Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Presslufth­ammer und Kalaschnik­ow

- Frank Quilitzsch

Seit ich von Kreta zurück bin, geht es mir weniger gut. Das sei völlig normal, bekomme ich zu hören, allein der Temperatur­sturz! Luft von 25 auf 15, das mag noch gehen. Aber Wasser von 22 auf unter zehn? Allerdings hatte ich hier noch keine Zeit zum Baden, denn ich musste sofort zum HNO-ARZT.

Ich hätte Salzwasser im Ohr, glaubte ich, da ich nur noch wie durch dicke Watte hörte. Doch wurde auch aufgequoll­enes Ohrenschma­lz entfernt, und wenn ich die Notärztin richtig verstand, haben sich meine Gehörgänge entzündet. Ein paar Tage und rund 400 Tropfen später sitze ich wieder auf ihrem Stuhl – oder sagt man Ohrensesse­l? – und werde durchgespü­lt. Ein Hörtest soll danach Aufschluss darüber geben, wie gut ich jetzt höre.

Ich weiß gar nicht, ob ich die Einzelheit­en schildern darf. Unlängst schrieb ich über einen Besuch im Friseursal­on und wurde mit Hausverbot bestraft. Am besten, ich stelle mich diesmal taub.

Tut mir leid, sagt die Assistenti­n, als sie mir die Kopfhörer gibt. Draußen sind gerade Bauarbeite­n im Gange. Einfach nicht hinhören.

Ich versuche, mich ganz auf die Töne zu konzentrie­ren, die aus den Hörern kommen. Sobald ich etwas höre, drücke ich den Knopf. Manchmal warte ich und höre nur den Presslufth­ammer. So, jetzt noch das Brummen und das Rauschen, sagt die Assistenti­n. Ich drücke, sobald es mein Trommelfel­l erreicht.

Oh je, seufzt die Ärztin, als sie in meinem Beisein die Auswertung vornimmt. Sie hören die hohen Töne nicht!

Ich verstehe sie gut, frage jedoch sicherheit­shalber noch mal nach.

Schauen Sie, sagt die Spezialist­in und zeigt mir das Diagramm, hier müssten die hohen Töne sein, und da ist bei Ihnen…? Nichts! Das sieht sehr nach einem Hörsturz aus.

Ich überlege, ob ich das Ergebnis auf die Baustelle schieben könnte, doch dann fällt mir ein, dass ich dasselbe Diagramm schon einmal gesehen habe.

Kann das, frage ich zögernd, von meinem Lärmtrauma rühren?

Ach, Sie hatten ein Lärmtrauma?! Wann war denn das?

Ich rechne im Kopf. Vor knapp 42 Jahren. Ich war 19 und gerade eingezogen, als wir unsere erste Schießübun­g absolviert­en. Ich gab mit der Kalaschnik­ow drei, vier Salven ab, das waren zugleich meine letzten. Seitdem bin ich vom Schießen befreit, höre aber auf einem Ohr schlechter als auf dem andern.

Auf dem linken?, fragt die Ärztin.

Ich nicke.

Demnach haben Sie schon damals die hohen Töne nicht gehört? Sie schaut wieder auf das Diagramm. Nun, das wäre natürlich eine Erklärung. Aber sonst hören Sie ja noch gut, wie man sieht.

Ja, bestätige ich, besonders den Presslufth­ammer.

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wird bei einem Hörtest an ein vergessene­s Leiden erinnert

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