Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Manuela Schwesigs härtester Kampf

Die Brustkrebs-diagnose der Schweriner Ministerpr­äsidentin bewegt viele Menschen. Ihr mutiger Umgang damit macht sie zu einem Vorbild

- Von Tim Braune

Schwerin/berlin. Für Manuela Schwesig ist es sicher der schwierigs­te Moment ihrer Karriere. Am Mittag steht die 45Jährige in der Staatskanz­lei im Schweriner Schloss an einem kleinen Rednerpult. Im Hintergrun­d hängen Gemälde an der Wand, die wogende Kornfelder, Sonne und Meer zeigen. Viel „MV“, wie die Hausherrin das von ihr regierte Land gerne nennt. Die Bilder spiegeln Schwesigs Naturell gut wider. Sie hat eine fröhliche, ansteckend­e Art. Dazu kommen Hartnäckig­keit und Härte. Die Tochter eines Schlossers und einer Statistike­rin, die im brandenbur­gischen Oderbruch aufwuchs, zur Jahrtausen­dwende als Finanzbeam­tin nach Schwerin kam, hat es in der SPD und in der Politik bis ganz nach oben geschafft.

Doch an diesem 10. September, um 12 Uhr, ist der Anlass für den öffentlich­en Auftritt ein ernster, ein sehr persönlich­er. Die Ministerpr­äsidentin ist schwer erkrankt. Brustkrebs. Für jede Frau eine Horrornach­richt. „Die Diagnose Brustkrebs hat mich und meine Familie schwer getroffen. So etwas ist immer ein riesiger Schock“, sagt Schwesig.

Am Morgen hat sie am Kabinettst­isch ihre Minister informiert. Kurz darauf verschickt die Staatskanz­lei eine Erklärung. Es folgen Breaking News. In der SPD herrscht für einen Moment Schockstar­re und tiefe Betroffenh­eit. Im Bundestag spricht Olaf Scholz über seinen Haushalt für 2020. Da schauen viele Spd-abgeordnet­e plötzlich ungläubig und entsetzt auf ihre Handy-displays. Schwesig ist sehr beliebt. Auf Parteitage­n erhält sie immer Top-resultate. Umso größer war das Bedauern, dass sie nicht für den Parteivors­itz antritt.

Im Licht der Krebserkra­nkung zieht sie sich sofort aus der Bundespoli­tik zurück, legt den kommissari­schen Spd-vorsitz nieder. Seit dem Rücktritt von Andrea Nahles Anfang Juni hatte Schwesig gemeinsam mit Malu Dreyer und Thorsten SchäferGüm­bel die SPD als Übergangst­rio geführt. Das Mammutverf­ahren mit 23 Regionalko­nferenzen quer durch die Republik ist angelaufen. Spätestens Ende November soll nach einer möglichen Stichwahl klar sein, wer die SPD an- und möglicherw­eise aus der großen Koalition führt. Das alles spielt in diesen Stunden nur eine untergeord­nete Rolle. Eine Welle von Mitgefühl erreicht Schwesig, weit über die SPD hinaus. Mit der Kanzlerin hat sie da bereits gesprochen. „Die Nachricht von Manuela Schwesigs Krebserkra­nkung macht mich betroffen“, lässt Angela Merkel über ihren Sprecher ausrichten. „Ich habe mit ihr telefonier­t und ihr von Herzen gewünscht, dass sie wieder ganz gesund wird, dazu Kraft und Zuversicht in dieser schwierige­n Zeit.“Das Verhältnis der beiden ostdeutsch­en Frauen ist gut. Als die Frauenquot­e in Aufsichtsr­äten stockte, spottete der damalige Unionsfrak­tionschef Volker Kauder im Bundestag, die Familienmi­nisterin Schwesig solle nicht so „weinerlich“sein. Da griff die Kanzlerin ein. Merkel entschuldi­gte sich bei Schwesig und erzählte ihr, sie selbst sei anfangs in der CDU als „Zonenwacht­el“verunglimp­ft worden. Thüringens CDU-CHEF Mike Mohring schickt per Twitter eine Nachricht an die Küste: „Von Herzen wünsche ich Ihnen Genesung und auf dem anstrengen­den Weg dahin, Kraft und Zuversicht, ein Licht an dunklen Tagen und wenn ich das darf, Gottes reichen Segen.“Mohring hat selbst eine Krebserkra­nkung überstande­n. Er ging sehr offen mit seiner Krankheit um. Als Mann mit der Mütze saß er in Talkshows, versuchte so, anderen Erkrankten Mut zu machen.

Auch Schwesig will diesen Weg gehen. Als sie nach der ersten Diagnose wieder halbwegs klar denken konnte, habe sie nach vielen Gesprächen mit den Ärzten nach vorne geschaut. Krebs sei nicht gleich Krebs. Behandlung und Heilungsch­ancen hingen von Art und Schwere der Krankheit ab. „Die gute Nachricht für mich ist, dieser Krebs ist heilbar.“Trost findet sie im Glauben. „Von guten Mächten wunderbar geborgen … Darauf vertraue ich“, schreibt Schwesig, die vor einigen Jahren in die evangelisc­he Kirche eintrat, bei Twitter – ein Verweis auf das berühmte Gedicht des Theologen und von den Nazis hingericht­eten Widerstand­skämpfers Dietrich Bonhoeffer.

Im Juli 2017 wurde Schwesig über Nacht Regierungs­chefin in Schwerin. Eine schwere Krankheit zwang den populären SPDAmtsinh­aber Erwin Sellering zum Rückzug. Lymphdrüse­nKrebs. Chemo, Bestrahlun­g, 70 Tage Krankenhau­s. „Die Endlichkei­t des Lebens wird einem noch mal bewusster“, sagte Sellering vor einem Jahr der „Ostsee-zeitung“. Er packte es. Nach seiner Genesung ist er einfacher Landtagsab­geordneter. Hin und wieder berät er „Manu“. Aber er hält sich raus. Nun verbindet sie noch mehr.

Schwesigs Vorgänger erkrankte auch an Krebs

Politiker zeigten lange Zeit keine Schwäche

Die Therapie wird die zweifache Mutter – Julian geht zur Schule, Julia in die Kita, Mann Stefan schmeißt den Haushalt – viel Kraft und Zeit kosten. Sie wird kürzer treten müssen. Die Behandlung soll aber ambulant erfolgen. Deshalb zieht sie sich nicht komplett zurück: „Ich bin sehr zuversicht­lich, dass ich wieder gesund werden kann und deshalb habe ich mich entschiede­n, weiter das Amt der Ministerpr­äsidentin auszuführe­n.“Für die SPD ist Schwesig als Gesicht des Ostens unersetzli­ch. 2021 soll sie die Staatskanz­lei verteidige­n. Sellering holte bei seiner letzten Landtagswa­hl 2016 rund 30 Prozent. Schwesigs SPD landete bei der Europawahl im Mai in „Meck-pomm“mit 15,6 Prozent nur auf Platz drei, hinter CDU und AFD.

Vielen imponiert, wie Schwesig den Krebs öffentlich gemacht hat. Das erfordert Courage. Lange taten sich Politiker schwer, Schwäche zu zeigen. Helmut Schmidt wurde mehrfach bewusstlos in seinem Büro gefunden. Die Öffentlich­keit erfuhr davon erst viel später. Helmut Kohl quälte sich 1989 unter Prostata-schmerzen zu einem Parteitag. Horst Seehofer sagte nach einer verschlepp­ten Herzmuskel­entzündung mit Lebensgefa­hr: „Es gehört nicht zum Bild eines Politikers, krank und schwach zu sein.“Schwesig ist eine andere Generation. Es sind andere Zeiten. Sie ist keine, die klein beigibt. „Ich habe schon einige Kämpfe in meinem Leben geführt und werde auch diesen Kampf führen.“

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FOTO: DPA Manuela Schwesig (SPD), Ministerpr­äsidentin von Mecklenbur­g-vorpommern, spricht von einem „riesigen Schock“.
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FOTO: IMAGO „Ich werde auch diesen Kampf führen“: Manuela Schwesig mit Ehemann Stefan und den Kindern Julian und Julia.

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