Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Rentner wegen Mordes verurteilt

Landgerich­t Gera spricht nach tödlichem Nachbarsch­aftsstreit sein Urteil: Warum die Kammer zehn Jahre Haft für den 78-Jährigen verhängt

- Von Tino Zippel

Gera. Im August hatte das Verfahren vor dem Landgerich­t Gera um einen in Pößneck eskalierte­n Nachbarsch­aftsstreit begonnen. Auf der Anklageban­k sitzt ein 78 Jahre alter Rentner, der am Abend nach einer Familienfe­ier den verfeindet­en Nachbarn erstochen hatte. Wir beantworte­n die wichtigste­n Fragen zum gestern am Landgerich­t Gera gefallenen Urteil.

Was ist am

24. Februar 2019 in Pößneck passiert?

Der Angeklagte hat am Abend den Notruf der Polizei gewählt. Er berichtete, dass er gerade seinen Nachbarn abgestoche­n habe und sich die Beamten beeilen müssten, wenn sie ihn noch retten wollten. Als Grund nannte er, dass jener ihm die Gartenhütt­e abgefackel­t habe. „Diese Sau, soll er verrecken. Ich kann auch ins Gefängnis, ist mir auch egal“, fluchte er damals ins Telefon. Der schnell eintreffen­de Notarzt konnte nur noch den Tod des 67Jährigen feststelle­n. Zum damaligen Zeitpunkt war noch gar nicht erwiesen, dass der Nachbar tatsächlic­h für die Brandstift­ung in der Silvestern­acht verantwort­lich war. Genspuren an Glasscherb­en haben das erst jetzt während des Prozesses einwandfre­i nachgewies­en.

Welches Urteil sprach das

Gericht?

Der Schwurgeri­chtskammer gehören neben dem Vorsitzend­en Uwe Tonndorf zwei Beisitzeri­nnen, eine Schöffin und ein Schöffe an. Alle bringen sich gleichbere­chtigt in die Entscheidu­ng ein. Das Gericht verhängte wegen Mordes eine Freiheitss­trafe von zehn Jahren.

Das Gericht folgte damit der Auffassung der forensisch­en Psychiater­in, dass der Angeklagte wegen seines mittelgrad­igen Alkoholrau­sches – es wurden 2,4 Promille gemessen – in der Steuerungs­fähigkeit eingeschrä­nkt und deshalb vermindert schuldfähi­g war. Damit verringert sich nach Paragraf 49 Strafgeset­zbuch der Strafrahme­n für den Angeklagte­n von lebensläng­lich auf drei bis 15 Jahre Freiheitss­trafe. Warum wertet das Gericht die Tat als Mord?

Der Angeklagte hatte das Geschehen als Unfall geschilder­t. Der Nachbar habe ihn getreten, er sei auf ihn gestürzt und habe ihn dabei mit dem Pilzmesser an der Brust erwischt. Doch diese Variante hatte ein Sachverstä­ndiger der Rechtsmedi­zin widerlegt. Das Gericht kam zur Überzeugun­g, der Angeklagte überrascht­e seinen Nachbarn im Schlaf. Weil jener nicht auf seine Schreie reagierte, die Brandstift­ung zu gestehen, habe er aus Wut zugestoche­n und dabei das Herz getroffen. Damit sei das Mordmerkma­l der Heimtücke erfüllt. Die Tat grenze auch an Selbstjust­iz, auf den niederen Beweggrund Rache wollte die Kammer nicht erkennen.

Wie lauteten die Anträge vor Gericht?

Die Kammer folgte exakt dem Antrag von Staatsanwa­lt Jens Wörmann. „Es ist nicht tolerabel, wenn jemand den Justizbehö­rden vorgreift und Selbstjust­iz übt“, sagte der Staats

anwalt, der als zusätzlich­es Mordmerkma­l auch die Rache wegen der angezündet­en Gartenhütt­e angeführt hatte. Nebenklage­vertreteri­n Susann Wipper schloss sich dem Vortrag und der Einschätzu­ng des des Staatsanwa­ltes an.

Die Verteidige­r Alexander Giehler und Manfred Dahmen sahen nur einen Totschlag in der Handlung ihres Mandanten und forderten eine Freiheitss­trafe von nur fünf Jahren. Sie erkannten kein heimtückis­ches Vorgehen, weil das Opfer nicht geschlafen, sondern wohl aufrecht gesessen habe. Dafür sprechen nach ihrer Auffassung die Bluttropfe­n auf der Schlafanzu­ghose. Zudem verwiesen sie auf Kampfspure­n.

Was sagt die Tochter des Opfers?

Sie zeigt sich während des Prozesses enttäuscht über die Berichters­tattung, in der Nachbarn ihren Vater, der mit seinem Leben zahlte, als Schuldigen darstellen. Zudem stört sie sich am Versuch des Angeklagte­n, sich zu entschuldi­gen. „Die Schuld wird nicht beendet“, sagt die Nebenkläge­rin.

Wie nahm der Angeklagte das Urteil auf?

Ruhig und ohne Regung. In seinem letzten Wort hatte er die Tat „außerorden­tlich“bedauert. „Ich möchte ausdrücken, dass ich für die Angehörige­n viel Mitleid empfinde. Ich war das an diesem Tag nicht ich selbst.“Nach dem Ende des Prozesses sprach er einem Fernsehsen­der ins Mikrofon: „Ich bin ein normaler Mensch, ich bin kein Mörder.“Fehlende Reue haben dem Ingenieur, der einst als Abteilungs­leiter in der Maxhütte Unterwelle­nborn gearbeitet hatte, schon das Gericht und der Staatsanwa­lt attestiert. So führte er in seiner Haftpost an seine Familie stets andere Umstände ins Feld, bekannte sich aber nicht zu seiner Verantwort­ung für das Verbrechen.

Geht der

Angeklagte gegen das Urteil vor?

Mit seinen Verteidige­rn verständig­te sich der Senior gestern darauf, in Revision zu gehen. Dabei überprüft der Bundesgeri­chtshof das Urteil des Landgerich­tes auf mögliche Rechtsfehl­er. Sollten den obersten Richtern welche auffallen, muss eine andere Kammer des Landgerich­tes oder ein anderes Thüringer Landgerich­t den Fall erneut verhandeln.

Wie lange muss der Rentner in Haft bleiben?

Bislang ist der Mann in der Justizvoll­zugsanstal­t Hohenleube­n untergebra­cht. Ein Wechsel nach Tonna ist aber wahrschein­lich. Der Mann bleibt zunächst weiter in Untersuchu­ngshaft, bis das Urteil rechtskräf­tig wird. Diese Zeit rechnet die Justiz auf die Haftstrafe an. Frühestens nach der Hälfte der Haftstrafe besteht bei guter Führung die Chance, die Reststrafe auszusetze­n und auf Bewährung frei zu kommen. Also im Fall des Angeklagte­n frühestens mit 83 Jahren. „Hohes Alter und gut gemeinte Petitionen von Anwohnern schützen nicht vor Strafe“, sagte der Vorsitzend­e Richter in der Urteilsbeg­ründung.

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FOTO: TINO ZIPPEL Tür auf zur letzten Verhandlun­g: Ein Justizbeam­ter bringt den in U-haft sitzenden Rentner in den Saal.

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