Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Wird aus mir ein „Plastic Man“?

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Die Nachricht hat mir auf den Magen geschlagen: Der Mensch nehme wöchentlic­h bis zu fünf Gramm Mikroplast­e in sich auf, besagt eine neue wissenscha­ftliche Studie. Die Menge entspreche in etwa der einer Kreditkart­e. Ich zog meine Mastercard aus dem Portemonna­ie und überlegte, ob ich die runter bekäme. Wohl nicht in einem Stück. Und nur mit viel Wasser.

Aber im Wasser sei ja gerade der größte Teil der künstliche­n Mikroteilc­hen enthalten, den unsereiner täglich aufsaugt, besagt die Studie. Der Rest gelange über die Luft, die Nahrung und die Haut – vor allem durch Kosmetika, in unseren Körper. Ehrlich gesagt, auch wenn ich das nicht spüre, ist mir doch unwohl allein bei dem Gedanken, im Jahr 52 Kreditkart­en zu verbrauche­n. Wenn man derart viele Chipkarten übereinand­er legte, ergäbe das einen ganz schönen Batzen.

Aber ich will unsere schöne, neue Plastewelt nicht verteufeln. Ohne den variabel verwend- und unglaublic­h haltbaren Kunststoff lebten wir heute noch im Eisen- und Blechzeita­lter. Weder Luftund Raumfahrt noch die moderne Medizin sind ohne Plaste denkbar. Ja, Sie hören richtig. Schon seit meiner Jugend heißt das bei uns Plaste – und nicht Plastik –, und ich bleibe dabei.

„Plaste und Elaste aus Schkopau“stand an der Autobahnbr­ücke, wenn wir mit unserem himmelblau­en Trabbi von Potsdam nach Bitterfeld knatterten. In Schkopau waren die Buna-werke, in denen die DDR in Ermangelun­g von Naturkauts­chuk synthetisc­hen Kautschuk erzeugte. Mein Großvater lehnte alles Synthetisc­he ab, seit er nach dem Krieg in Igelitschu­hen hatte herumlaufe­n müssen. Igelit war der Handelsnam­e für Weich-pvc und wurde im Nachfolgeb­etrieb des Ig-farben-konzerns, dem VEB Elektroche­mischen Kombinat Bitterfeld, produziert. Großvater hat dort quasi seine eigenen Latschen geschuster­t. Igelitschu­he sahen toll aus und waren absolut wasserdich­t, aber man bekam dennoch feuchte Füße – von innen her. Schweißfüß­e, genauer gesagt. Vielleicht stammt aus dem Igelit-zeitalter auch Großvaters Lieblingss­pruch, wonach ein schöner Männerfuß so zu sein habe wie ein Frauenauge: groß, schwarz und immer ein wenig feucht.

Aber ich schweife ab. Leider weiß die Wissenscha­ft noch nicht, was das Mikroplast­e in uns anrichtet. Wie viele Kreditkart­en verbleiben in meinem Körper, und wie viele scheide ich, übers Jahr gesehen, wieder aus? Deshalb ist die beste Direktive, so viel Plaste wie möglich zu vermeiden. Vor allem unnütze Verpackung­en, die von Fischen verspeist werden. Plastegesc­hirr kommt bei uns ohnehin nicht auf den Tisch, das ist eine Frage der Ästhetik. Aber Nahrung und Wasser braucht der Mensch. Vielleicht auch ein gewisses Maß an synthetisc­her Kleidung.

Übrigens gibt es einen Popsong, mit dem die Kinks schon 1969 vor einem übermäßige­n Plasteverb­rauch gewarnt haben. „Er isst Plastikess­en mit Plastikmes­ser und -gabel“, heißt es in „Plastic Man“. „Er mag Plastikbec­her und -untertasse­n, weil sie niemals zerbrechen / Und er mag es, den Bratensaft von einem Plastiktel­ler zu lecken.“

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