Strecke zu schnell gefahren: Statt der zulässigen 100 Stundenkilometer habe das Fahrzeug Tempo 119 erreicht. Die überhöhte Geschwindigkeit war aus Sicht des Sachverständigen nicht unfallursächlich. Bei Einhaltung des Tempolimits wäre dem Fahrer aber mehr Zeit geblieben, den Kurs zu korrigieren. Warum es ein „Zeitfenster des Nichthandels“gab, könne verschiedene Ursachen haben: Sekundenschlaf, das Hantieren mit dem Handy oder Unaufmerksamkeit. In seinem Schlusswort sagte der Busfahrer, der Vater von drei Kindern ist, dass er auch schwer an den Folgen des Unfalls zu tragen habe. Seit einem Jahr sitzt der 37-Jährige wieder hinterm Steuer eines Busses – nicht in Deutschland. Ob der Vierjährige überlebt hätte, wenn er angeschnallt gewesen wäre, ist spekulativ. M. indes hat bislang weder zu dessen Familie noch einem der anderen Unfallopfer Kontakt aufgenommen. Er könne, sagte er vor der Urteilsverkündung, sich nicht für etwas entschuldigen, wenn er nicht überzeugt davon sei, dass er auch wirklich die Schuld daran trage. Familie S. blieb es erspart, das mit anhören zu müssen: Sie trat weder als Nebenkläger noch als Beobachter auf.
Alle Fahrgäste tragen an den Folgen