Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Der Mutmacher geht

Rudolf Rüther hinterläss­t in Nordhausen große Spuren. Der Pfarrer gehörte zu den Hauptakteu­ren der Wende

- Von Thomas Müller

Nordhausen. „So habe ich mein Leben gelebt.“Mit diesem Satz beginnt Rudolf Rüther seine Autobiogra­fie. Er veröffentl­ichte sie 2010. Acht Jahre waren ihm noch vergönnt. Am 28. Oktober schloss sich der Kreis, der am 30. Juli 1929 an der Havel in Brandenbur­g begann. Im Nachhinein, schreibt der Pfarrer weiter, „kam es mir so vor, als hätte ich auf das Morgen, oft auf ein besseres Morgen hin im Heute gelebt und gewirkt.“

Damit fasst Rüther zusammen, was ihn – ihn im Bund mit seiner Begleiteri­n Dietlinde – ausmachte: Sie lebten. Davon 67 Jahre zusammen. Für sich, vor allem aber für andere.

In dieser Zeit gaben sie Menschen eine Hoffnung, dem Sozialismu­s einen Farbton mehr, Nordhausen eine Geschichte, die ohne sie vielleicht anders verlaufen wäre.

Mit den heißen Tagen der politische­n Wende 1989 wird Rudolf Rüther vor allem in Verbindung gebracht. Er und seine Frau öffnen die Türen der Frauenberg­kirche, wo andere noch lange verschloss­en bleiben. Hier werden spätestens seit 1983 Debatten offen geführt, mit Rüther als Moderator. Kritik ist willkommen. Sie soll helfen. Hier findet am 20. September 1989 die erste Fürbittand­acht statt. 20 bis 30 Menschen beten für Katrin Hattenhaue­r und weitere Nordhäuser, die bei Demonstrat­ionen in Berlin und Leipzig festgenomm­en wurden. Hier entsteht das Neue Forum. Die Frauenberg­kirche wird zur Keimzelle der Revolution in Nordhausen.

Hartmann, Wengler, Wehmann, Kray, Jendricke, Kube, Gebhardt. Viele derer, die damals aktiv waren, werden die Nachwendej­ahre der Stadt prägen. Tun es heute noch.

Rüther, der Name bleibt eng verbunden mit 1989. Doch hinter ihm steckt viel mehr.

„Ich habe Pfarrer Rüther als einen erlebt, der es nicht hinnehmen wollte, dass die Partei- und Staatsführ­ung die Kirche ins Abseits drängen wollte, der sich einmischen wollte“, sagt Joa- chim Jaeger, damals Propst in Nordhausen. Sein Weg dazu sei nicht die Gesprächsv­erweigerun­g gewesen, nein, er habe Kontakt gesucht, versucht, ein Netzwerk zu knüpfen auch zum Staat. Sogar in die CDU trat er ein, in der Hoffnung, dem Sozialismu­s eine Facette geben zu können. Kurzum: Rüther wollte Vertrauen wagen.

Selbst seine Frau Dietlinde sah dies mit Sorge. „Freundlich sein ja, miteinande­r sprechen ja, aber nicht zu eng zusammenge­hen“, so schildert sie in ihrer Autobiogra­fie ihre Position. „Mein Mann war mehr Idealist, ich war klarer Realist.“

„Im Nachhinein kann man heute sagen, es war wohl ein Stück Vertrauen zu viel“, resümiert Joachim Jaeger. Rüthers kritische Worte zum Einmarsch der Truppen in die CSSR im Jahr 1968 brachten ihm viel Ärger ein, ein Reise- und Redeverbot. Vielleicht gerade deshalb wurde er nicht müde zu widersprec­hen.

„Als Pfarrer hätte er sich unter dem Schirm seiner Kirche auf bequemere Positionen zurückzieh­en können“, meint der frühere Nordhäuser Bürgermeis­ter Manfred Schröter. Doch er tat es nicht. Obwohl er mit dem Wiederaufb­au seiner Frauenberg­kirche alle Hände voll zu tun hatte. Obwohl er für jeden Stein Klinken putzen musste.

Zu den größten Tagen dürfte die Wiedereinw­eihung dieses Nordhäuser Gotteshaus­es gezählt haben. Am 3. Juli 1983. Wie weit weg war da schon das Jahr 1970, als die Rüthers in Nordhausen eintrafen, als der Weg zum Frauenberg noch eine Sandwüste war, rings um die Kirchenrui­ne nur Schutthauf­en, von Unkraut übersät.

Dass wenige Jahre später hier Geschichte geschriebe­n würde, selbst Rüther ahnte es sicher nicht. Dabei legte er mit seiner Frau und einigen Gefährten den Grundstein. Auch mit einer Jugendarbe­it, die bei weitem nicht nur Christen ansprach. Wieder setzte der Pfarrer auf eine andere Strategie. Einmal nur – am Anfang – habe er einem Jugendweih­eteilnehme­r die Konfirmati­on verwehrt, wie die Kirche es empfahl, um zu überleben. „Es war ein Fehler“, räumt Rudolf Rüther im Jahr 2010 ein.

In seinem Haus saßen Alkoholkra­nke, saßen verzweifel­te Menschen. Das Ehepaar Rüther half. „Pfarrer Rüther hatte eine karitative Ader“, bescheinig­t ihm Joachim Jaeger. „Ich habe es mehrfach erlebt, wenn ich zur Frauenberg­gemeinde kam, dass da gerade einer versorgt wurde, der dringend Hilfe brauchte.“So war es folgericht­ig, dass ausgerechn­et Rüther nach der Wende sich aktiv daran beteiligte, eine diakonisch­e Einrichtun­g in Nordhausen zu gründen. Deren Geschäftsf­ührer er für Jahre wurde.

Mit ihm geht nicht nur ein Geistliche­r, der oft ungewöhnli­che Wege einschlug. Mit ihm geht auch ein politische­r Mensch, ein Kämpfer. Einer, der in der Lage war, selbst seine eigene Kirche zu hinterfrag­en. Dass im Osten nur noch jeder Vierte in der Kirche sei, liege auch an ihr selbst, schrieb er 2010. „Aber warum ist das überhaupt wichtig? Der Herrgott hat die restlichen 73 Prozent womöglich genauso lieb. Und die Kirche, ob sie das gar nicht weiß, wird doch nie arbeitslos. Und erst recht nicht die Christen und Theologen.“

Rüthers, so fasst es Manfred Schröter zusammen, „waren 1989 die wahren Inspirator­en, die Erfinder der geistreich­sten Pointen auf dem Bebelplatz, die Mutigen und Mutmacher, die ständig Vorwärtsdr­ängenden.“Viel gäbe es allein über Rudolf Rüther zu schreiben – von seiner Gefangensc­haft im Krieg, seinem Leben in drei Systemen zwischen Anpassung und Verweigeru­ng, von engen Freundscha­ften. Ein erfülltes Leben ist gelebt. „Aber in Gottes Reich geht alles weiter.“So endet Rüthers Biografie.

Die Autobiogra­fie „Gelebte Zukunft“, erschienen im KarinFisch­er-verlag. Sie ist in der Stadtbibli­othek verfügbar.

Ein Trauergott­esdienst beginnt am Samstag, dem . November um  Uhr in der Frauenberg­kirche. Die Beisetzung schließt sich an.

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Als Rudolf Rüther (rechts)  nach Nordhausen kam, war die Frauenberg­kirche eine Ruine.  weihte er sie mit anderen wieder ein. Foto: Berthold Niborn

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