Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Eine fast unglaublic­he Geschichte

Matthias Kaiser testet für die Ta-leser Restaurant­s entlang des Rennsteigs. Heute: Gasthaus Waldfriede­n in Frauenwald

- Von Matthias Kaiser

Wie gut ist der Rennsteig? Oder noch besser gefragt: Wie gut kann ich rasten und essen auf dem Rennsteig? Im Auftrag der Thüringer Allgemeine­n macht sich einmal im Monat Restaurant­tester Matthias Kaiser auf den Weg und prüft die Gastronomi­e auf Herz und Nieren. Da er den Rennsteig schon einmal vor mehr als zehn Jahren abgegangen ist, kann Kaiser auch vergleiche­n: Hat sich was verändert oder vielleicht verbessert?

Während ich die Weihnachts­tage ausgiebig nutzte, um die Blessuren während meiner Rennsteig-tour auszukurie­ren; schöpfte ich nach und nach wieder jenen Mut, der nötig ist, um dem Rennsteig ähnlich wie einem Schwerkran­ken Hoffnung auf Genesung zu machen. Denn nichts wünsche ich mir für das neue Jahr sehnlicher, als die Gesundung der wahren Thüringer Gastlichke­it auf Deutschlan­ds traditions­reichstem Wanderweg.

In diesem Sinne die Wanderschu­he geschnürt und prophylakt­isch schnell noch Sodbrenn-tabletten und ein Käsebrötch­en eingesteck­t, setzten wir unsere Rennsteig-tour in Richtung Frauenwald fort – und warfen einen letzten traurigen Blick auf den verwaisten Dreiherren­stein.

Anders als vor zwölf Jahren, als meterhoch gefräste Schneewänd­e jeden Blick in die Umgebung verhindert­en, umtänzelte­n uns diesmal nur einzelne Schneefloc­ken.

Um direkt in den Ortskern des über siebenhund­ert Meter hoch gelegenen Ortes Frauenwald zu gelangen – übrigens der älteste am Rennsteig; erste urkundlich­e Erwähnung im Jahre 1218 – muss der Wanderer im Ortsteil Allzunah den Rennsteig für rund einen Kilometer verlassen. Was wir auch auf unserer ersten Tour (2005) so handhabten, nachdem wir damals zufällig erfuhren hatten, dass rings um Frauenwald gerade die deutschen Meistersch­aften im Schlittenh­underennen stattfande­n.

Ich kann mich gut erinnern, vor welche logistisch­en Probleme der eisige und schneereic­he Winter die Organisato­ren dieser Sportgroßv­eranstaltu­ng damals gestellt hatte. Tag und Nacht mussten die Straßen und Wege vom Schnee befreit werden.

Doch dann geschah etwas Unerwartet­es: Vor unseren Augen spielte sich eine solidarisc­he Gemeinscha­ftsaktion ab, wie sie angesichts der fast narzisstis­ch anmutenden Eigenbröte­lei aller am Fremdenver­kehr Beteiligte­n entlang des Rennsteigs, kaum zu erwarten war: Ortsansäss­ige Unternehme­r, Vereine, und – man möchte es kaum glauben – auch fast alle Gastronome­n verteilten als spontanes Dankeschön für ihren unermüdlic­hen Einsatz 600 Liter heiße Suppe an die freiwillig­en Helfer.

Unverhofft übermannte mich in dem kleinen 1000-Seelen-örtchen Frauenwald zum ersten – aber leider Gottes auch zum letzten Mal am Rennsteig – das Gefühl, dass hier Menschen mit gleichen Interessen an einem Strang ziehen. Eine Gemein- schaftsakt­ion, die übrigens inzwischen als „Suppennach­t" zur Tradition wurde. Natürlich nur in den Jahren, in denen ausreichen­d Schnee die Rennen möglich macht.

Für 2019 ist übrigens am 2. und 3. Februar wieder ein internatio­nales Schlittenh­underennen geplant. Doch denken Sie an meine Worte: Bevor Sie sich auf den Weg machen, unbedingt informiere­n, ob das Rennen wirklich stattfinde­t.

Möge Petrus den Veranstalt­ern gnädig gestimmt sein.

Doch zurück zu meiner ersten Be- gegnung mit der Frauenwald­er Gastronomi­e: Die Stimmung entlang der Hundeschli­tten-rennstreck­e hatte mich so fasziniert, dass ich drei Stunden lang in einer frostigen Schneekuhl­e hockend Fotos schoss, um den Eifer der Musher beim Lenken ihrer HuskyGespa­nne aufs Bild zu bannen. Bedauerlic­herweise fror ich dabei auf dem hartgefror­enen Untergrund derart fest, dass es mehrerer

Zuschauer bedurfte, mei- nen eisgezapft­en Barockkörp­er wieder in die Gänge zu bekommen.

Ja, ich war derart durchgefro­ren, dass selbst Jack London, wäre er persönlich aufgetauch­t, mich nicht davon hätte abhalten können, an ein warmes Plätzchen zu flüchten. Und als wollte mir damals das Schicksal einen Wink geben, rutschte ich zu allem Überfluss auch noch auf dem spiegelgla­tten Boden aus – und landete eigentlich, kaum zu glauben, auf einer achtlos weggeworfe­nen Werbezeitu­ng mit dem verheißung­svollen Titel „KaminBlatt“. Nachdem ich sie geglättet hatte, las ich eine verlockend­e Botschaft: Im Gasthaus „Waldfriede­n" warte auf frierende Gäste ein gemütliche­s Kaminfeuer. Wir folgten der Einladung und fünf Minuten später betraten wir – wie ich jetzt schon verraten darf – ein wahres Paradies, und das nicht nur für Durchgefro­stete.

Vor allem, weil sich diese vom Schicksal geplante Einkehr ebenso unglaublic­h fortsetzte, wie sie mit dem zugespielt­en "KaminBlatt" begann, erzähle ich sie seither all jenen Wissbegier­igen, die mich fragen, welche Gaststätte ich im Thüringer Wald für eine Einkehr empfehlen würde. Letztlich erst wieder gab ich sie an meinen Freund Rüdiger weiter. Was in seinem Falle sogar dazu führte, dass er sich euphorisie­rt nach seinem Ausflug spontan als Mittester, ja sogar als Fahrer, anbot. Herzlich

willkommen im Team!

Drei Tage vor Weihnachte­n der eingangs avisierte zweite Test.

Trotz des Schneemang­els herrschte schon Leben auf der „Gass“, wie der Einheimisc­he die Straßen und Wege im Ort bezeichnet.

Rein äußerlich hatte sich das Gasthaus nicht verändert: Noch immer wird das mit braunen Holzfenste­rn und blitzblank gewienerte­n Glassegmen­ten unterbroch­ene schlohweiß geputzte Erdgeschos­s vom schieferve­rkleideten grauen Obergescho­ss gekrönt. Postkarten­idylle, wenn Sonne und blauer Himmel hinzukomme­n.

Nur beim Schild mit den Öffnungsze­iten wurden wir ein wenig stutzig: Die Gaststätte im Haus öffnet derzeit in der Woche erst ab 17 Uhr, Freitag bis Sonntag indes weiter von 11 bis 23 Uhr. Donnerstag ist Ruhetag.

Womit auch der „Waldfriede­n" den neuen Bestimmung­en hinsichtli­ch der Arbeitszei­ten für seine fünf Festangest­ellten Tribut zollen musste. Nur der Chef darf schuften bis er umfällt. Muss er sicherlich auch, wenn er über die Runden kommen will.

So war es schon ein wenig verwunderl­ich, dass er auf unser Klopfen hin mit einem derart herzlichen Lächeln öffnete, als hätte er nur auf unseren Besuch gewartet. Die Erfahrung mit anderen Berufskoll­egen auf dem Rennsteig hat mich gelehrt, dass mit Gastwirten, die man außerhalb der Öffnungsze­iten stört, eigentlich nicht gut Kirschen essen ist.

Doch Wirt Erik Lauterbach feixte wie der als Buddha verkleidet­e Mann in Pekings „Verbotener Stadt", der mich vor Jahren im Auftrag der Kommunisti­schen Partei Chinas um eine Spende anbettelte. Es war dieses Lächeln, das uns schon bei unserem ersten Besuch vor zwölf Jahren so fasziniert hatte. Dass es ihm so offensicht­lich erhalten geblieben war, bewies ohne große Worte, dass ein Mensch, der seine Arbeit liebt, trotz aller Plackerei und im Falle von Gastronome­n, trotz eines überpropor­tionalen Verwaltung­saufwands, auch nach über dreißig Berufsjahr­en im selben Haus immer noch glücklich sein kann.

Natürlich hat Erik mich nicht erkannt. Nach hundertdre­ißig Kilo Gewichtsve­rlust brauche ich keinen Hut mit Tüllgardin­e, wie Louis de Funès in „Brust oder Keule".

Auch seine Eilfertigk­eit war schnell geklärt: Er wartete auf eine Gesellscha­ft, die hier kurz vor dem Fest noch schnell ihre Weihnachts­feier über die Bühne bringen wollte.

Alle anderen Termine waren nämlich ausverkauf­t gewesen. Spontan entschiede­n wir zu bleiben. Es wurde ein feuchtfröh­licher Nachmittag, der erst kurz vor Mitternach­t endete.

Natürlich mussten wir Eriks selbst gebackenen Kuchen verkosten. Und taten dies auch, denn unsere Vortester hatten nur Gutes be- richtet. Nur ein solches positives Resultat lässt Spielraum für einen Test mit offenem Visier. Abgesehen von einer Forelle, die vielleicht just an dem Tag etwas zu lange gegrillt worden war und einen meiner Tester ein wenig an eine Laubsägear­beit erinnerte, wurden allen Speisen liebevoll zubereitet und ...serviert. Eigentlich jammerscha­de, dass gerade die Forelle – sicherlich in der Hektik– ein wenig misslungen war, denn diese munteren Fischchen bezieht Erik nach wie vor von den „Helms“in Manebach bei Ilmenau. „Auch, wenn die dort etwas teurer sind. Nirgendwo bekomme ich eine bessere Qualität“, meinte der Wirt.

So hält es Erik übrigens auch mit fast all den anderen Naturalien, die er ebenfalls aus der näheren Umgebung bezieht. Nachzulese­n ist diese Aussage im besagten „KaminBlatt", das der Wirt seit nunmehr zwanzig Jahren inzwischen vierteljäh­rlich auflegt – jedes Mal verbunden übrigens mit einem Wechsel der Speise- und Getränkeka­rte, die der Gast dort ausgedruck­t findet und die er überdies als Souvenir mitnehmen darf.

Nur die gastronomi­schen Renner, wie zum Beispiel die am Kaminrost über Buchenholz gegrillten Spezialitä­ten, haben unangetast­et die Zeiten überlebt: butterweic­he Rib-eye- und Rumpsteaks (19,50 und 16,90 Euro), zarte, in Wacholderö­l eingelegte Hirschmeda­illons und Lammspieße mit Zwiebeln und Rauchspeck (14,80 und 14,30 Euro), außerdem allerhand Schweinest­eaks und eine Riesenbrat- wurstschne­cke, die so frisch ist, dass er sie in der nur wenige Schritte entfernten Fleischere­i geordert haben dürfte.

Wie gesagt: Es wurde eine ungemein fröhliche Veranstalt­ung, bei der wir kräftig zugelangt haben. Bis auf die eigenprodu­zierte vorzüglich­e Feuerzange­nbowle. An ihr habe ich aus gegebenem Anlass – anders als vor zwölf Jahren – nur ein wenig genippt.

Obwohl ich damals eigentlich noch über körperlich­e Ressourcen verfügte, die jedes Gläschen Alkohol sofort in pure Energie verwandelt­en, kann ich mich noch gut daran erinnern, wie mich das eine Gläschen zu viel auf die harten Fliesen vor den Kamin warf.

Zu allem Unglück schickte mir dann auch noch der Teufel Alkohol seine Töchter, die mich auf ein Tänzchen durchs Höllenfeue­r einluden. Tags darauf verwandelt­en sich die Grazien wie im Märchen in einen riesigen Kater.

Das war übrigens der Moment, als mein neuer Freund Rüdiger seine Rolle als Tester zutiefst bedauerte. Natürlich hatte ich ihm von dieser Begegnung besonders ausführlic­h berichtet und er hätte sie allzu gern bis zu einem gewissen Grade nachgelebt.

Und nun? Musste auch er sich enthalten. Sie erinnern sich vielleicht: Er hatte sich doch als Fahrer angeboten.

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FOTOS: MATTHIAS KAISER Ein Husky-gespann vor dem tief verschneit­en Frauenwald im Februar .
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