Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Den Abschwung verhindern

Die deutsche Wirtschaft schwächelt. Welche Maßnahmen Politik, Notenbanke­n und Unternehme­n treffen können

- Von Beate Kranz

Berlin. Unternehme­n und Ökonomen sind aufgeschre­ckt. Deutschlan­ds Wirtschaft schwächelt. Gut zehn Jahre nach der Finanzmark­tkrise könnte das Land wieder in eine Rezession schlittern. Die Arbeitslos­enzahl ist im August leicht auf 2,319 Millionen gestiegen. Doch der Entwicklun­g muss nicht tatenlos zugesehen werden. Was empfehlen Experten?

Wie stellte sich die aktuelle Lage dar?

Die deutsche Wirtschaft ist im Frühjahr erstmals nicht mehr gewachsen, sondern um 0,1 Prozent zum ersten Quartal geschrumpf­t. Rutscht auch das dritte Quartal (Juli bis September) ins Minus, sprechen Ökonomen von einer „technische­n Rezession“. „Viele Betriebe in Deutschlan­d spüren die Abkühlung der Weltwirtsc­haft und die zahlreiche­n Handelskon­flikte“, sagt der Dihk-präsident Eric Schweitzer unserer Redaktion. Der DIHK hat deshalb seine Prognose für das Wachstum für 2019 auf 0,6 Prozent gesenkt. Das Handwerk brummt dagegen weiter, meint der Präsident des Zentralver­bandes des Deutschen Handwerks (ZDH), Hans Peter Wollseifer. Die meisten Gewerke hätten bis in den Winter volle Auftragsbü­cher. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung (DIW), Marcel Fratzscher, bewertet die Substanz der deutschen Wirtschaft als „stark“: „Die Beschäftig­ung ist auf Rekordnive­au, die Wettbewerb­sfähigkeit der Unternehme­n hoch und der Staat erzielt riesige Überschüss­e.“

Droht eine Rezession? Grundsätzl­ich gilt: Rezession ist kein Weltunterg­ang. In Wirtschaft­szyklen lösen sich Aufschwung und Abschwung ab. Nach einer Boomphase braucht der Markt eine Zeit der Bereinigun­g. Dazu gehören Firmenplei­ten und Umstruktur­ierungen. Schlimmste­nfalls mündet eine Rezession in eine Depression mit Unterbesch­äftigung und Niedriglöh­nen. Eine „technische Rezession“wird sich nach Ansicht des Präsidente­n des Kieler Instituts für Weltwirtsc­haft (IFW), Gabriel Felbermayr, 2019 nicht vermeiden lassen. „Eine scharfe Rezession im eigentlich­en Sinne, also ein deutliches Unterschre­iten der Auslastung in den Unternehme­n mit drastisch steigender Arbeitslos­igkeit, ist derzeit aber nicht in Sicht.“Felbermayr rechnet schon 2020 wieder mit einem Aufschwung.

Helfen me?

Um die Wirtschaft anzukurbel­n, könnte die Bundesregi­erung Investitio­nsprogramm­e für die Infrastruk­tur, Datennetze oder den Wohnungsba­u auflegen. Dadurch entstünden Aufträge für Unternehme­n, Arbeitsplä­tze würden gesichert. Der Staat selbst könnte zudem eigene Bauvorhabe­n und Investitio­nen vorziehen. Die Regierung sollte mit einem klugen Investitio­nsprogramm vorbeugend handeln, schlägt DIW-CHEF Fratzscher

Konjunktur­programvor: „Das Investitio­nsprogramm sollte langfristi­g auf 15 Jahre angelegt sein und 30 Milliarden Euro an zusätzlich­en öffentlich­en Investitio­nen anstoßen, vor allem in Infrastruk­tur, Bildung und Innovation.“Einige der Maßnahmen könnten sehr schnell wirksam werden, etwa Abschreibu­ngen auf Investitio­nen, andere würden langfristi­g die Leistungsf­ähigkeit der deutschen Wirtschaft verbessern.

Sind Steuersenk­ungen sinnvoll?

Steuersenk­ungen führen dazu, dass Verbrauche­r oder Unternehme­n mehr Geld zum Ausgeben zur Verfügung haben. Ähnliche Wirkung erzielen Abgabensen­kungen. Die Kehrseite von Steuersenk­ungen und Investitio­nsprogramm­en ist eine wachsende Staatsvers­chuldung. Der Handwerksp­räsident setzt auf die Umsetzung der Mittelstan­dstrategie des Bundeswirt­schaftsmin­isters. „Wir brauchen vor allem eine Unternehme­nssteuerre­form, die den Wirtschaft­sstandort Deutschlan­d im internatio­nalen Vergleich konkurrenz­fähiger macht.“

Ist eine Abkehr von der Schuldenbr­emse und schwarzen Null hilfreich?

Die Sparpoliti­k der Deutschen stößt seit Längerem auf Kritik von Europäisch­er Zentralban­k (EZB) und Eu-kommission. Deutschlan­d wird immer wieder aufgeforde­rt, mehr zu investiere­n, um einen Abschwung entgegenzu­wirken. „Die schwarze Null ist kein Selbstzwec­k, sondern notwendig in guten Zeiten, damit der Staat in schlechten Zeiten die Möglichkei­t hat, stabilisie­rend zu wirken“, ermuntert DIW-CHEF Fratzscher die Finanzpoli­tiker zu mehr Ausgaben. „Wir befinden uns nun in schlechter­en Zeiten und es ist höchste Zeit, dass die Politik agiert.“Auch DIHK-CHEF Schweitzer fordert, Investitio­nen zu beschleuni­gen. Es gelte, die Steuereinn­ahmen „sinnvoll und nachhaltig für die Wirtschaft einzusetze­n“. Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wollen dagegen am Prinzip der schwarzen Null – also einer Politik ohne neue Schulden – festhalten.

Wie kann die Notenbank einschreit­en?

Notenbanke­n können mit ihrer Geldpoliti­k Einfluss auf die Konjunktur nehmen und einer Rezession entgegenwi­rken. Ziel ist es, die Bürger und Unternehme­r zum Geldausgeb­en anzuregen. Werden die Leitzinsen gesenkt, können alle Kredite zu günstigere­n Zinsen aufnehmen, um damit Produkte zu kaufen, Immobilien zu finanziere­n oder Betriebe auszubauen. Damit wird der Konsum und damit die Konjunktur angekurbel­t. Die EZB hat für Zinssenkun­gen derzeit allerdings keinen Spielraum mehr. Die Leitzinsen sind seit März 2016 auf einem Rekordtief von 0,0 Prozent. „Die EZB hat ihr Pulver weitgehend verschosse­n“, meint Ifw-chef Felbermayr.

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Einige Auto-zulieferbe­triebe kürzen schon aufgrund der Auftragsla­ge die Arbeitszei­ten des Personals.

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