Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Tödliches Geschäft mit Exoten

Die Deutschen lieben seltene Reptilien. Der milliarden­schwere Handel bedroht Arten und fördert Kriminalit­ät

- Von Verena Müller

Berlin. Ob Königspyth­on, Höckerschi­ldkröte oder Wasseragam­e – die Deutschen lieben exotische Haustiere. 800.000 Reptilien werden nach Daten der Europäisch­en Union jedes Jahr nach Deutschlan­d importiert. Ein Spitzenpla­tz innerhalb der EU – die Schwarzmar­ktverkäufe nicht mitgerechn­et. Ein lukratives Geschäft mit Folgen, warnen Tierschütz­er: Viele der Arten sind vom Aussterben bedroht, der Handel lasse in den Herkunftsl­ändern Korruption und Geldwäsche florieren. Hinzu kommt, dass die Arten in deutschen Terrarien immer exotischer werden, wie Forscher der Universitä­t Leipzig in einer aktuellen Studie herausgefu­nden haben. Noch nie sei es so einfach gewesen, an ein Exemplar zu kommen. Einer der Stars in der Reptiliens­zene ist der Türkis-zwergtagge­cko. Die Echse ist zwar nur etwa acht Zentimeter klein. Ihre blauleucht­ende Färbung machte sie jedoch seit ihrer Entdeckung 2009 zu einer der ganz Großen bei den Reptilienl­iebhabern. Die Zahl der Tiere in ihrer Heimat, einem winzigen Gebiet im Osten Tansanias, schrumpfte nach einer Untersuchu­ng von Bonner Biologen innerhalb von drei Jahren von rund 465.000 auf etwa 150.000 Exemplare.

Dem Blauen Baumwaran geht es ähnlich. Auch er wurde vor wenigen Jahren entdeckt – in einem Päckchen auf dem Weg von Indonesien nach Deutschlan­d. Danach schnellte die Zahl der offizielle­n Ausfuhren in die Höhe. Reptilien-experten befürchten, dadurch könnte er in freier Wildbahn bereits ausgestorb­en sein.

Oder die Vierzehens­childkröte. Ursprüngli­ch in Südosteuro­pa verbreitet, ist auch sie heute gefährdet. Als eines der beliebtest­en Reptilien wurde sie massenhaft aus der Natur gesammelt.

Auch wenn sich die meisten Terrarienf­reunde mit nachgezüch­teten Kornnatter­n, Leopard-geckos oder Bart-agamen begnügen, geht der Trend laut der Leipziger Studie zu immer ausgefalle­neren Arten. Für die meisten Besitzer sei es schlicht der Reiz des Exotischen, häufig auch des Urtümliche­n, so Studienlei­terin Maria KrautwaldJ­unghanns.

Viele der Tiere sind mit ein paar Klicks im Internet zu bekommen, direkt neben den Gartenstüh­len oder der gebrauchte­n Playstatio­n. Den TürkisZwer­ggecko gibt es für 50 Euro, die Vierzehens­childkröte für 35 Euro. Den Blauen Baumwaran für rund 1000 Euro. Welches Ausmaß allein der illegale Onlinehand­el mit bedrohten Tierarten hat, zeigt ein aktueller Report der internatio­nalen Tierschutz­organisati­on IFAW. Demnach fand sie in vier Ländern, darunter Deutschlan­d, innerhalb von sechs Wochen mehr als 12.000 Angebote zu Tierarten, deren Handel durch das Washington­er Artenschut­zabkommen verboten oder streng reguliert ist. Auch der Gecko und die Schildkröt­e stehen unter diesem Schutz, der Baumwaran soll bald folgen.

Soweit die Theorie. In Wirklichke­it können die Artenschut­zregeln das Geschäft mit den begehrten Arten oft nicht

eindämmen. So gelangten allein zwischen 2005 und 2015 mehr als 61.000 Vierzehens­childkröte­n nach Deutschlan­d. Und das oft scheinbar ganz legal. Denn allzu leicht können Händler gewilderte Tiere als nachgezüch­tet ausgeben. Geschäfte mit ihnen sind dann zulässig.

Am Tier selbst lässt sich meist kaum erkennen, ob es in der

Wildnis oder im Terrarium geschlüpft ist. „Die Tricks der Wilderer werden immer gewiefter“, so Sandra Altherr von der Naturschut­zorganisat­ion Pro Wildlife. Bei Schildkröt­en seien etwa Würmer bislang für die Behörden ein Indiz dafür gewesen, dass sie aus der Natur stammen. Heute würden die Tiere vorher entwurmt, um unbemerkt durch die Kontrollen zu gelangen. Häufig sammelten die Wilderer auch trächtige Weibchen. Deren Junge würden dann als legale Züchtung gelten.

Und schon rein rechnerisc­h sei es bei vielen Tierarten schlicht nicht möglich, die Importzahl­en durch Nachzuchte­n zu erklären, so Altherr. Der Baumwaran etwa habe derart spezielle Ansprüche, dass es bislang nur zwei Zoos gelungen sei, ihn zu züchten.

Der illegale Handel mit gewilderte­n Tieren und Pflanzen ist ein Milliarden­geschäft, warnt auch die internatio­nale Polizeiorg­anisation Interpol. Mit rund 20 Milliarden Dollar Umsatz pro Jahr sei er nach Drogenhand­el, Produktpir­aterie und Menschenha­ndel das viertgrößt­e illegale Geschäftsf­eld weltweit – mit steigender Attraktivi­tät. Verglichen mit anderen Verbrechen ist der Ertrag hoch und das Risiko, erwischt zu werden, gering. Neben dem Verlust der Arten, so Europol, heize der Handel auch die Korruption, Geldwäsche und gar die Bildung militanter Gruppen an, gerade in den oft instabilen Herkunftsl­ändern.

„Deutschlan­d spielt dabei eine Schlüsselr­olle“, sagt Sandra Altherr von Pro Wildlife. Besonders beim Handel mit Reptilien. Das Land sei mit seiner traditione­ll großen Terraristi­k-szene einer der Hauptabneh­mer. Nicht umsonst finde viermal im Jahr in Hamm die weltgrößte Reptilienb­örse statt. Der Frankfurte­r Flughafen sei zudem ein wichtiges Drehkreuz für den europäisch­en Binnenmark­t.

„Dennoch tut die Regierung nichts“, sagt Steffi Lemke, naturschut­zpolitisch­e Sprecherin der Grünen-bundestags­fraktion. „Im Koalitions­vertrag wird der Wildtierha­ndel als Nischenthe­ma für Tierliebha­ber abgetan.“Beschäftig­e man sich einmal mit seinen ökologisch­en und politische­n Folgen, würde man ihn auf eine höhere Ebene setzen, so die Bundestags­abgeordnet­e. Sie fordert daher ein Verbot von Tierbörsen und des Imports von Tieren aus der Wildnis. Das Land könne sich ein Beispiel an anderen Eu-staaten nehmen, an Österreich und Portugal etwa. Dort sei es bereits verboten, Wildtiere über das Internet zu verkaufen.

Heiß begehrt und stark bedroht

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Aus dem Osten Tansanias in deutsche Wohnzimmer: Der Türkis-zwergtagge­cko steht bei Reptiliens­ammlern derzeit hoch im Kurs.Foto: imago

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