Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
Zum Bersten voller Markt bei Nordhäuser Martini-feier
Unzählige Familien feiern großen Laternenumzug. Ökumenischer Gottesdienst plädiert mit subtiler Kritik für das Teilen
So hart es klingt: Uns fehlt wohl das Selbstbewusstsein. Besonders auffällig wurde das dieses Wochenende bei einem Blick in die Kommentarspalten der sozialen Medien, unter einem Ta-artikel über eine neue App, die zu den Stolpersteinen zum Gedenken der jüdischen Schicksale in der NSZeit führt. Da werden doch tatsächlich Veranstaltungen gefordert, die an die deutschen Opfer des Weltkriegs erinnern. Mit Selbstbewusstsein gemeint ist übrigens nicht die Überzeugung von den eigenen Fähigkeiten, wie das Wort gewöhnlich verwendet wird. Nein, gemeint ist, sich seiner selbst bewusst zu sein. Sich auch einmal selbst zu hinterfragen. Als Lokaljournalist wohnt man regelmäßig Gedenkveranstaltungen bei – zum Volkstrauertag oder bei den Schweigeminuten in Erinnerung an die Opfer der Luftangriffe etwa. Und die traurige Wahrheit ist: Oft sind es die selben paar Gesichter aus den Stadtratsfraktionen und aus dem Rathaus, die da Kränze niederlegen. Keine Spur von den Nörglern im Netz, die genau so etwas für Deutsche fordern. Im schlimmsten Fall ist das Schmähen der neuen App also Antisemitismus. Im besten Fall müssen wir nur lernen, uns wieder an die eigene Nase zu fassen. Der Gedenkmonat November bietet noch einmal Gelegenheit dazu. Nordhausen. Die gute, alte Kerze hat ausgedient. Man musste am Samstag schon genauer hinschauen, wollte man einen der Nordhäuser Knirpse mit schummerndem Feuerschein im Lampion entdecken. Und das obwohl es reichlich Anschauungsmaterial an Kindern mit Laternen auf dem Blasiikirchplatz und später auf dem Markt gab. „Ich habe noch nie einen so vollen Markt gesehen“, frohlockte da Nordhausens OB Kai Buchmann (pl) in die Menge des Markts, der kaum noch einen Platz zum Stehen bot. Es müssen einige tausend Nordhäuser gewesen sein.
Der Einzug der Led-beleuchtung bedeutete keineswegs jedoch mangelnde Kreativität: Eine illuminierte Martinsgans war am Wochenende genauso in der Menge zu erspähen wie Dinosaurier, Einhörner und allerhand andere beleuchtete Fantasiegestalten. Kubistische Konstruktionen aus Hölzern und Transparentpapier erstrahlten den Weg die Engelsburg hinab. Aus Eierkartons geschickt zusammengebastelte Lampions buhlten zudem mit einer durch Malereien verschönerte IkeaHängeleuchte „Regolit“um den ersten Preis eines LampionsWettbewerbs, den die Stadt in den kommenden Jahren mit ins Programm aufnehmen sollte.
Ähnlich kreativ gestalteten Dompfarrer Richard Hentrich und seine evangelische Kollegin, Pfarrerin Elisabeth Alpers-von Biela, ihren ökumenischen Gottesdienst, den sie ganz ins Zeichen des Martin-luther-geburtstags und der Erinnerung an den heiligen Martin von Tours stellten. Besonderer Hingucker dabei: Ein Schattentheater, das einen Überblick zum Leben des Reformators gewährte, der gleich auch als überlebensgroße Figur den Kirchplatz besuchte.
Größe war dann auch Thema der Predigt der Pastorin. Manchmal, so Alpers-von Biela, habe sich Luther verrannt. „Wer sich zu groß fühlt, macht andere manchmal klein“, verwies sie geschickt auf die antisemitischen Äußerungen des Kirchenmannes im ausgehenden Mittelalter. Doch „great again zu sein“bedeute nicht immer auch, mutig zu sein, kritisierte sie gleich auch subtil die Politik des Us-präsidenten Donald Trump. Ihr Appell: Vom hohen Ross zu steigen wie Martin von Tours dereinst, der vom Pferd hinabstieg, um mit anderen zu teilen. Das sei wahre Größe, so die Pastorin.
Mehr Fotos unter www.ta-nordhausen.de Einer der Höhepunkte an Martini: Das große Feuerwerk über dem Petriturm. OB Kai Buchmann und Dompfarrer Richard Hentrich beim Teilen der Martini-brezeln.