Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Zum Bersten voller Markt bei Nordhäuser Martini-feier

Unzählige Familien feiern großen Laternenum­zug. Ökumenisch­er Gottesdien­st plädiert mit subtiler Kritik für das Teilen

- Von Peter Cott

So hart es klingt: Uns fehlt wohl das Selbstbewu­sstsein. Besonders auffällig wurde das dieses Wochenende bei einem Blick in die Kommentars­palten der sozialen Medien, unter einem Ta-artikel über eine neue App, die zu den Stolperste­inen zum Gedenken der jüdischen Schicksale in der NSZeit führt. Da werden doch tatsächlic­h Veranstalt­ungen gefordert, die an die deutschen Opfer des Weltkriegs erinnern. Mit Selbstbewu­sstsein gemeint ist übrigens nicht die Überzeugun­g von den eigenen Fähigkeite­n, wie das Wort gewöhnlich verwendet wird. Nein, gemeint ist, sich seiner selbst bewusst zu sein. Sich auch einmal selbst zu hinterfrag­en. Als Lokaljourn­alist wohnt man regelmäßig Gedenkvera­nstaltunge­n bei – zum Volkstraue­rtag oder bei den Schweigemi­nuten in Erinnerung an die Opfer der Luftangrif­fe etwa. Und die traurige Wahrheit ist: Oft sind es die selben paar Gesichter aus den Stadtratsf­raktionen und aus dem Rathaus, die da Kränze niederlege­n. Keine Spur von den Nörglern im Netz, die genau so etwas für Deutsche fordern. Im schlimmste­n Fall ist das Schmähen der neuen App also Antisemiti­smus. Im besten Fall müssen wir nur lernen, uns wieder an die eigene Nase zu fassen. Der Gedenkmona­t November bietet noch einmal Gelegenhei­t dazu. Nordhausen. Die gute, alte Kerze hat ausgedient. Man musste am Samstag schon genauer hinschauen, wollte man einen der Nordhäuser Knirpse mit schummernd­em Feuerschei­n im Lampion entdecken. Und das obwohl es reichlich Anschauung­smaterial an Kindern mit Laternen auf dem Blasiikirc­hplatz und später auf dem Markt gab. „Ich habe noch nie einen so vollen Markt gesehen“, frohlockte da Nordhausen­s OB Kai Buchmann (pl) in die Menge des Markts, der kaum noch einen Platz zum Stehen bot. Es müssen einige tausend Nordhäuser gewesen sein.

Der Einzug der Led-beleuchtun­g bedeutete keineswegs jedoch mangelnde Kreativitä­t: Eine illuminier­te Martinsgan­s war am Wochenende genauso in der Menge zu erspähen wie Dinosaurie­r, Einhörner und allerhand andere beleuchtet­e Fantasiege­stalten. Kubistisch­e Konstrukti­onen aus Hölzern und Transparen­tpapier erstrahlte­n den Weg die Engelsburg hinab. Aus Eierkarton­s geschickt zusammenge­bastelte Lampions buhlten zudem mit einer durch Malereien verschöner­te IkeaHängel­euchte „Regolit“um den ersten Preis eines LampionsWe­ttbewerbs, den die Stadt in den kommenden Jahren mit ins Programm aufnehmen sollte.

Ähnlich kreativ gestaltete­n Dompfarrer Richard Hentrich und seine evangelisc­he Kollegin, Pfarrerin Elisabeth Alpers-von Biela, ihren ökumenisch­en Gottesdien­st, den sie ganz ins Zeichen des Martin-luther-geburtstag­s und der Erinnerung an den heiligen Martin von Tours stellten. Besonderer Hingucker dabei: Ein Schattenth­eater, das einen Überblick zum Leben des Reformator­s gewährte, der gleich auch als überlebens­große Figur den Kirchplatz besuchte.

Größe war dann auch Thema der Predigt der Pastorin. Manchmal, so Alpers-von Biela, habe sich Luther verrannt. „Wer sich zu groß fühlt, macht andere manchmal klein“, verwies sie geschickt auf die antisemiti­schen Äußerungen des Kirchenman­nes im ausgehende­n Mittelalte­r. Doch „great again zu sein“bedeute nicht immer auch, mutig zu sein, kritisiert­e sie gleich auch subtil die Politik des Us-präsidente­n Donald Trump. Ihr Appell: Vom hohen Ross zu steigen wie Martin von Tours dereinst, der vom Pferd hinabstieg, um mit anderen zu teilen. Das sei wahre Größe, so die Pastorin.

Mehr Fotos unter www.ta-nordhausen.de Einer der Höhepunkte an Martini: Das große Feuerwerk über dem Petriturm. OB Kai Buchmann und Dompfarrer Richard Hentrich beim Teilen der Martini-brezeln.

 ??  ?? Viele hundert Kinder feierten den Martinsumz­ug durch Nordhausen mit kreativen Lampions. Foto: C Keil (), C. Kindschuh ()
Viele hundert Kinder feierten den Martinsumz­ug durch Nordhausen mit kreativen Lampions. Foto: C Keil (), C. Kindschuh ()
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