Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
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Wr ie lange dauert ein Krieg? Sechs Jahre, wie gerade in Syrien? Sieben? Dreißig?
Nein, Kriege dauern viel länger!
Mögen die Kampfhandlungen eingestellt sein, mögen sich die Kämpfer und diejenigen, die nicht starben, ablenken, Wirtschaftsaufschwünge feiern oder zum Mond fliegen. Was in wenigen Jahren zerstört wird, das ist nicht so schnell aufgebaut. Weder von Architekten noch von Psychologen.
Wer wüsste das besser als die Nordhäuser.
Die letzten Narben des Bombenkrieges, der Nordhausen ausgerechnet heute vor 72 Jahren so hart traf, werden gerade getilgt. Da kommen schon diejenigen, die glauben, es sei selbstverständlich, in Frieden zu leben, es sei normal, alles äußern zu können, und sägen wieder an dem dünnen Band, das Europa zusammenhält. Nie zuvor hielt dieses Band so lang.
Nun wird es wieder strapaziert. Und wenn es reißt, dann könnten die dunklen Zeiten zurückkehren.
Sehen wir das gestrige Ereignis als Mahnung. 72 Jahre nachdem Nordhausen in Schutt und Asche gelegt wurde, weil ein Land die Welt erobern wollte und Andersdenkende, Andersaussehende nicht akzeptierte, werden die Bomben der Herausgeforderten noch geborgen. Welche Gedenkfeier könnte dieses Signal besser ausdrücken?
Nie wieder Krieg! Nach Angaben der Berufsfeuerwehr sind von den rund 6900, über Nordhausen abgeworfenen Bomben ungefähr 15 Prozent Blindgänger. Mehrere 100 werden noch immer im Stadtgebiet vermutet.
Die letzte Sprengung einer Bombe auf Nordhäuser Stadtgebiet war Anfang der 90er-jahre: In Sundhausen musste auf diese Weise eine Bombe mit Langzeitzünder unschädlich gemacht werden.
Am 6. Dezember 2016 löste eine 250-Kilobombe auf einer Hausbaustelle am Strohmühlenweg eine Evakuierung im Umkreis von 500 Metern aus. Entdeckt wurde sie bei den baupolizeilich vorgeschriebenen Aufsuchungsarbeiten. Am 8. Juni 2016 wurde eine 800-Kilo-bombe in einem Wald bei Leimbach gesprengt. Die Bombe war mit
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Nordhausen. Entscheidend waren wenige Momente kurz nach 13 Uhr: „Der Zünder war relativ problemlos zu entfernen, ich habe ihn mit einer Zange herausgedreht“, schildert Sprengmeister Klaus Nessel. Ihm gelang es am Sonntag, die auf einem Feld zwischen Hesserode und Niedersalza entdeckte 250-Kilo-bombe zu entschärfen.
Gefüllt mit Sprengstoff, hätte sie Zerstörungen im Umkreis von einem Kilometer anrichten können, auch 72 Jahre nach ihrem Abwurf.
Am Sonntagmittag liegen hinter den drei Sprengmeistern wie für 135 Hilfskräfte von Feuerwehren und DRK sowie für 30 Mitarbeiter der Stadtverwaltung nervenaufreibende Stunden:
Hätte die Bombe keinen Aufschlagzünder, sondern einen gefährlicheren Langzeitzünder gehabt, wäre eine Sprengung nötig gewesen. „Und der
Schlag wäre enorm gewesen“, sagt Andreas West, Betriebsleiter im beauftragten Munitionsbergungsbetrieb Tauber.
„Denn im Gegensatz zur Bombensprengung in Leimbach vorigen Juni lag diese Bombe in keinem Trichter, war nicht von Wald umgeben.“
Er wolle den wirtschaftlichen Schaden so gering wie möglich halten, erklärt Andreas West, weshalb das Herausdrehen des Zünders die favorisierte Variante ist.
Im Sicherheitsradius von einem Kilometer werden am Sonntagvormittag rund 1000 Menschen via Lautsprecher-durchsagen aufgefordert, ihre Häuser, Wohnungen und Kleingärten in Niedersalza zu verlassen. Polizei und Feuerwehr klingeln an jedem Haus. „Diesmal klappt es super. Die Leute waren frühzeitig informiert“, sagt der Hesseröder Feuerwehrmann Ralf Hellmann beim Gang durch den Elsterstieg. Andere Feuerwehrleute rollen von der Hesseröder Landstraße aus 600 Meter Schlauch aus, um von einem Hydranten Wasser zur Fundstelle pumpen zu können: Im Falle einer Sprengung hätte es 70 000 Liter gebraucht, um damit eine Kunststoffblase füllen zu können. Diese sollte die Druckwelle vor allem Richtung Niedersalza mindern, wo die ersten Häuser nur 400 Meter vom Bombenfundort entfernt sind.
Wer aus Nordhausen westwärts will, wird am Ifa-kreisel ab 10 Uhr gestoppt: 200 Tonnen Erdreich und 100 Wassertanks abgedeckt worden, um die Schäden in Grenzen zu halten. Evakuiert wurden Leimbach und Steigerthal.
Am 13. April 2010 löste eine 250-Kilo-bombe, gefunden bei Baggerarbeiten auf dem Brauerei-gelände am Taschenberg, die Evakuierung von 4500 Menschen im 500-Meter-umkreis aus. Am Lohmarkt-kindergarten wurde am 4. Juni 2009 eine Fünfzentner-bombe entdeckt. Im 300-Meterumkreis wurde evakuiert, also auch ein Pflegeheim. Zu Martini wurde die Nordhäuser Altstadt im Jahr 2008 evakuiert, nachdem eine 227-Kilo-bombe auf der Kulturbibliothekbaustelle entdeckt wurde. Rund 5000 Menschen mussten damals ihre Häuser verlassen
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Auch die frühere B 80 ist stadtauswärts für drei Stunden dicht.
Mit Evakuierungsende gegen 11.30 Uhr beginnen die Sprengmeister Andreas West, Klaus Nessel und Werner Schmidt, die Bombe freizulegen. Eine schwierige, etwa einstündige Aufgabe: Denn die Bombe steht auf dem Heckzünder, ihre Spitze zeigt nach oben, 1,20 Meter unter dem Acker. Deshalb muss die Bombe mittels Bagger fixiert werden, um ein Abrutschen während des Freigrabens zu verhindern.
Erst als unter der Bombe ein Loch freigeschaufelt ist, können die Sprengmeister mit einem Spiegel schauen, um welchen Zünder es sich handelt. Währenddessen sind die Paul-urbanund die Vogelsiedlung menschenleer. Die meisten kamen offenbar bei Verwandten und Freunden unter, begaben sich auf einen Ausflug. Den Evakuierungspunkt, die Nordhäuser Ballspielhalle, nutzen nur etwa zwei Dutzend Menschen.
Nach seinen Gefühlen während des Wartens gefragt, sagt Rolf Ebelt (76): „Ich habe den Krieg miterlebt, weiß, wie es ist, wenn Bomben fallen und explodieren.“Die Gefahr habe er als Zweijähriger allerdings noch nicht erkannt: „Wir standen auf dem Trittstein und sahen, wie die Bomben ausgeklinkt wurden, lachten.“
Andere Bewohner der Vogelsiedlung machten aus der Not eine Tugend: „Wir fahren mit unserer Tochter in den Tierpark nach Thale“, erzählt Claudia Gödicke. Sie ist auf Besuch bei ihren Eltern Vera und Lutz Herfurth. Angst hätten sie nicht, sagen diese. Den Rat von Oberbürgermeister Klaus Zeh (CDU), die Jalousien an den Fenstern herunterzulassen, befolgt Vera Herfurth dann aber doch gern. Im Falle einer Sprengung wäre das Fensterglas in Gefahr gewesen.
„Mit jeder vergangenen Minute wächst die Anspannung“, sagt Andrea Gerwald, die im Schwalbenweg wohnt. „Den Beruf des Sprengmeisters möchte ich nicht haben“, ergänzt ihr Mann Ullrich.
Sprengmeister Klaus Nessel sagt, die Abläufe vor und beim Freilegen der Bombe seien nach 31 Berufsjahren eine gewisse Routine: „Aber ist der Zünder frei, ist jeder Fall ein anderer.“Ja, auch bei ihm habe eine gewisse Anspannung geherrscht.
„Danke für Ihre konzentrierte Arbeit“, sagt Bürgermeisterin Jutta Krauth (SPD) nach der Entschärfungsaktion, Blumen für die Sprengmeister in der Hand. „Ein Gruß auch an die daheim, die geschwitzt haben“, deutet Stadtchef Zeh das Risiko an, das die Sprengmeister auch dieses Mal eingingen.
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Feuerwehr le vors 600-Meter-schlauch
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