Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
15 Prozent der Arztbesuche erfolgen wegen chronischer Schmerzen
Bleicheröder Klinik stellt Schmerztherapie vor, die auf eine umfassende Behandlung des Patienten setzt. Der Weg führt über den Hausarzt
Bleicherode. Jeder, egal wie jung oder alt, hat eine Form von Schmerz schon in seinem Leben kennengelernt. Doch wie viele Menschen unter chronischen Schmerzen leiden und sich für das neue Konzept der multimodalen Schmerztherapie in der Helios-klinik interessieren, das überraschte die Organisatoren der Patientenakademie.
Der Oberarzt für Anästhesie und Intensivmedizin, zugleich schmerztherapeutischer Leiter, Dr. Steffen Zwanzig, empfing die rund 75 Besucher und gab einen ausführlichen Überblick über Zahlen, Daten, Fakten, verschiedene Schmerzarten und über die multimodale Schmerztherapie in der Bleicheröder Fachklinik für Orthopädie. Anhand des Publikums wurde deutlich: Schmerzliche Beschwerden gehen alle Altersklassen an. Sei es der Schmerz, hervorgerufen durch sportliche Betätigung, Unfälle und Verspannungen, oder aufgrund von Verschleißerkrankungen: Jeder siebte Deutsche leidet unter Schmerzen. Anhand einer statistischen Einführung gab Zwanzig einen Einblick in die Bandbreite von Schmerzerkrankungen. 15 Prozent der Arztbesuche erfolgen wegen chronischer Schmerzen und 60 Prozent der Schmerzen werden am Muskelund Skelettsystem diagnostiziert. Allein 70 Prozent der Bundesbürger kennen Rückenschmerzen – bei 10 Prozent dieser Erkrankten wird der Rückenschmerz chronisch.
Doch was verbirgt sich hinter diesen Schmerzen? „Die Bedeutung des Phänomens Schmerz kann nur verstanden werden, wenn der Begriff Schmerz nicht nur auf die krankhaften Veränderungen am Körper reduziert wird“, erklärt Oberarzt Zwanzig.
Grundsätzlich wird zwischen akutem und chronischem Schmerz unterschieden. Der akute Schmerz besitzt sowohl eine Warnfunktion als auch eine Schutz- und Rehabilitationsfunktion. Beispielhaft für den Akutschmerz sind Zahn- oder Geburtsschmerzen sowie Schmerzen nach einer Operation. Die Dauer des Akutschmerzes ist meist kalkulierbar. Vom chronischen Schmerz ist die Rede, wenn dieser länger als drei Monate andauert. „Bei chronischen Schmerzen fehlt meist eine klare Ursache“, erklärt Dr. Zwanzig. Diese verursacht bei Arzt und Patient eine Unsicherheit, die schnell in einen Teufelskreislauf münden kann. Aufgrund erfolgloser Behandlungsversuche wird der Patient enttäuscht und in seiner Psyche geschwächt.
Die Orientierung am Akutschmerz bringt wenig bis keinen Aufschluss über die Ursache und Heilungsmöglichkeiten von chronischen Schmerzen. „Hinzu kommt, dass Fachärzte häufig Überweisungen basierend auf ihrem Fachgebiet ausschreiben, die zu neuen Misserfolgen führen können. Der Patient wird immer unsicherer und schnell aufgrund psychischer Instabilität „abgeschrieben“, erklärt Dr. Zwanzig den Teufelskreislauf bei chronischem Schmerz.
Dieser Kreislauf schwächt den Gesundheitszustand eines Schmerzpatienten jedoch umso mehr, da Schmerzen in Überforderung, Stress, Muskelanspannung, Bewegungseinschränkung, Erschöpfung und stärkeren Schmerzen münden können. „Ist dieser Punkt erreicht, ist die Abkehr von Prinzipien der Akutschmerztherapie hin zu einer multimodalen Schmerztherapie notwendig“, weiß Dr. Zwanzig.
Die Idee der multimodalen Schmerztherapie ist nicht neu. Bereits in den 70er Jahren wurde „körperliche Reparatur“mit psychotherapeutischen Verfahren verknüpft. „Die multimodale Schmerztherapie bezeichnet die gleichzeitige, inhaltliche, zeitliche und in der Vorgehensweise aufeinander abgestimmte umfassende Behandlung von Patienten mit chronifizierten Schmerzsyndromen. Sowohl Verfahren als auch Behandlungsplan und Therapieziel werden von gleichberechtigen Teammitgliedern festgelegt“, erklärt der Schmerztherapeut.
Im Gegensatz zur Rehabilitation erfolgt eine individuelle Betreuung in kleinen Gruppen mit übereinstimmenden Krankheitsmodellen und Teambesprechungen. „Der Patient wird aktiv in seine Behandlung mit einbezogen“, so der Mediziner.
Die multimodale Schmerztherapie wird jedoch erst dann in Erwägung gezogen, wenn Vorbehandlungen keine Erfolge aufweisen, der Medikamentenverbrauch zu hoch oder psychosoziale Risikofaktoren und Begleiterkrankungen deutlich werden. In der Frühphase der Schmerzkrankheit werden körperlich übende Verfahren favorisiert, die der Schmerzpatient eigenständig anwenden soll.
Schmerzen gehen alle Altersklassen etwas an
Der Patient lernt, Schmerzen zu bewältigen
„Diese Maßnahmen sind für den gesamten Verlauf der Schmerztherapie, aber vor allem für die Psyche der Schmerzpatienten enorm wichtig“, weiß Dr. Zwanzig. In der Spätphase wird mit der Wiederherstellung und Verbesserung der funktionellen Leistungsfähigkeit, Beweglichkeit, Muskelkraft, Koordination und Ausdauer begonnen.
Auch die Milderung psychischer Folgen und das Erlernen von Bewältigungsstrategien spielen eine essenzielle Rolle in der Schmerztherapie. „Hierfür gibt es in der Helios-klinik ein Expertenteam aus Ärzten, Pflegenden, Physio- und Ergotherapeuten sowie Psychologen, welches sich gezielt und interdisziplinär mit den individuellen Behandlungsplänen chronischer Schmerzpatienten beschäftigt“, sagt Dr. Zwanzig. Die Behandlungsdauer beträgt dabei mindestens sieben Tage und bis zu drei Wochen.
Für die multimodale Schmerztherapie in Bleicherode wird die Einweisung durch einen Haus- oder Facharzt benötigt.