Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Die Rache der Lesehilfe

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Hast du sie gesehen, rufe ich genervt und zerre an den Couchkisse­n unter ihm. Nein, sollte ich? Eben war sie noch hier, antworte ich, während ich versuche, halb blind eine Whatsapp-nachricht zu tippen. „Lkin7t gut ico melde m7ck“Leg sie doch immer am gleichen Ort ab, dann musst du nicht suchen, doziert er. Das habe ich, aber dort ist sie nicht, erkläre ich die Sachlage. Das ist, antwortet er,unsinn.

Ist es nicht. Etwas Höheres muss im Spiel sein. Sogenannte Lesehilfen gehören zu den lästigsten Accessoire im Leben einer Frau. Männergesi­chtern mögen sie Würde und Souveränit­ät verleihen. Für eine Frau ist ihre Erstanscha­ffung eine Zäsur, jede zunehmende Dioptrie wie ein Lebensring im Baumstamm. Eine 50plus-frauenrund­en im Restaurant erkennt man daran, dass ihre Köpfe erst einmal in die Handtasche­n abtauchen, um bei der Bestellung den Durchblick zu behalten. Sie sind ein lästiges Übel und so behandele ich sie auch: lieblos, wahllos, achtlos. Die sogenannte Lesehilfe spürt das und rächt sich, indem sie regelmäßig untertauch­t, wenn man sie am nötigsten braucht. Die Materie lebt, Frauen spüren so etwas.

Zu Weihachten schenkte er mir einen Satz akustische­r Schlüsself­inder mit dem Vorschlag, sie an die Brillenbüg­el zu klemmen. So etwas nenne ich instinktlo­s. Einzige Alternativ­e wäre eine Brillenket­te. Sie würde mich unauflösba­r an meine Jahresring­e ketten. Das kenne ich von meiner Großmutter.

Das Leben ist nicht fair.

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Elena Rauch über ein Accessoire, das nur lästig ist

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