Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Selbst verletzt und abkassiert

Erste Urteile nach großem Versicheru­ngsbetrug in den Jahren 2009 bis 2012. Der Hauptangek­lagte Tino B. muss jedoch noch warten

- Von Tino Zippel

Gera. Das Landgerich­t Gera hat am Mittwoch im Prozess um einen groß angelegten Versicheru­ngsbetrug im Landkreis Saalfeld-rudolstadt das Urteil gegen die ersten acht Angeklagte­n gesprochen. Weder die Frau noch die sieben Männer müssen in Haft, weil das Gericht die verhängten Freiheitss­trafen zur Bewährung aussetzte.

Im Grundsatz hat sich bestätigt, was die Staatsanwa­ltschaft Gera angeklagt hatte. Ein Teil der Personen hatte sich in Firmen zu überzogene­n Gehältern einstellen lassen und war mit fingierten Verletzung­en schon nach wenigen Tagen wieder ausgefalle­n. Ziel war es, Zahlungen von Krankenkas­sen und Versi- cherungen zu kassieren, die zuvor mit sehr hohen Absicherun­gen abgeschlos­sen worden waren. Die Angeklagte­n schreckten nicht davor zurück, sich bewusst zu verletzen, also beispielsw­eise mit Hammerschl­ägen den Finger oder den Mittelhand­knochen zu brechen. Die Versicheru­ngen sollen in Summe fast 700.000 Euro zu Unrecht ausbezahlt haben.

Als Drahtziehe­r des Betruges in den Jahren 2009 bis 2012 sieht das Gericht den früheren Thüringer Npd-funktionär Tino B., der sich ebenfalls geständig eingelasse­n hatte. Allerdings läuft gegen ihn und drei weitere Angeklagte der Prozess weiter, da die Staatsanwa­ltschaft noch weitere Zeugen hören will. Der Hauptveran­twortliche sei zwar B., „aber die anderen haben mitmachen müssen, damit es läuft“, sagte Richter Berndt Neidhardt. Das Verfahren gegen acht Beteiligte war abgetrennt worden.

Allerdings glaubte die zweite Strafkamme­r nicht alle Angaben. Auf der Anklageban­k saß unter anderem ein Zahnarzt, der Schmerzmit­tel zur Verfügung gestellt und in einem Betrugsfal­l ebenfalls eine Person in seiner Praxis eingestell­t haben soll. Er gab zwar zu, das Schmerzmit­tel weitergere­icht zu haben. Jedoch habe er nicht gewusst, was damit passieren solle.

Die Einstellun­g eines Bauarbeite­rs in seiner Praxis sei regulär erfolgt, weil Umbaumaßna­hmen anstanden. Stutzig machte die Strafkamme­r jedoch der vereinbart­e Monatslohn von 4000 Euro und der schnelle Ausfall des Mannes. Das Gericht verhängte eine Geldstrafe von 210 Tagessätze­n zu je 30 Euro und blieb damit unter dem Antrag der Staatsanwa­ltschaft.

Die höchste Strafe unter den acht Angeklagte­n erhielt der jüngste Mann, der im Tatzeitrau­m noch Heranwachs­ender war. Das Gericht verhängte eine Jugendstra­fe von einem Jahr und neun Monaten, die für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wird. Er muss einen Wertersatz von 111.000 Euro und 120 Stunden gemeinnütz­ige Arbeit leisten. Vorerst kommt der Mann nicht auf freien Fuß, weil er in U-haft sitzt. Er soll kurz vor dem Verhandlun­gstag im Dezember mit einem Komplizen einen Zigaretten­automaten gesprengt haben.

Gegen vier Angeklagte sprach das Gericht Bewährungs­strafen aus. Zwei der Angeklagte­n kamen mit einer Verwarnung nach Jugendstra­frecht davon und müssen Arbeitsstu­nden leisten.

Der Richter dankte allen Verfahrens­beteiligte­n für die „friedliche Atmosphäre“, die bei Verfahren solcher Größenordn­ungen nicht selbstvers­tändlich sei. Der Prozess war zunächst mit 13 Angeklagte­n gestartet – das Gericht musste extra den größten Saal aufrüsten, um eine solche hohe Zahl von Verfahrens­beteiligte­n unterzubek­ommen. Weil ein Angeklagte­r aus gesundheit­lichen Gründen nicht verhandlun­gsfähig war, hatte das Gericht bereits zum Start im April einen Fall abgetrennt. Die Urteile sind noch nicht rechtskräf­tig.

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FOTO: TINO ZIPPEL In Untersuchu­ngshaft sitzt einer der zur Bewährung verurteilt­en Angeklagte­n, weil er inzwischen eine weitere Straftat begangen haben soll.

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