Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
Noch immer verfügbar
Landesbeauftragter Hasse sieht kaum Möglichkeiten, das „Recht auf Vergessenwerden“durchzusetzen. Grüne denken über Ächtung illegal erlangter Informationen nach
Erfurt. Nach dem massenhaften Diebstahl persönlicher Daten von Politikern und Künstlern sind zwar der Täter gestellt und sein für die Verbreitung der gehackten Informationen genutzte Twitter-account gesperrt. Nach Recherchen unserer Zeitung lassen sich gestohlene Dokumente wie Ausweiskopien, Brief- und Mailverkehr, Fotos sowie Adressbücher und E-maillisten im Internet aber weiter aufrufen. Vermutet werden mehrere Gigabyte Datenmaterial, die der Hacker auf diversen Servern oder in dubiosen Foren bis zu sechs Mal gespiegelt hat. Wie oft sie dort bereits heruntergeladen und über andere Kanäle gespeichert oder weiterverbreitet wurden, ist unbekannt.
Das gilt auch für die vom Datenklau heimgesuchten Thüringer. Gehackt worden waren hierzulande Vertreter von CDU, Linke, SPD und Grünen. Besonders traf es die Linke. Zwar handelte es sich mehrheitlich „nur“um die Veröffentlichung von Handy- und Festnetznummern sowie E-mail-adressen. Einige Thüringer hatte es allerdings deutlich härter getroffen. So stellte der Hacker etwa Adressund E-mailverzeichnisse von Karola Stange (Die Linke), eine Autorechnung von Christian Hirte (CDU) oder interne Fraktionsbriefe von Katrin GöringEckardt (Grüne) ins Netz.
Das Problem: Der Großteil der genannten Daten ist nach wie vor im Internet verfügbar. Das Gleiche gilt übrigens auch für die umfangreichen Daten- konvolute von Robert Habeck (Grüne) oder Extra3-moderator Christian Ehring. Bei anderen wie Cem Özdemir (Grüne) spucken die Server dagegen inzwischen Fehlermeldungen aus.
Der Annahme „Das Internet vergisst nichts“– einmal veröffentlicht, immer verfügbar – hielt Thüringens Landesdatenschützer Lutz Hasse gestern das „Recht auf Vergessenwerden“nach Artikel 17 der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) entgegen. „Danach müssen Daten, die unrechtmäßig im Netz sind, gelöscht werden“, sagte Hasse. Formal sei Twitter in der Pflicht, die Empfänger abgerufener oder geteilter illegaler Daten zu informieren und zur Löschung aufzufordern. Er zweifele aber an, dass dies in der Realität tatsäch- lich funktioniert, sagte Hasse. „Insofern liest sich das Recht auf Vergessenwerden auf dem Papier zwar gut, in der Praxis ist es aber unheimlich schwer durchzusetzen“, so der Datenschützer. Privat heruntergeladene und verbreitete Daten könne niemand mehr nachvollziehen. Christian Hirte, Beauftragter der Bundesregierung für die neuen Bundesländer, räumte gestern gegenüber unserer Zeitung ein, noch keine Schritte zur Löschung der veröffentlichten Daten unternommen zu haben. „Eine wirksame Löschung einmal im Internet veröffentlichter Daten ist schwierig, wenn nicht gar ausgeschlossen“, sagte Hirte. Zunächst müssten die Server ermittelt werden, auf welchen die Daten abgelegt sind. Im folgenden Schritt müsste der Serverbetreiber aufgefordert werden, die Daten zu entfernen. Nicht auszuschließen sei, dass die Daten mittlerweile auf Systemen gespeichert sind, die keine Verbindung zum Internet haben, so dass kein externer Zugriff möglich ist. Letztlich wäre ein immenser Aufwand nötig.
„Dass Daten von mir veröffentlicht wurden, ist unerfreulich. Lieber wäre es mir gewesen, eine alte Autorechnung nicht für jedermann zugänglich vorzufinden. Allerdings handelt es sich bei dem bisherigen Material nicht um hochsensible Information. Daher halte ich den Auf- wand nicht für gerechtfertigt“, so Christian Hirte gestern.
Hoffnungen setzt der CDUPolitiker in Vorschläge des Bundesinnenministeriums zur Einführung von It-sicherheitskennzeichnungen oder zur Stärkung des bisherigen nationalen Cyberabwehrzentrums. Zudem müsse sich jeder im privaten Bereich fragen, wie sorgsam und sicher er mit Daten umgeht.
Aus dem Büro von Katrin Göring-eckardt, hieß es gestern, wo es möglich sei, versuche man, illegal erlangte Daten im Netz löschen zu lassen. „Da sich diese aber massenhaft verbreiten und auch auf Servern im Ausland stehen, kommt man rechtlich und tatsächlich an Grenzen“, so Sprecher Wolf Albin. Die Grünen würden darüber nachdenken, die Verwendung illegal er- langter privater Daten zu ächten, um zumindest ihrer Verbreitung im Netz Grenzen zu setzen.
Was wenn die illegalen Dokumente dennoch aufgerufen werden? Für Datenschützer Hasse fällt dies unter Artikel 6 der DSGVO zur „Datenverarbeitung“. Demnach überwiegen hier die schutzwürdigen Interessen der Politiker und Künstler. „Jeder kann jetzt wissen, dass es sich um illegale Daten handelt und keine Rechtsgrundlage für die Nutzung besteht. Datenschutzrechtlich wäre eine Verarbeitung rechtswidrig. Wer es dennoch tut, bewegt sich in einer Grauzone“, so Hasse. Bei einer Anzeige könnten per richterlichem Beschluss Wohnungen durchsucht, Computer oder Handys beschlagnahmt oder Bußgelder erhoben werden.
Betroffene Politiker setzen auf It-sicherheit